Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht auf Freitag
Birte Bredow
vor 2 Std
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Noch immer harren wohl mehr als 100.000 Menschen in Mariupol aus. Bei Angriffen im Osten und Süden der Ukraine gab es erneut Tote. Selenskyj spricht von Hunderten Milliarden Dollar für den Wiederaufbau. Der Überblick.
© Anastasia Vlasova / Getty Images
Was in den vergangenen Stunden geschah
Russische Truppen haben nach Angaben aus Kiew binnen 24 Stunden 42 Orte in der Region Donezk im Osten des Landes besetzt. Das teilte eine Beraterin des ukrainischen Präsidentenbüros, Olena Simonenko, im ukrainischen Fernsehen mit, wie die Agentur Unian berichtete.
Im Osten und Süden des Landes sind laut ukrainischen Angaben mehrere Menschen durch Beschuss verletzt oder getötet worden. In der Region Charkiw seien zwei Personen getötet worden, nachdem ein Geschoss in ein Auto eingeschlagen war, teilte der Gouverneur Oleh Synjehubow mit. Zwei weitere Personen seien bei zwei weiteren separaten Vorfällen verletzt worden.
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Insgesamt seien am Donnerstag in der Region Charkiw etwa 50 russische Angriffe durch Artillerie und Mehrfachraketenwerfer registriert worden. Aktive Gefechte gebe es nahe der Kleinstadt Isjum.
Aus dem südukrainischen Saporischschja hieß es, bei zweimaligem Beschuss der Stadt am Donnerstagmittag seien acht Personen verletzt worden. Das teilte der Gouverneur des Gebiets, Olexander Staruch auf Telegram mit. Eine Rakete sei auf der Insel Chortyzja unweit einer Brücke eingeschlagen. Zu dieser Zeit sei ein Evakuierungszug in Richtung Lemberg über die Gleise der Brücke gefahren. Infolge der Druckwelle der Explosion seien die Fenster von vier Waggons zerstört worden sowie die Fenster von Autos, die gerade auf der Brücke waren. Bei einem zweiten Einschlag seien die Gebäude eines Sanatoriums beschädigt worden.
Aus der Region Dnipropetrowsk hieß es, am Donnerstagabend sei im Bezirk Nowomoskowsk nordöstlich der Gebietshauptstadt Dnipro Eisenbahninfrastruktur angegriffen worden. Infolge von drei Raketenangriffen seien fünf Menschen verletzt und Bahngleise vollständig zerstört worden, schrieb der regionale Verwaltungschef Walentyn Resnitschenko auf Telegram.
Aus der südlichen Großstadt Mykolajiw wurde am Donnerstagabend eine Explosion gemeldet. Bürgermeister Olexander Senkewytsch rief die Bürger der Stadt dazu auf, die nächtliche Ausgangssperre zu beachten. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Das sagt Kiew
Russland habe den Vorschlag einer Feuerpause über die orthodoxen Osterfeiertage abgelehnt, sagte der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in seiner Videobotschaft in der Nacht zum Freitag. Dies zeige, was der christliche Glaube und einer der fröhlichsten und wichtigsten Feiertage den Führern Russlands gelte. »Wir werden aber trotzdem die Hoffnung behalten. Die Hoffnung auf Frieden, die Hoffnung darauf, dass das Leben über den Tod siegt«. Orthodoxe Christen begehen Ostern in diesem Jahr am 24. April. Sie stellen die größte Glaubensgruppe in der Ukraine.
Der Widerstand in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol dauere an, so Selenskyj. Die Stadt widersetze sich weiter Russland. »Trotz allem, was die Besetzer über sie sagen.« Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die Stadt am Donnerstagmorgen für erobert erklärt. Allerdings haben sich in dem Stahlwerk Azovstal in Mariupol nach russischen Angaben mehr als 2000 ukrainische Kämpfer und ausländische Söldner verschanzt. Sie gingen bisher nicht auf Putins Forderungen ein, die Waffen niederzulegen.
Video: Krieg in der Ukraine: So ist die Lage (glomex)
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Selenskyj sag außerdem, Russland verlege weiter Truppen. »Sie sammeln Kräfte und treiben neue taktische Bataillone in unser Land.« Im Osten und Süden der Ukraine täten russische Einheiten alles, um wenigstens von »irgendwelchen« Siegen sprechen zu können.
Bei einer Videoschalte während eines Treffens des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Washington wies Selenskyj auf die finanziellen Folgen für sein Land hin. Wegen des russischen Angriffs benötige die Ukraine alleine als Ausgleich für wirtschaftliche Ausfälle monatlich sieben Milliarden Dollar. »Und wir werden hunderte Milliarden Dollar für den Wiederaufbau benötigen«, sagte Selenskyj.
Internationale Reaktionen
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin will in der kommenden Woche auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz mit Kollegen aus mehreren Ländern zum Krieg in der Ukraine beraten. Das Treffen solle am kommenden Dienstag stattfinden, kündigte Pentagon-Sprecher John Kirby an. Kirby nannte keine Details zur Teilnehmerliste. Es würden aber nicht nur Nato-Staaten eingeladen. Ein Ziel des Treffens sei die dauerhafte Sicherheit und Souveränität der Ukraine.
