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Helfer in Irpin: "Ganze Familien sind verschwunden oder wurden getötet"
Jaroslaw Kuz ist Krisenkoordinator in der Kiewer Vorstadt Irpin, die nun so wie die Nachbarstadt Butscha von ukrainischen Soldaten zurückerobert wurde. Seine Schilderungen beinhalten sehr explizite Darstellungen von Gewalt
Interview
Stefan Schocher
4. April 2022, 11:2
,
Zerstörung in Irpin: Schon ganz zu Beginn des russischen Angriffskriegs schlugen dort Geschoße ein.
Foto: IMAGO/Daniel Ceng Shou-Yi
Die Bilder von toten Ukrainern in der Kiewer Vorstadt Butscha haben die Welt am Wochenende schockiert. Jaroslaw Kuz ist Koordinator des Krisenstabs in Irpin, jener Stadt bei Kiew, die gerade erst von ukrainischen Kräften zurückerobert wurde. Wie Butscha oder auch Hostomel war Irpin seit Anfang des Krieges schwer umkämpft. Jetzt werden die Schäden erhoben und die Toten gezählt.
STANDARD: Herr Kuz, wie ist die Lage in Irpin und in der Region um die Stadt derzeit?
Kuz: Es sind keine Russen mehr hier, und auch die russische Artillerie erreicht Irpin nicht mehr. Wir entminen die Stadt derzeit und versuchen die Infrastruktur wiederherzustellen, um die Stadt wiederzubeleben.
STANDARD: Die Bilder aus Butscha gehen derzeit um die Welt. Sie waren die ganze Zeit in Irpin. Was ist da passiert in diesem Gebiet?
Kuz: Der ganze Krieg hat ja begonnen in Hostomel, Butscha und Irpin. Was wir gesehen haben, war, wie Schulen, Kindergärten, Privathäuser, Wohnhäuser beschossen und besetzt wurden. Sie haben die ganze Region besetzt. Das ist ein Gebiet mit vielen neuen Häusern. Irpin hatte 100.000 Einwohner, und die meisten davon waren Mittelstand, davon sehr viele Familien. 40 Prozent der Bewohner waren Kinder.
Irpin war eine sehr junge Stadt; eine komfortable und moderne Stadt. Das hat die Russen sehr überrascht. Ihnen wurde von der eigenen Propaganda eingetrichtert, die Ukraine sei rückständig, die Ukrainer würden in winzigen Häusern leben und russische Kinder kreuzigen. Und dann wurde es wirklich wirklich schlimm. Sie haben damit begonnen, ganz einfach Menschen zu erschießen – Frauen, Kinder, Zivilisten. Sie haben Autos, in denen Familien saßen, mit Panzern überfahren. Sie haben Frauen vergewaltigt, sie getötet, weggeworfen wie Mist und sie dann einfach verbrannt. Sie haben Tote mit Panzern überrollt.
STANDARD: Haben Sie das selbst gesehen?
Kuz: Ich war und bin der Koordinator des Krisenstabs und der Lokalverteidigung. Ich habe gesehen, wie eine Familie in ihrem Auto erschossen wurde. Ich habe gesehen, wie tote Frauen auf die Straße geschmissen wurden und mit Panzern überfahren wurden. Ich habe gesehen, wie Kinder in Autos erschossen wurden.
STANDARD: Wie hat sich das zu diesem Horror aufgebaut?
Kuz: Wir haben die Evakuierungen organisiert. Bis zum 5. März hat das einigermaßen funktioniert. Nach dem 5. März wurde es nahezu unmöglich, Menschen aus der Stadt zu holen. Das humanitäre Koordinierungszentrum in der Stadt wurde gezielt beschossen. Zu dieser Zeit waren keine internationalen Organisationen in Irpin. Wir waren auf uns gestellt.
Erst jetzt ist das Rote Kreuz da. In der Nacht vom 5. auf den 6. März haben wir dann beschlossen, so viele Menschen wie nur irgendwie möglich aus der Stadt zu bringen. Um 6.30 Uhr morgens haben wir die Leute in alle möglichen Verkehrsmittel gepresst, und sobald die Kolonne stand, begann der Beschuss. Die Menschen waren alle müde und erschöpft. Man hat es ihnen angesehen. Und dann stelle man sich vor, man steht mit tausenden Menschen mitten auf einer Brücke, und rundherum schlägt die Artillerie ein. Die ganze Zeit. Da kann man eine Javelin (Panzerabwehrwaffe, Anm.) bei sich haben oder ein Maschinengewehr, das bringt alles gar nichts.
Alles, was man tun kann, ist, sich hinlegen und danach alle Toten zählen. Und das haben wir oft gemacht. So lange, bis wir fast alle Leute, die auch aus Irpin rauswollten, raushatten. Zu den Menschen in zwei Teilen der Stadt, die unter russischer Kontrolle waren, hatten wir allerdings keinen Kontakt. Von dort konnten wir niemanden evakuieren.
STANDARD: Es gab also keine Koordination mit der russischen Armee, was diese Korridore angeht?
Kuz: Nein. Wir haben versucht, Kontakt aufzunehmen. Freiwillige sind auch in diese Gebiete gefahren, aber sobald sie sich den russischen Positionen genähert haben, wurden sie beschossen.
