Inflationstreiber Invasion Marschiert Russland ein, droht Deutschland ein Preisschock
von Maximilian Sachse
18. Februar 2022
Russische Panzer. Quelle: dpa
Russland behauptet seine Truppen abzuziehen, die USA zweifeln das an.
Bild: dpa
Russland ist nicht in die Ukraine einmarschiert – zumindest noch nicht. Eine Invasion könnte in Deutschland wirtschaftlich schwerwiegende Folgen haben – und etwa die anziehende Inflation in neue Höhen schießen lassen.
Der 16. Februar ist vorübergezogen, ohne dass es für den Westen zum absoluten Supergau gekommen ist: dem russischen Einmarsch in die Ukraine. US-Sicherheitsdienste hatten den Mittwoch als Datum einer russischen Invasion an der Ostfront des Nachbarlandes prognostiziert. Das mag ein strategischer Schachzug gewesen sein, etwa um „Politik und Öffentlichkeit hierzulande aufrütteln“, wie es der Osteuropa-Experte Jörg Forbrig im WiWo-Interview vermutet. Doch deutsche Politiker dürften nicht nur aus geopolitischen Gründen erleichtert gewesen sein, dass Putin stattdessen einen Truppenabzug ankündigte – auch wenn der Westen bislang dafür keine Beweise sieht.
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Jörg Forbrig.
Denn ein russischer Einmarsch würde in Deutschland wohl auch erhebliche ökonomische Verwerfungen nach sich ziehen. Ifo-Präsident Clemens Fuest warnte nun im Falle einer Invasion vor einem Preisschock bei Öl und Gas. „Selbst wenn die Gaslieferungen nicht eingeschränkt würden, käme es zu einem Preisschock, jedenfalls vorübergehend“, sagte der Ökonom. „Das träfe private Haushalte und Industrie in Deutschland gleichermaßen.“ Bislang rechnet das Ifo Institut mit einer Inflationsrate von vier Prozent im laufenden Jahr – das alleine wäre schon die höchste Rate seit 1993 und noch einmal deutlich mehr als 2021 mit 3,1 Prozent. „Sollte ein Krieg ausbrechen, könnte sie noch höher ausfallen“, sagte Fuest.
Dabei sind die Verbraucherpreise in Deutschland im Januar ganz ohne Invasion bereits um 4,9 Prozent gestiegen. Gemessen am harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), dem Inflationsmaß, an dem die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik ausrichtet, kletterten die Verbraucherpreise hierzulande sogar um 5,1 Prozent. Getrieben wird diese Entwicklung insbesondere von den Energiepreisen, die in den vergangenen Monaten explodiert sind. In Europa sind sie in einem Jahr um knapp 30 Prozent geklettert – auch weil der Russland-Ukraine-Konflikt auf die Versorgung drückt. An diesem Freitag debattiert der Bundestag über die Energiepreise, Regierung und Opposition wollen Vorschläge für eine Entlastung der Bürger ob der hohen Preise für Benzin und Gas vorlegen. Im Gespräch sind etwa die schnelle Abschaffung der EEG-Umlage, eine höhere Pendlerpauschale oder eine Klimaprämie. Ein zusätzlicher Preisschock bei Öl und Gas könnte diese Bemühungen jedoch schnell überholen.
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Auch die Commerzbank kommt in einem aktuellen Briefing zu dem Ergebnis, dass Deutschland „zweifellos das Land wäre, das in der EU am stärksten von einem russischen Lieferstopp betroffen wäre.“ Deutschland sei der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt für russisches Gas. Alternatives Pipeline-Gas kommt aus Norwegen. Doch Norwegen hat im Oktober seine Lieferungen bereits erhöht. Es gebe wohl „kurzfristig kaum weiteres Steigerungspotenzial“, so die Commerzbank-Analysten. Seit vielen Jahren stagniere die norwegische Produktion. Bei einem russischen Lieferstopp würden die deutschen Gasvorräte zwar einen gewissen Puffer bieten, der aber nur bis April reichen würde, warnen die Analysten. So oder so würde es viel teurer werden.
Ökonom Fuest verwies allerdings auch auf die gegenseitige Abhängigkeit. Westeuropa brauche russisches Öl und Gas, aber Russland sei auch auf das Geld angewiesen, das dafür bezahlt werde. Ein Lieferstopp sei unwahrscheinlich, weil Russland auch künftig noch Gas nach Europa verkaufen wolle. Sonst würde die EU künftig woanders Gas beziehen, zum Beispiel Flüssiggas aus Schiffen. Dafür Infrastruktur in Deutschland auszubauen, sei auf jeden Fall sinnvoll.
Doch einfach auf Flüssiggas auszuweichen, wie es mancher Politiker vielleicht gerne hätte, ist nicht trivial. Um das sogenannte LNG (Liquefied Natural Gas) vom Tanker an Land zu bringen, benötigt man spezielle Terminals. Diese LNG-Terminals können das gelieferte Flüssigerdgas aus Schiffen aufnehmen und lagern. Anschließend lässt sich das Erdgas dann in die Netze einspeisen. In Deutschland klappt das jedoch nicht. Der Grund dafür ist simpel: Es existieren zurzeit keine deutschen LNG-Terminals, an denen Tanker ihre Ladung löschen könnten.
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Kurzfristig könnten Versorgungsengpässe eintreten, warnt daher auch Ifo-Chef Fuest. Und hofft dabei wohl, dass die diplomatischen Bemühungen des Westens Wirkung zeigen. Denn auch die im Falle einer Invasion angekündigten scharfen Sanktionen würden die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen. Schon die bestehenden Sanktionen wegen der Besetzung der Krim verringern die deutsche Wirtschaftsleistung pro Jahr um rund 5 Milliarden Euro, rechnet das Ifo-Institut vor. Das entspricht immerhin 0,16 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Der Schaden für Russland betrage aber sogar 1,2 Prozent der russischen Wirtschaftsleistung. „Würden weitere Sanktionen verhängt, könnten diese die deutsche Wirtschaft zusätzlich belasten, aber die russische Wirtschaft noch deutlich stärker“, sagt Lisandra Flach, die beim ifo Institut das Zentrum für Außenwirtschaft leitet.