Deutschland wird einem Bericht der »Augsburger Allgemeinen« zufolge weitere rund 37 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Ukraine bereitstellen. Die Mittel sollen laut Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze eingesetzt werden, um Kriegsschäden zu beheben.
Unterdessen geht die Debatte über die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland weiter. Die Union dringt auf eine Abstimmung. »Sollte in den kommenden Tagen kein Umdenken der Bundesregierung stattfinden, ist mehr denn je das Parlament gefordert«, sagt Parlamentsgeschäftsführer Patrick Schnieder (CDU) der Zeitung »Rheinische Post«. Der Streit in der Ampel und »insbesondere das Zaudern des Bundeskanzlers« sei mehr als blamabel.
Zum ersten Mal seit dem Beginn der russischen Invasion wird eine kleine Anzahl ukrainischer Truppen in Großbritannien ausgebildet. Ein Sprecher von Premierminister Boris Johnson sagte, die Truppen hätten in diesem Monat mit der Ausbildung an gepanzerten Patrouillenfahrzeugen begonnen, die von Großbritannien gespendet worden waren.
Wegen des Krieges in der Ukraine hat es beim halbjährlichen Ministertreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) keine gemeinsame Erklärung gegeben. »Russlands Krieg gegen die Ukraine hat es unmöglich gemacht, einen Konsens zu finden«, teilte die Vorsitzende des IWF-Lenkungsausschusses, Spaniens Finanzministerin Nadia Calviño, mit. Sie habe aber die Unterstützung der »überwältigenden Mehrheit« der 189 Mitglieder. Die Finanzminister und Zentralbanker riefen demnach vor allem zur Beendigung des Krieges in der Ukraine auf und zeigten sich besorgt über die wirtschaftlichen Auswirkungen, die »eine globale Reichweite haben«.
Die Behörden von Kirgistan haben ihre Bürger davor gewarnt, ihre Unterstützung für den russischen Krieg in der Ukraine offen zur Schau zu stellen. Die Verwendung des pro-russischen »Z«-Symbols bei Veranstaltungen zum anstehenden Gedenktag des Sieges über Nazi-Deutschland könne »Hass zwischen Volksgruppen schüren«, teilte der Nationale Sicherheitsausschuss von Kirgistan am Donnerstag mit. Dies sei eine Straftat. Kirgistan ist ein enger Verbündeter Russlands und hat Moskau für seinen Angriff auf die Ukraine bislang nicht kritisiert.
Humanitäre Lage
Für die weitgehend zerstörte und von russischen Truppen belagerte südostukrainische Hafenstadt Mariupol ist ukrainischen Angaben zufolge erneut kein Fluchtkorridor zustande gekommen. »Seitens der Russen läuft alles schwierig, chaotisch, langsam und natürlich unehrlich«, schrieb Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk bei Telegram.
Hoffnung gebe nur die Tatsache, dass am Vortag vier Busse aus Mariupol nach Berdjansk fahren konnten. Drei der Busse seien im Regierungsgebiet angelangt. Der Verbleib eines Busses sei unbekannt. Medienberichten zufolge kamen knapp 80 Menschen in Saporischschja an.
Nach Angaben der prorussischen Donezker Separatisten hatten am Vortag etwa 130 Menschen eine von der russischen Militärführung ausgerufene Feuerpause zur Flucht genutzt. Ukrainischen Angaben zufolge sollen noch mehr als 100.000 Menschen in Mariupol ausharren. Die Separatisten sprechen von mehr als doppelt so vielen Einwohnern.
Experten befürchten schwere psychische Erkrankungen – Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen – bei rund einem Drittel der ukrainischen Geflüchteten. Der Geschäftsführer der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, Lukas Welz, sagte dem »Redaktionsnetzwerk Deutschland«: »Werden diese Leiden nicht durch Beratung, Begleitung und Therapie adressiert, können sie sich chronifizieren und zu einer jahrzehntelangen oder auch lebenslangen gesundheitlichen Belastung führen.« Es habe aber auch schon vor dem Krieg zu wenig Therapieplätze und lange Wartelisten für Traumatisierte gegeben.
Was heute passiert
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock besucht Litauen. Im Zentrum der Gespräche steht nach Angaben eines Sprechers des Auswärtigen Amtes in Berlin die Reaktion von EU, Nato und internationaler Gemeinschaft auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Vormittags trifft Baerbock Staatspräsident Gitanas Nausėda, anschließend steht ein Gespräch mit Außenminister Gabrielius Landsbergis auf dem Programm. Vor dem Rückflug ist noch ein Besuch beim Nato-Gefechtsverband in Rukla, der von dem deutschen Oberstleutnant Daniel Andrä geführt wird, geplant.
In der lettischen Hauptstadt Riga findet ein Treffen des Ministerpräsidenten und der Ministerpräsidentinnen der baltischen Staaten statt. Im Mittelpunkt der Gespräche der Regierungschefs Krišjānis Kariņš (Lettland), Kaja Kallas (Estland) und Ingrida Šimonytė (Litauen) stehen der russische Krieg in der Ukraine und regionale Sicherheitsfragen.