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  • 05.11.2015 00:46 - Zwei Männer fliehen aus Syrien. Der eine wurde gefoltert, der andere soll gefoltert haben. Das Opfer konnte sich nach Europa retten – und ist überzeugt, hier seinen Peiniger erkannt zu haben.
von esther10 in Kategorie Allgemein.

Zwei Männer fliehen aus Syrien. Der eine wurde gefoltert, der andere soll gefoltert haben. Das Opfer konnte sich nach Europa retten – und ist überzeugt, hier seinen Peiniger erkannt zu haben.

Sie kommen immer bei Nacht. Seit drei Tagen wartet Wissam* auf seine Peiniger, in einem Raum unter der syrischen Erde. Mit ihm sitzen dreißig Gefangene hier, die jüngsten fast noch Kinder, die ältesten weit über 70. Sprechen ist verboten, und wer es doch tut, den holen sie als Erstes. Wissams Problem: Er kann nicht schweigen.

Deswegen wird er abgeführt in eine andere Zelle, dort liegt er auf dem kalten Boden, fast nackt, gefesselt, die Augen verbunden. Mit Kabeln peitschen die Wächter ihn aus, begießen ihn mit Eiswasser, quälen ihn mit Elektroschockern. "Terroristen", schreit einer der Folterknechte. Es wird viel gebrüllt hier, doch diese Stimme dringt klar zu Wissam durch, trotz all der Schmerzen: "Das ist Hussein." Sein früherer Nachbar. Dann verliert Wissam das Bewusstsein.

Acht Monate später sitzt Wissam irgendwo in Europa an einem hellen Ikea-Tisch, Birke furniert. Vor ihm steht eine Tasse Mate-Tee, das syrische Nationalgetränk. Ein wenig Heimat im fremden Exil. Wissam hat es geschafft, raus aus dem syrischen Foltergefängnis, Rettung ins sichere Europa. Auf seinem Handy zeigt er Bilder von einem, vor dem er geflohen ist. Es sind Fotos von Hussein W., seinem vermeintlichen Peiniger: Stolz in Uniform und mit Funkgerät im Kreise von Kollegen, in einem Büro in Syrien. Lachend in einem weißen T-Shirt an einem Hafenbecken. Erschöpft und erleichtert mit Freunden in Amsterdam. Stationen einer Flucht, Hussein selbst hat sie auf seinem Facebook-Profil veröffentlicht. Der Folterknecht sucht Asyl in Europa – genau wie sein Opfer. Beide trennen nur einige Hundert Kilometer.

Auch die Täter suchen Schutz in Europa

Hunderttausende Syrer sind bereits nach Europa gekommen. Wie viele noch unterwegs sind, weiß niemand genau. Die meisten von ihnen fliehen vor den Gräueltaten des Assad-Regimes. Doch unter jenen, die hier Schutz suchen, sind nicht nur die Opfer des Regimes – sondern immer häufiger auch die Täter. Das Bundeskriminalamt (BKA) ermittelt derzeit nach Informationen der "Welt am Sonntag" in zehn Fällen gegen Asylbewerber aus Syrien. Bei diesen Personen lägen Verdachtsmomente für eine mögliche Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder die Beteiligung an Kriegsverbrechen vor. Insgesamt seien hundert entsprechende Hinweise beim BKA eingegangen.

Schabiha, die Geister, werden in Syrien die berüchtigten Milizen genannt, die im Auftrag des Regimes zu Beginn der Revolution halfen, auf friedliche Demonstranten zu schießen. Sie erledigen die Drecksarbeit für Präsident Baschar al-Assad, der sich immer verzweifelter an der Macht zu halten versucht. Wenn Wissam recht hat, dann ist Hussein einer der vielen Tausend Geister, ein Mitglied der Schabiha-Miliz also. Sie werden verantwortlich gemacht für Massenverhaftungen, Folter und Mord in Syrien. Husseins Einsatzort: die Kleinstadt Salamiyeh, nördlich von Homs, die nach wie vor vom Regime kontrolliert wird. Was Wissam und vier andere Zeugen, mit denen die "Welt am Sonntag" unabhängig voneinander gesprochen hat, Hussein vorwerfen, ist ein Verbrechen, das ihn vor Gericht bringen kann: systematische Misshandlung von Gefangenen.

