Von Antonia Fuchs
Aktualisiert am 23.04.2021, 12:18 Uhr
Lange hatten wir uns auf diesen Frühling gefreut, und nun: hohe Infektionszahlen, weiter Lockdown, erneuter Frust. Alle sind geschlaucht und fragen sich: Wie lange noch?
Die Krise beenden können wir nicht – doch etwas anderes können wir tun: herausfinden, was uns hilft durchzuhalten.
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Müdigkeit greift um sich. Die Lebenssituationen sind so unterschiedlich wie der Umgang mit dieser Krise. Und doch ist allen eine Corona-Erschöpfung gemeinsam. "Ich kann nicht mehr" oder "Ich mag nicht mehr", "Es reicht!" hört man seit Monaten. Und spürt es selbst: Die Ungewissheit zehrt, so viel ist zu bewältigen, so viele Hoffnungen und Erwartungen, die immer wieder enttäuscht werden. Die Corona-Regeln im Lockdown-Zickzackkurs der Politik werden immer unübersichtlicher. Der Weg ist länger als gedacht, holprig, voller Pannen und Rückschläge - und die sehnlich erwartete Zielgrade noch immer nicht klar vor Augen.
Was kann uns jetzt helfen? Optimistisch bleiben? Leichter gesagt als getan. Augen zu, beherrscht sein, zusammenreißen? Die Münchner Therapeutin Anette Frankenberger warnt: "Das klingt so, als würde man die Situation annehmen, sie akzeptieren. Das ist aber eben gar nicht der Fall. Erst wenn ich nicht ständig meine eigenen Gefühle zu unterdrücken versuche, beginne ich, eine Situation zu akzeptieren. Und das ist der erste Schritt zu Erleichterung.“
Fast magisch: Wie uns Albus Dumbledores Methode hilft
Doch wie gelingt das? Nicht die Umstände ausblenden - sondern das Gegenteil: "Es nehmen, wie es ist: Ja, es ist anstrengend und schwierig gerade. Ja, ich bin traurig - oder vielleicht wütend. Und jedes Gefühl, dass ich deswegen habe, hat seine Berechtigung", betont Frankenberger. Sie empfiehlt einen einfachen, aber wirksamen Weg, der Erleichterung bringt.
"Schreiben Sie alle Gedanken und Gefühle, alle Sorgen, die Sie belasten, auf."
In der neueren Psychologie wird dieses Verfahren als "Brain Dumping" bezeichnet, Frankenberger selbst nennt es statt Dump- aber lieber die Dumbledore-Methode: "Weil dieses Bild von Albus Dumbledore aus Harry Potter hilft: Er vermag es, mit seinem Zauberstab Erinnerungen aus seiner Schläfe zu ziehen und legt sie im Denkarium - ,Pensieve' heißt es im Original - ab. Dort bleiben sie verwahrt." Das Denkarium hilft Dumbledore dabei, seine Erinnerungen besser einzuordnen und Muster zu erkennen. Und: Es entlastet einen immer voller werdenden Kopf.
Gefühle zu Papier zu bringen, kann uns helfen, den Widerstand gegen sie aufzugeben. "Das bringt uns in Einklang mit uns selbst, und genau darauf kommt es an: Wenn unser Unterbewusstsein sich verstanden statt bekämpft fühlt, hat das nicht nur etwas Tröstliches, sondern geradezu Magisches", erläutert Frankenberger. "Es ist wie mit einem Kind: Nach dem Hinfallen hört es schneller auf zu weinen, wenn Sie seinen Schmerz anerkennen und sagen: 'Das muss echt wehtun' statt 'Das ist doch überhaupt nicht schlimm'."
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Kraftquellen finden und so guter Dinge bleiben
Was außer Verdrängung ebenfalls nicht hilft: "Jede Art der Betäubung, etwa in Form von Alkohol", warnt Frankenberger. Eine aktuelle forsa-Umfrage zeigt, dass vor allem junge Menschen in der Krise häufiger zum Alkohol greifen. "Das ist nie die richtige Antwort", betont die Therapeutin. "Ich muss den Blick darauf lenken, was mir gut tut." Was passiert, könnten wir uns nicht aussuchen, sagt sie: "Niemand kann etwas für diese Krise. Ich habe aber immer die Wahl einer Antwort. Die entscheidende Frage ist deshalb: Wie kann ich diese Zeit bestmöglich überstehen? Wo nehme ich die Ressourcen her?" Hier einige Ratschläge:
Übungen der Achtsamkeit und Langsamkeit, etwa durch Yoga oder Meditation.
Alle Gefühle zulassen. Geben Sie sich die Erlaubnis dafür, dass sie da sind. Gefühle kommen - und werden auch wieder gehen.
Zeit lassen. Zum Beispiel in Ruhe kochen und genussvoll essen.
Kontakt pflegen über Zoom oder Telefon mit den Menschen, die Ihnen Kraft geben und Sie nicht runterziehen.
Die Technik bietet viele weitere Möglichkeiten: Falls Sie Spotify nutzen, erstellen Sie eine gemeinsame Playlist mit einem lieben Freund oder Verwandten und fügen Sie abwechselnd Lieder hinzu. Auch so etwas verbindet, macht Spaß und weckt positive Emotionen!
Hören Sie Musik, die voller unbeschwerter und wunderbarer Erinnerungen ist.
Tanzen Sie! Es ist eine Wohltat für die Seele, weil es entspannt. Es verleiht zudem Kraft und Selbstbewusstsein, wie Forscher der Uni Oldenburg herausfanden.
Bewegen Sie sich möglichst viel an der frischen Luft.
Machen Sie sich bewusst: Diese Zeit wird vorübergehen, und wir werden vieles zu schätzen wissen, was vorher selbstverständlich war.
