Russische Offensive im Donbass: Jetzt beginnt ein Abnutzungskrieg
Russland attackiert im Donbass, Putin will bis zum 9. Mai Erfolge vorweisen. Sein Militär geht bislang vorsichtiger vor. Doch auch die Verteidiger haben sich vorbereitet.
Eine Analyse von Hauke Friederichs
22. April 2022, 7:26 Uhr 215 Kommentare
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Russische Offensive im Donbass: Ein russischer Soldat in der Region Luhansk
Ein russischer Soldat in der Region Luhansk © Alexander Nemenov/AFP/Getty Images
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Russische Geschütze feuern auf ukrainische Stellungen, Bodentruppen attackieren Städte im Donbass. Aus den Regionen Luhansk, Donezk und Charkiw melden ukrainische Vertreter heftige Gefechte und andauernden Beschuss mit Artillerie. Von neuen, schweren Angriffen der Russen im Osten und Südosten berichtet auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Fernsehansprache.
Der Krieg in der Ukraine tritt seit Montag in eine neue Phase. Bislang sind die Geländegewinne der Angreifer gering. Allerdings hat der russische Generalstab die meisten Bodentruppen noch gar nicht eingesetzt, sondern setzt auf den Beschuss mit Waffensystemen großer Reichweite. Darauf haben die Verteidiger sich vorbereitet: Seit Jahren bauen die ukrainischen Streitkräfte im Donbass Stellungen aus, sie verfügen über Bunker und zahlreiche Unterstände. In der Region stehen zudem die kampferfahrensten ukrainischen Einheiten. Russland rechnet offenbar mit zähem Widerstand und versucht momentan, die Verteidiger mit Bomben, Granaten und Raketen zu zermürben.
"Diese Großoffensive beginnt mit schwerem Artilleriebeschuss und Luftschlägen, um die Verteidiger zu schwächen", sagt Gerhard Mangott, Professor für Internationale Politik an der Universität Innsbruck, ZEIT ONLINE. "Erst dann werden die russischen Generäle eine offene Feldschlacht wagen." Das Terrain dort sei offen und flach, es gebe wenig Deckung. Deswegen gingen die russischen Streitkräfte bedacht vor. "Die Angreifer lassen sich Zeit", sagt Mangott. "Sie müssen nicht bis zum 9. Mai, dem Tag des Sieges über den Faschismus, den gesamten Donbass eingenommen haben."
Bald größere Angriffe
Diesen Tag feiert Russland traditionell mit großen Paraden. Bis zum 9. Mai will das russische Regime erste Erfolge präsentieren können, das stellt das britische Verteidigungsministerium in seinem täglichen Update zur Lage in der Ukraine fest. Dennoch gehen die Generäle bei der Offensive im Donbass besonnener vor als in den ersten Wochen des Krieges. Diesmal lassen sich die russischen Streitkräfte mehr Zeit, bauen Logistikketten auf und richten eine bessere Kommandostruktur ein. Treibstoffmangel, eine schlechte Versorgung der Fronteinheiten mit Lebensmitteln und schlechte Kommunikationsmittel sorgten für schlechte Motivation bei der Truppe und schwächten die Kampfkraft der Invasoren erheblich.
Dennoch stehen die Russen vor schweren Wochen. Bei solchen Offensiven brauchen die Angreifer deutlich mehr Soldaten als die Verteidigerinnen und Verteidiger. "Es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, wie viele Ukrainer im Osten wie vielen Russen gegenüberstehen. Aber in keiner Kombination erreichen die Russen ein 4:1 oder 3:1 Verhältnis", stellt Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Bundeswehruniversität in München fest. Die erforderliche personelle Überlegenheit kann Russland wohl nur an einzelnen Punkten der Frontlinie herstellen.