Hunger in Deutschland
Die Tafeln halten dem Anstrum kaum noch Stand
Immer mehr Bedürftige suchen Unterstützung bei den Lebensmittel-Ausgabestellen. Die stoßen zunehmend an ihre Grenzen
Sie stehen Schlange, Hunderte sind es jedesmal – für Obst und Gemüse, Brot und Milchprodukte. Viermal pro Woche verteilt die Essener Tafel allein an ihrem Zentrallager an der Steeler Straße Lebensmittel, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen. Und immer mehr Menschen wollen dieses Angebot nutzen – so viele, dass die Tafel zuletzt die Notbremse ziehen musste. Bis September werden erst einmal keine neuen Berechtigungskarten mehr ausgestellt, und danach nur noch befristet für jeweils ein Jahr.
Andernorts das gleiche Bild: Immer größer wird der Andrang auf die Tafeln landauf, landab – zu groß für manche. Rund 150 Tafeln gibt es in NRW aktuell, bundesweit sind es gut 850. Die Zahl jener, die Unterstützung bei den Lebensmittel-Ausgabestellen suchen, ist allein in den vergangen zwei Jahren um fast 50 Prozent angestiegen – von 700 000 auf über eine Million bundesweit. Zwar nehme auch das Spendenvolumen stetig zu, berichtet Anke Assig, Sprecherin des Tafel-Bundesverbands. Aber die Zahl der Bedürftigen steige deutlich schneller. „Da geht eine Schere auf”, so Assig.
In Düsseldorf muss Heike Vongehr ihre Worte nicht extra betonen, um deren Dramatik zu steigern: „Die Tafeln stoßen an ihre Grenzen”, sagt die Vorsitzende der dortigen Tafel. „Allein in Düsseldorf werden rund 5000 Menschen in der Woche von uns versorgt. Die Telefone stehen nicht still, es rufen mehr Betroffene als Spender an.” Die Folge: „Was die Menschen erwarten, können wir nicht erfüllen. Irgendwann ist die Spendenfreudigkeit erschöpft. Es ist ein Infarkt, der hier stattfindet”, sagt Vongehr.
Und noch zeige die Wirtschaftskrise in Düsseldorf keine messbaren Folgen. „Das kommt erst im Herbst auf uns zu”, hieß es gestern bei der Diakonie. Auch beim Tafel-Bundesverband rechnet man erst fürs kommende Jahr mit massiven Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Wer heute seine Arbeit verliere, erklärt Vorstandsvorsitzender Gerd Häuser, rutsche womöglich im kommenden Jahr in Hartz IV – und damit in die Bedürftigkeit. Die jetzige Zahl von rund einer Million Tafel-Kunden „wird dann bei weitem übertroffen werden.”
Hunger in Deutschland
In Deutschland sind elf Millionen Menschen von Armut bedroht. Tausende leben bereits am Existenzminimum. Dabei handelt es sich nicht nur um Obdachlose, sondern auch um Rentner, Witwer, Alleinstehende und Alleinerziehende. Für viele gehört der Hunger inzwischen zum Leben dazu. Und ihre Situation scheint aussichtslos.
Täglich kommen Bedürftige zur Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin, um sich etwas Essen zu holen. Täglich bildet sich eine Schlange, die zum Monatsende hin immer länger wird. Denn dann ist das Geld knapp oder bereits aufgebraucht. Betroffen sind nicht nur Obdachlose, sondern auch Witwen, Rentner, Alleinerziehende. Die Zahl der ausgegebenen Lebensmittelrationen stieg in den vergangenen sechs Monaten um fast 15 Prozent. Im Juni zählte die Bahnhofsmission etwa 1.000 Menschen mehr als im Vorjahresmonat. Das war ein Anstieg von 28 Prozent. Dieter Puhl von der Bahnhofsmission weiß, dass viele der Bedürftigen lange Anfahrtswege für die eine Mahlzeit in Kauf nehmen.
Essenssuche in der Mülltonne
Dass viele Menschen in Deutschland Hunger leiden, zeigt sich auch an anderer Stelle. Vor allem in größeren Städten kann man beobachten, dass Menschen in Papierkörben und Mülleimern nach Essbarem suchen. Für Petra Schöps aus Berlin sind diese Bilder keine Seltenheit. Die Besitzerin einer Imbissbude erzählt FAKT, dass es sich bei den Bedürftigen keineswegs nur um Obdachlose handelt. Oft seien es ordentlich gekleidete Menschen, die in die Mülleimer griffen, um nach einem angebissenen Brötchen, einer halben Wurst oder Pommesresten zu suchen.
"Und wenn sie was gefunden haben, dann essen sie es auf oder nehmen es mit. Für uns, die wir das nicht nötig haben, ist das schlimm zu sehen."
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