Bevor Wissam im Keller der Geister landete, hatte er in Damaskus Politikwissenschaft, Wirtschaft und Geschichte studiert. Mit Freunden aus seiner Kindheit teilte er sich in der syrischen Hauptstadt eine Wohnung, sie bekamen viel Besuch aus dem Heimatort. Einmal rief ein Cousin an, ein Nachbar aus Salamiyeh suche einen Schlafplatz in Damaskus, nur für drei Tage, ob in der Wohngemeinschaft ein Bett frei sei? So lernte Wissam Hussein kennen. Morgens kochte er seinem Gast Kaffee, nach drei Tagen verabschiedete er ihn freundlich. Wiedersehen sollte er ihn später – im Foltergefängnis.

In die Türkei, dann aufs Boot nach Griechenland

Als die frustrierten Syrer im März 2011 ihren Aufstand gegen den Diktator Assad beginnen, geht Wissam mit auf die Straße. Er malt Transparente, singt Protestlieder, und für einen Moment glaubt er, dass die Demonstranten so etwas wie Demokratie für Syrien erstreiten könnten. Doch dann bekommt er die ganze Härte des syrischen Polizeistaats zu spüren. Insgesamt vier Mal bringen ihn seine Proteste ins Gefängnis. Jedes Mal wird er gefoltert, einmal davon soll Hussein beteiligt gewesen sein.

Tausende von jungen Syrern sind spurlos in den Gefängnissen für politische Häftlinge verschwunden. Wissam hingegen ließ man wieder laufen. Als er erfuhr, dass die Geheimpolizei ihm erneut auf den Fersen war, beschloss er zu fliehen. Von einem Schmuggler ließ er sich in die Türkei bringen. Die Ägäis überquerte er in einem Boot, eine Stunde nur dauerte die Fahrt nach Griechenland. Von dort ging er zu Fuß weiter, nur manchmal nahm er einen Zug. Dreimal wurde er in Serbien verhaftet, als er es nach Ungarn schaffte, prügelten ihn Polizisten über die Grenze nach Österreich. Heute weiß er: Sein Peiniger, Hussein, hat denselben Weg genommen wie er. Beide sind sie als Flüchtlinge nach München gekommen.

Hussein wohnt in einem Flüchtlingsheim in Amsterdam. Seit einigen Tagen ist er schon dort, fünfter Stock, zusammen mit 70 anderen auf einer Etage. Mit seinem kurz getrimmten Vollbart, in Jeans und einem dunklen Pullover macht der 32-Jährige einen gepflegten Eindruck. Auch seine teuren braunen Lederschuhe wollen nicht so recht ins Bild eines syrischen Flüchtlings passen, der wochenlang auf der Flucht war. Was will so einer im Asylheim? Das fragen sich offenbar auch seine Mitbewohner. "Schabiha, Schabiha", rufen Husseins Landsleute, als er vor dem Tor des ehemaligen Bürohauses steht, das zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert wurde. "Wir wissen, wer du bist, du kannst dich nicht verstecken!"

"Da war ich auf Hasenjagd"

Hussein streitet alles ab. "Lügner", sagt er. "Die, die mich beschuldigen, das sind alles islamistische Extremisten." Nach Europa sei er geflüchtet, weil die Milizen des "Islamischen Staates" und auch al-Qaida hinter ihm her gewesen seien. Und die Fotos, die ihn in Uniform mit Sprechfunkgerät und auch im Kreise syrischer Soldaten zeigen? "Da war ich auf Hasenjagd. Das ist eine normale Sache in unserer Region." Wenn "diese Lügner" vor Gericht gehen wollten, dann sollten sie das ruhig machen.

