Die Impfpflicht wird ausgesetzt
Die Regierung wird die Impfpflicht vorerst absagen und beruft sich dabei auf eine Kommission – die hätte allerdings zumindest Spielraum gesehen
Gabriele Scherndl
9. März 2022, 11:07
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Die Impfpflicht wurde im Herbst als Durchbruch verkündet, nun wird sie auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.
Foto: APA/dpa/Guido Kirchner
Eigentlich wollte man Vorreiter in Europa sein. Danach sah es zumindest aus, als der Bundeskanzler, der damals noch Alexander Schallenberg hieß (ÖVP), im November eine allgemeine Impfpflicht ankündigte. Daraus wird aber nichts: Die Impfpflicht wird ausgesetzt, verkündete Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Mittwoch. Dazwischen lagen laute Proteste von Impfpflichtgegnerinnen und -gegnern und – vor allem in den letzten Wochen – auch skeptische Äußerungen von Landeshauptleuten.
Der Grundrechtseingriff sei momentan nicht nötig, sagte Edtstadler jedenfalls und bezog sich dabei auf den Bericht der Impfpflichtkommission, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Die Kommission sah allerdings Spielraum bei einer Impfpflicht für Ungeimpfte und Ungenesene – für diese Personen hätte sie die Maßnahme auch als zulässig befunden.
Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) wird nun eine Verordnung erlassen, die die Impfpflicht vollständig aussetzt, zudem kündigte er eine neuerliche Evaluierung im Mai oder Juni an. Edtstadler stellte klar: Es werden nicht nur die Strafen ausgesetzt, die ja eigentlich Mitte März hätten kommen sollen, sondern es wird die Impfpflicht als Ganzes auf Eis gelegt. Edtstadler betonte aber, man könne sie im Fall des Falles wieder aktivieren.
Aus dem Gesundheitsministerium heißt es dazu: Das Gesetz als solches bleibe bestehen, für das Pausieren der Impfpflicht brauche es eine eigene Verordnung, die auch durch den Hauptausschuss des Nationalrats gehen muss. Und: "Über Details und Umfang dieser Verordnung kann erst nach deren Fertigstellung Auskunft erteilt werden."
Kommission sah Spielraum
Der Kommissionsbericht wurde zum Zeitpunkt des Pressetermins veröffentlicht. Darin heißt es zuallererst: "Die grundsätzliche Impfpflicht als probates Mittel zur Sicherstellung einer hohen Durchimpfungsrate ist prinzipiell weiterhin sinnvoll, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden."
Dann allerdings werden Einschränkungen genannt. Um das maximale Potenzial der Impfung auszuschöpfen, brauche es ein bestmögliches Timing: Möglichst viele Personen sollten Anfang September bis Mitte Oktober geboostert werden. Damit sei der jetzige Zeitpunkt aus grundrechtlicher Sicht nicht angemessen – zumindest nicht bei jenen, die bereits genesen oder geimpft seien. Bei denen wären ja etwaige weitere Stiche von einer Impfpflicht erfasst gewesen.
Was jene angeht, die bisher weder geimpft noch genesen sind, heißt es in dem Bericht: "Alternativ könnte für diese Gruppe die Impfpflicht früher umgesetzt werden, sodass drei Impfungen zeitlich jedenfalls möglich sind." Doch: Auch da gebe es medizinische und rechtliche Argumente für eine Verschiebung. Genannt wird in dem Bericht unter anderem, "dass gerade diese Personen die Impfpflicht subjektiv als besonders schwerwiegenden Eingriff empfinden werden", daher sei nach Ansicht der Kommission auch für diese Personengruppe ein "Hinausschieben der Umsetzung jedenfalls vom Einschätzungsspielraum des Staates gedeckt".
Jurist: Eine politische Entscheidung
Die Kommission – das Bundeskanzleramt setzte dafür die Medizinerin Eva Schernhammer und den Infektiologen Herwig Kollaritsch sowie den Staats- und Medizinrechtler Karl Stöger und die Rechtswissenschafterin Christiane Wendehorst ein – warnt in dem 25-seitigen Bericht aber auch, dass im Herbst "sehr wahrscheinlich" eine neue, möglicherweise massive Corona-Welle zu erwarten ist.
Der Verfassungsjurist Benjamin Kneihs ist kein Kommissionsmitglied. Verfassungsrechtlich, so sagt er, sei der Staat momentan weder dazu verpflichtet, eine Impfpflicht anzuordnen, noch sei ihm eine solche unter den gegenwärtigen Bedingungen verboten. "Die Aussetzung oder Aufrechterhaltung der Impfpflicht ist somit aus verfassungsrechtlicher Sicht neutral" und falle in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.
Impfpflicht für Gesundheitsberufe kommt auch nicht
Die Frage, ob denn mit der Absage der allgemeinen Impfpflicht die Impfpflicht für Gesundheitsberufe zurückkomme, verneinte Rauch. Man wolle nun keine Verwirrung stiften, sagte er sinngemäß. Eine partielle Impfpflicht war eigentlich schon einmal für Dezember angekündigt, der Gesetzesentwurf dafür war bereits fertig. Sie wurde dann aber abgeblasen, als die allgemeine Impfpflicht verkündet wurde.
Übrigens: Anders als bei vielen sonstigen Corona-Maßnahmen kann ein einzelnes Bundesland – etwa Wien – keine eigene Impfpflicht beschließen: "Ein Alleingang ist hier nicht vorgesehen", sagt Kneihs. (Gabriele Scherndl, 9.3.2022)