Ein Leib in Christus mit Maria. Die Marienverehrung als Königsweg zur christlichen Vollkommenheit - Von Erzbischof Mauro Piacenza, Sekretär der Kongregation für den Klerus / L'Osservatore Romano
Rom (kath.net/L'Osservatore)
Als Krönung jenes Gnadengeschenks des Priesterjahres versammelten sich am vergangenen 11. Juni ungefähr 17.000 Priester aus fünf Kontinenten in Rom um den Papst zur größten Konzelebration der Geschichte.
Am Schluss hat der Heilige Vater wie ein Vater, der sichergehen will, dass die in ein fernes Land aufbrechenden Kinder die notwendigen Mittel haben, um die Reise aufzunehmen und möglichen Gefahren zu entgehen, alle anwesenden Priester und jene der ganzen Welt der Seligen Jungfrau Maria anvertraut, die unter dem Titel „Salus Populi Romani“ verehrt wird.
Hinter diesem großen „lehramtlichen Gestus“ und zusammen mit dem festen und mutigen Glauben des Petrus leuchtet das Bewusstsein hervor, das die Kirche von ihrer unverzichtbaren und stets neuen marianischen Dimension hat: dass sie eins mit der Heiligen Jungfrau ist, der „Proto-Zelle“ des Leibes der Kirche, in dem die Initiative der göttlichen Gnade und die freie Annahme durch den Menschen vollkommen vereint sind und so den endgültigen Beginn des Heiles eröffnen.
Christus selbst hat seiner Mutter das ganze Volk der Gläubigen in der Person des geliebten Jüngers anvertraut und so das Wesen der Kirche gezeigt, die aus ihm entstehen sollte: ein Leib, eines Fleisches in ihm mit Maria. So betrachtet die Kirche in der Seligen Jungfrau das vollkommenste Vorbild des Glaubens und das Zeichen der sicheren Hoffnung auf die künftige Herrlichkeit.
Jahrhunderte an Glauben, Heiligkeit und lehramtlichen Aussagen verweisen auf die Marienverehrung als den „Königsweg“, der zur christlichen Vollkommenheit führt. Seit über einem Jahrhundert zeichnet dann die Einladung zum Gebet des Rosenkranzes den Monat Oktober aus, der nunmehr beginnt. Aus diesem Anlass ist es mehr denn je von Nutzen, die Gründe der tiefen und zuneigungsvollen Verehrung zu erwägen, die das Christenvolk immer gegenüber diesem Gebet gehegt hat. Man tut gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, dass das Gebet des Rosenkranzes in den Gemeinden oder bei sich zuhause nicht zufällig die hohe kirchliche Anerkennung des vollkommenen Ablasses genießt.
Unter einem historischen Gesichtspunkt wurde die schnelle und überraschende Entwicklung dieses wunderbaren Gebets, das die Überlieferung dem heiligen Dominikus de Guzmán zuschreibt, im Lauf der Jahrhunderte stets von einem zweifachen Grund bestimmt: einerseits ist da die außerordentliche geistliche Fruchtbarkeit, in deren Erfahrung all jene kommen, die sich ihm anvertrauen; andererseits hat es sich als sehr wirksames Mittel offenbart, um in den geschichtlichen Ereignissen, die während des zweiten Jahrtausends das christliche Abendland und die Kirche bedrohten, den göttlichen Schutz zu erlangen (vgl. Leo XIII., Supremi apostolatus officio, 1. September 1883).
Ein letztes lichtvolles Zeugnis des Rosenkranzes als Weg „ad Iesum per Mariam“ hat der Diener Gottes Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben „Rosarium Virginis Mariae“ geboten. In der Nachfolge der maßgeblichen Lehren der marianischen Spiritualität hat er in seinem Bischofswahlspruch die Weihe an Maria als den sichersten und wirksamsten Weg zur Gleichgestaltung des Jüngers mit Christus, dem Herrn, angezeigt: „Totus tuus“.
Wie sollte man nicht – vor allem im tagtäglichen Leben des Priesters – die Kostbarkeit des Rosenkranzes als Gedächtnis des Heiles oder als Erziehung des Herzens zum Akt des Glaubens an das definitive Eintreten Gottes in die Geschichte anerkennen? Wie sollte man nicht die Dringlichkeit verspüren, ihn zu beten und dieses Gebet angesichts der Gefahren des modernen Zeitalters noch weiter zu verbreiten?
Vor jeder anderen Erwägung ist es nichtsdestoweniger notwendig, der Tatsache gewahr zu werden, dass das Gebet des Rosenkranzes unsere priesterliche Identität nährt.
Wenn nämlich Christus dadurch, dass er uns an seinem Priestertum Anteil haben lässt – wie dies der Papst mit Autorität gelehrt hat (vgl. Gebetsvigil anlässlich des Internationalen Priestertreffens zum Abschluss des Priesterjahres, 10. Juni 2010) –, uns in sich hineinzieht und uns so gestattet, sein „Ich“ zu benutzen, so können wir ihn in der Betrachtung der Geheimnisse seines Lebens durch die Augen und das unbefleckte Herz Mariens besser kennen, seine Empfindungen lernen, die Gnade annehmen, die er uns in der täglichen Feier der Eucharistie schenkt, und uns immer bereiter für das machen, was er für uns plant.
Die Selige Jungfrau Maria, die jetzt in Leib und Seele die Herrlichkeit des Sohnes schaut, wird uns gleichsam in einer Osmose die Liebe zum Sohn vermitteln. Werden wir es nie müde, von der Mutter der Schönen Liebe zu lernen, die für die ganze Kirche ihr bedingungsloses „Ja“ zum Willen Gottes gesprochen und so die Fleischwerdung des Wortes ermöglicht hat, das Sein der Kirche und die sakramentale Gegenwart Christi in der Eucharistie!
Mit ihr, mit ihrem Herzen, sind wir mystisch vereint, nicht nur als Glieder der Kirche, sondern besonders als Priester: Wir sind „alter Christus“, ihre anderen Söhne!
Priester zu sein bedeutet also auch, durch die Gnade eines Herzens mit Maria zu sein. Es bedeutet, jubelnd ausrufen zu dürfen: Totus tuus sum Maria et omnia mea tua sunt!“
(©L'Osservatore Romano – 30. September 2010)