Auch Husseins Geschichte ist eine Kriegsgeschichte. Bevor er zu den Milizen ging, hatte er ein Studium der Geschichte in Damaskus abgebrochen. In der syrischen Hauptstadt verdingte er sich als Autohändler und Immobilienmakler. Als die Revolution ausbrach, kehrte er zurück in sein Heimatdorf. Nach Recherchen der "Welt am Sonntag" soll Hussein bereits 2012 den Nationalen Verteidigungskräften (NDF) beigetreten sein. Die NDF ist eine paramilitärische Einheit, die sich aus Freiwilligen zusammensetzt. Sie war 2012 gegründet worden, um die immer größer werdende Opposition im Lande niederzuschlagen. Weil Hussein nicht an die Front wollte, meldete er sich zur Überwachung der Opposition in seiner Heimat Salamiyeh.

Dort geriet Salim in sein Visier. Der junge Syrer ist nun mittlerweile im sicheren Exil in Nordeuropa, wo er von seiner Begegnung mit Hussein berichtet. Damals, im jenem November 2012, sei es Hussein gewesen, der ihn verhaftet habe. Mit 20 Leuten habe der sein Haus gestürmt. "Die Eingangstüre ging zu Bruch und man hat sofort auf uns losgeprügelt", sagt Salim. Als er und sein Bruder sich wehrten, hätten die Eindringlinge sofort ihre Waffen

durchgeladen und den beiden an den Kopf gesetzt.

"Einer ihrer Schabiha-Kollegen war getötet worden", sagt Salim. "Sie waren auf der Suche nach einem passenden Täter." Da habe es nichts Besseres gegeben als eine Familie, die bekannt sei für ihre kritische Haltung gegenüber Assad. Salim sagt, er sei zehn Tage lange gefoltert worden, sein Bruder einen Monat lang. Die beiden mussten Augenbinden tragen – aber Hussein wollen sie trotzdem erkannt haben.

Folterknecht will Familie nachholen

Salim wünscht sich Gerechtigkeit für das erlittene Unrecht und meint damit, dass Hussein bestraft wird. "Aber nicht den Tod für ihn. Nein, er soll vor eine ordentliches Gericht gestellt werden für seine Taten."

Doch Salims und Wissams Folterknecht hat andere Pläne. Hussein will in den Niederlanden Asyl beantragen und später seine Frau und die Kinder nachholen. Wenn er es schafft, sich vor den Behörden als Kriegsflüchtling zu präsentieren, könnte das klappen. Weil Hussein aus Syrien kommt, hat er gute Chancen.

Ort der Grausamkeit: Ein mutmaßliches Gefängnis in Syrien, in dem politische Häftlinge gefoltert worden sein sollen

© AFP Ort der Grausamkeit: Ein mutmaßliches Gefängnis in Syrien, in dem politische Häftlinge gefoltert worden sein sollen

Allerdings könnte ihm ein Gericht noch einen Strich durch die Rechnung machen, wenn es die Folter-Vorwürfe als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstuft. Für Kriegsverbrecher erlischt das Anrecht auf Asyl. Eigentlich wäre der Staat zuständig, in dem das mutmaßliche Verbrechen geschehen ist. Doch ein syrisches Gericht wird wohl kaum gegen Hussein vorgehen. Die Niederlande hingegen haben die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen unterzeichnet. Die Vorwürfe gegen Hussein gelten hier als Straftatbestand. Zeigt ihn jemand an, muss ein niederländisches Gericht tätig werden. Das sichere Europa könnte sich für Hussein W. also schon bald als ein unsicherer Hafen herausstellen.
http://www.msn.com/de-de/nachrichten/pol...wu?ocid=U270DHP
* Name von der Redaktion geändert



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