Zitat von Gast im Beitrag #1
Helfer in Irpin: "Ganze Familien sind verschwunden oder wurden getötet"
Jaroslaw Kuz ist Krisenkoordinator in der Kiewer Vorstadt Irpin, die nun so wie die Nachbarstadt Butscha von ukrainischen Soldaten zurückerobert wurde. Seine Schilderungen beinhalten sehr explizite Darstellungen von Gewalt
Interview
Stefan Schocher
4. April 2022, 11:2
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Zerstörung in Irpin: Schon ganz zu Beginn des russischen Angriffskriegs schlugen dort Geschoße ein.
Foto: IMAGO/Daniel Ceng Shou-Yi
Die Bilder von toten Ukrainern in der Kiewer Vorstadt Butscha haben die Welt am Wochenende schockiert. Jaroslaw Kuz ist Koordinator des Krisenstabs in Irpin, jener Stadt bei Kiew, die gerade erst von ukrainischen Kräften zurückerobert wurde. Wie Butscha oder auch Hostomel war Irpin seit Anfang des Krieges schwer umkämpft. Jetzt werden die Schäden erhoben und die Toten gezählt.
STANDARD: Herr Kuz, wie ist die Lage in Irpin und in der Region um die Stadt derzeit?
Kuz: Es sind keine Russen mehr hier, und auch die russische Artillerie erreicht Irpin nicht mehr. Wir entminen die Stadt derzeit und versuchen die Infrastruktur wiederherzustellen, um die Stadt wiederzubeleben.
STANDARD: Die Bilder aus Butscha gehen derzeit um die Welt. Sie waren die ganze Zeit in Irpin. Was ist da passiert in diesem Gebiet?
Kuz: Der ganze Krieg hat ja begonnen in Hostomel, Butscha und Irpin. Was wir gesehen haben, war, wie Schulen, Kindergärten, Privathäuser, Wohnhäuser beschossen und besetzt wurden. Sie haben die ganze Region besetzt. Das ist ein Gebiet mit vielen neuen Häusern. Irpin hatte 100.000 Einwohner, und die meisten davon waren Mittelstand, davon sehr viele Familien. 40 Prozent der Bewohner waren Kinder.
Irpin war eine sehr junge Stadt; eine komfortable und moderne Stadt. Das hat die Russen sehr überrascht. Ihnen wurde von der eigenen Propaganda eingetrichtert, die Ukraine sei rückständig, die Ukrainer würden in winzigen Häusern leben und russische Kinder kreuzigen. Und dann wurde es wirklich wirklich schlimm. Sie haben damit begonnen, ganz einfach Menschen zu erschießen – Frauen, Kinder, Zivilisten. Sie haben Autos, in denen Familien saßen, mit Panzern überfahren. Sie haben Frauen vergewaltigt, sie getötet, weggeworfen wie Mist und sie dann einfach verbrannt. Sie haben Tote mit Panzern überrollt.
STANDARD: Haben Sie das selbst gesehen?
Kuz: Ich war und bin der Koordinator des Krisenstabs und der Lokalverteidigung. Ich habe gesehen, wie eine Familie in ihrem Auto erschossen wurde. Ich habe gesehen, wie tote Frauen auf die Straße geschmissen wurden und mit Panzern überfahren wurden. Ich habe gesehen, wie Kinder in Autos erschossen wurden.
STANDARD: Wie hat sich das zu diesem Horror aufgebaut?
Kuz: Wir haben die Evakuierungen organisiert. Bis zum 5. März hat das einigermaßen funktioniert. Nach dem 5. März wurde es nahezu unmöglich, Menschen aus der Stadt zu holen. Das humanitäre Koordinierungszentrum in der Stadt wurde gezielt beschossen. Zu dieser Zeit waren keine internationalen Organisationen in Irpin. Wir waren auf uns gestellt.
Erst jetzt ist das Rote Kreuz da. In der Nacht vom 5. auf den 6. März haben wir dann beschlossen, so viele Menschen wie nur irgendwie möglich aus der Stadt zu bringen. Um 6.30 Uhr morgens haben wir die Leute in alle möglichen Verkehrsmittel gepresst, und sobald die Kolonne stand, begann der Beschuss. Die Menschen waren alle müde und erschöpft. Man hat es ihnen angesehen. Und dann stelle man sich vor, man steht mit tausenden Menschen mitten auf einer Brücke, und rundherum schlägt die Artillerie ein. Die ganze Zeit. Da kann man eine Javelin (Panzerabwehrwaffe, Anm.) bei sich haben oder ein Maschinengewehr, das bringt alles gar nichts.
Alles, was man tun kann, ist, sich hinlegen und danach alle Toten zählen. Und das haben wir oft gemacht. So lange, bis wir fast alle Leute, die auch aus Irpin rauswollten, raushatten. Zu den Menschen in zwei Teilen der Stadt, die unter russischer Kontrolle waren, hatten wir allerdings keinen Kontakt. Von dort konnten wir niemanden evakuieren.
STANDARD: Es gab also keine Koordination mit der russischen Armee, was diese Korridore angeht?
Kuz: Nein. Wir haben versucht, Kontakt aufzunehmen. Freiwillige sind auch in diese Gebiete gefahren, aber sobald sie sich den russischen Positionen genähert haben, wurden sie beschossen.
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