Führen Sie ein Dankbarkeitstagebuch: Jeden Abend etwas Positives über diesen Tag notieren, vielleicht sogar mit der ganzen Familie.
Nehmen Sie auch die kleinen Dinge wahr, die gut sind.
Schreiben Sie eine "Was ich liebe"-Liste.
Letzteres erklärt Frankenberger genauer, weil es für viele ihrer Klientinnen und Klienten ein Schlüssel ist, wie man zuversichtlich und guter Dinge bleibt: "Oft wissen wir schon gar nicht mehr, was uns im Alltag gut tut. Genau darum geht es aber jetzt mehr denn je: herauszufinden, was unsere großen und ganz kleinen Kraftquellen sind. Schreiben Sie diese Dinge auf - vom Cappuccino bis zu Ihrem Lieblingslied. Und wenn Sie sich dann die Zeit dafür nehmen, werden sie umso kostbarer für Sie sein."
Beppo Straßenkehrer: Schritt - Atemzug - Besenstrich
Zeit und Geschwindigkeit hält auch die Resilienz-Trainerin Monika Gruhl für wichtige Faktoren im Umgang mit der Krise. Sie erinnert an Beppo Straßenkehrer, die berühmte Figur aus Michael Endes Roman "Momo". Momos bester Freund weiß, wie es ist, wenn man trotz großer Anstrengung immer noch einen schwierigen Weg vor sich hat: "Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt", erzählt Beppo. "Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem."
Wie gut lassen sich diese Worte nachempfinden. "Ja, wir brauchen einen sehr langen Atem gerade", betont Gruhl, "deshalb sollten wir nicht in großen Bögen, sondern in möglichst kleinen Abschnitten denken - mit Pausen dazwischen." Oder mit den Worten des Straßenkehrers:
Beppo: "Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. (...) Dann macht es Freude (…) Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste (...) Das ist wichtig.“
Auch wenn wir uns noch so sehr nach einem schnellen "Fliege heim, kleine Momo"- Happyend, der schnellen Rückkehr zu unserem alten Leben sehnen: Innerlich sollten wir uns auf längere Zeiträume einstellen, meint Gruhl. Doch rät sie, nicht zu weit voraus zu planen: "Ich konzentriere mich darauf, wie ich gut durch diesen Tag komme. Wo kann ich es mir jetzt einfacher machen, wo bietet es sich an? Wir befinden uns in einer großen Ausnahmesituation - jetzt ist nicht die Zeit, auch noch streng mit sich zu sein." Ein häufiger Irrtum nämlich: "Ich darf mich nur belohnen, wenn ich mich so richtig angestrengt habe!"
Tipp: jeden Tag in Abschnitte gliedern. "So habe ich auch im Blick, dass jede Phase vorübergehen wird. Gerade nerven mich die Kinder, ich bin schlecht drauf. Das ist jetzt eben so und ist auch ganz normal. Es hilft aber, im Blick zu haben, dass es in einer Stunde auch schon wieder ganz anders sein und ich folglich ruhig bleiben kann."
Wie Momos bester Freund eben, der langsam, aber stetig arbeitet: "Schritt - Atemzug - Besenstrich."
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Es mehr zu machen wie Beppo oder Dumbledore – das etwa könnten gute Spuren sein, die die Krise bei uns hinterlässt. Frankenberger gibt noch ein drittes Beispiel: Die aus den Medien bekannte Dominikanerschwester Ursula vom Kloster Arenberg bezeichnete kürzlich in einem ZEIT-Interview ihren Umgang mit der Coronakrise als "Wirklichkeitsgehorsam". Es sei nämlich ein furchtbar aufreibender Prozess, "die Wirklichkeit zu verleugnen davor davonzulaufen: Das ist letztlich tödlich. Siehe die Corona-Leugner."
Wirklichkeitsgehorsam bedeute für sie, eben nicht die Augen zu verschließen, sondern die "Wachstumsaufgabe" in der derzeitigen Situation wahrzunehmen. "Das zu entdecken, was in mir steckt, was ich aber vor dieser Krise noch nicht gebraucht habe. Wir entdecken unsere Ressourcen in Krisensituationen doch viel eher als dann, wenn es uns gut geht, weil wir da nicht zu graben brauchen.“
So kann die Krise zu einer Chance werden, ohne dass wir dabei härter werden. Im Gegenteil, sagt Frankenberger, "Wir werden weicher, biegsamer. Wir können lernen, wie wir unsere Kraftquellen nutzen, wie alles leichter gehen kann – auch in der Zeit danach. Dadurch werden wir stärker - auch wenn es uns im Moment gar nicht so bewusst ist."
Verwendete Quellen:
Interviews: Therapeutin Anette Frankenberger, Resilienz-Trainerin Monika Gruhl, Wirtschaftspsychologin Simone Wenzel
Buch: Michael Ende, Momo, Thienemann (1973)
DIE ZEIT: Woher nehmen wir die Zuversicht? Von Alard von Kittlitz, 20. Februar 2021
Über die Expertinnen:
Anette Frankenberger arbeitet seit 1994 in München als systemische Paar- und Familientherapeutin sowie Supervisorin in eigener Praxis. Seit 1989 ist sie als Dozentin in der Erwachsenenbildung und Erziehungsberatung tätig.
Monika Gruhl ist Autorin mehrerer Bücher, darunter "Resilienz - die Strategie der Stehauf-Menschen: Krisen meistern mit innerer Widerstandskraft", Herder Spektrum (2018) und "Aufleben! 5 Minuten für mehr innere Stärke und Resilienz.", Bastei Lübbe (2018). Sie ist Resilienztrainerin und -coach in Osnabrück und bietet auch Online-Programme für innere Stärke an.
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