Zwei Jahre nach Pandemieausbruch ist die Volksrepublik nahezu virusfrei. Doch das Land ist international isoliert und digital überwacht.
Schüler mit roten Jacken stehen vor Zutrittsbarriere ihrer Schule
Ohne Gesichtserkennung und Temperaturmessung kein Eintritt in die Schule in Changzhou Foto: imago images
PEKING taz | „Hallo an alle. Ich bin Li Wenliang, Augenarzt am Zentralkrankenhaus in Wuhan“, beginnt die prophetische Botschaft, die der Welt viel Leid hätte ersparen können. Genau vor zwei Jahren warnte der Whistleblower-Arzt erstmals auf der Onlineplattform Weibo: „Am 30. Dezember sah ich den Testbericht eines Patienten, in dem mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Sars-Coronavirus festgestellt wurde.“
Doch die Behörden schenkten dem 33-Jährigen keinen Glauben. Stattdessen lud die Polizei Li Wenliang wegen der „Verbreitung von Gerüchten“ zum Verhör. Wenige Wochen später verstarb der Chinese selbst an dem neuen Virus, mit dem er sich bei der Behandlung eines Patienten angesteckt hatte.
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Seither sind zwei Jahre vergangen und Corona hat die gesamte Welt in die schwerwiegendste Krise seit Dekaden gestürzt. Ausgerechnet in China, Ursprungsland der Pandemie, wurde das Virus seit Eindämmen der ersten Welle im Frühjahr 2020 praktisch ausradiert.
Insgesamt haben sich in der Volksrepublik laut offiziellen Zahlen nur 100.000 Menschen infiziert, kaum 5.000 sind an Covid gestorben. Auch wenn die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte, spielt die reine Infektionsgefahr praktisch keine Rolle mehr im Alltag der Leute.
Traumatische Wunden
Welch traumatische Wunden die radikalen „Null Covid“-Maßnahmen in der Gesellschaft hinterlassen, zeigt sich in der Grenzstadt Jingxi: Mutmaßliche Corona-Regelbrecher werden von Sicherheitskräften vor die Menge geführt, bei sich haben sie Plakate mit ihren Fotos und Namen. Polizisten sprühen die vermeintlichen „Verbrechen“ an die Häuser der Täter, um sie öffentlich zu brandmarken.
Jene bereits vergessen geglaubten Demütigungen, die an die Zeit der Kulturrevolution 1966 – 1976) erinnern, sind als Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie wieder aufgetaucht. In diesem Fall sollen die Männer mehreren Migranten beim Transport aus Vietnam geholfen und damit die epidemiologisch begründeten Grenzschließungen missachtet haben. „Solche Leute haben es verdient. Was wäre, wenn die das Virus ins Land brächten?“, schreibt ein Nutzer auf der Online-Plattform Weibo.
China hat sich in den letzten zwei Jahren grundlegend verändert: Das Land ist weitgehend virusfrei, doch international komplett isoliert und digital vollständig überwacht. In Peking muss jeder Bewohner täglich Dutzende Male seine Körpertemperatur messen und den Gesundheitscode scannen lassen. Kein Supermarktbesuch ist mehr möglich ohne digitale Registrierung. Dies hat dazu geführt, dass sich etliche Kriminelle nach Jahren auf der Flucht während der Pandemie freiwillig den Behörden gestellt haben.
Ausländer sind in China längst zu einer Art fremden Spezies geworden, die als potenzielle Virusträger kritisch beäugt werden. In den meisten Provinzen nehmen nur wenige Hotels internationale Gäste auf. Geschlossene Grenzen sowie strenge Quarantäneregeln haben dazu geführt, dass in Luxemburg mehr Ausländer wohnen als in Schanghai und Peking zusammen – beides Metropolen mit deutlich mehr als 10 Millionen Einwohnern. Selbst Staatschef Xi Jinping hat seit zwei Jahren keinen Schritt mehr auf ausländischen Boden gesetzt – zu gefährlich.
Normaler Alltag
Gleichzeitig ist der Alltag für die meisten Chinesen, von denen knapp 90 Prozent keinen Reisepass besitzen, wieder so normal wie vor der Pandemie. Doch wehe, die Behörden registrieren auch nur einen Coronafall: Dann reagieren sie mit drastischen Lockdowns. Zuletzt wurden die 13 Millionen Einwohner der nordwestlichen Provinzhauptstadt Xian in ihre Häuser gesperrt.
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Der epidemiologische Erfolg hat also einen erheblichen Preis. Denn die Angst vor dem Virus ist tief in die Kollektivpsyche der Menschen eingebrannt. Nicht wenige Väter, die für ihre Arbeit in die Stadt gezogen sind, haben seit Monaten ihre neugeborenen Kinder nicht gesehen. Studenten in Peking dürfen nur zu genehmigten Anlässen ihren Campus verlassen. Familien, deren Kinder im Ausland leben, bleiben Jahre getrennt.
Mit dem Aufkommen von Omikron ist zudem die endgültige Gewissheit eingetreten, dass Chinas „Null Covid“-Isolation wohl noch auf Jahre andauern wird. Denn die heimischen Vakzine – die einzig zugelassenen im Land – sind laut ersten Studien nur wenig wirksam gegen die neue Virusvariante.
Dass die Volksrepublik Ende 2022 mit zaghaften Lockerungen eine „Ko-Existenz mit dem Virus“ erprobt, ist da noch die optimistischste aller Prognosen. Die meisten Experten gehen davon aus, dass der Status Quo bis mindestens 2023 anhält. Wenn bis dahin nicht eine weitere Mutante einen Strich durch die Rechnung macht.
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