Russlands Krieg gegen die Ukraine
Belarus: Was in den Wäldern an der Grenze zur Ukraine passiert
Als der Krieg gegen die Ukraine losging, marschierten russische Truppen von Belarus aus in die Gebiete um Kiew und Tschernihiw ein. Inzwischen sind sie von dort verschwunden. Aber sind sie noch im Süden von Belarus?
DW-Reportage - Grenze der Ukraine mit Belarus und Polen.
Waldgebiet zwischen Belarus und der Ukraine
"Man kann es nicht mit dem vergleichen, was im Februar oder März passierte, als endlose Kolonnen von Fahrzeugen an uns vorbei fuhren, erst in Richtung Ukraine und dann wieder zurück", sagt eine Bewohnerin der belarussischen Stadt Mosyr über das russische Militär. Jelena, wie sie sich vorstellt, berichtet, heute seien in ihrer Stadt nur noch selten Männer in Militäruniform zu sehen.
Einheiten der russischen Armee waren den Menschen im Süden von Belarus allerdings nicht erst mit Beginn des Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar aufgefallen, sondern schon Anfang des Jahres, während der russisch-belarussischen Manöver, die noch vor dem russischen Angriff abgehalten wurden.
Jelena zufolge waren die vergangenen Wochen in Mosyr angespannt, auch wenn das russische Militär in einem Feldlager außerhalb der Stadt stationiert war. "Sie waren häufig in Einkaufszentren, Bars und Restaurants zu sehen. Ich weiß nicht, ob es Konflikte mit der lokalen Bevölkerung gab, ich habe zumindest nichts gehört, aber die Russen benahmen sich manchmal schon wie 'Hausherren', also sehr grob", erzählt die Frau über die russischen Soldaten.
Ukraine | Kriegsschäden in Irpin
Zerstörungen nach dem Rückzug der russischen Truppen in Irpin bei Kiew
Als die russischen Truppen sich aus der Ukraine zurückzogen, brachten sie von dort Haushaltsgeräte und andere gestohlene Dinge mit. All dies hätten die Militärs, so Jelena, versucht, auf einem spontan eingerichteten Markt an die Einwohner von Mosyr zu verkaufen, sogar Dieselkraftstoff, der durchaus gefragt gewesen sei. Doch die Soldaten hätten vermieden, über das "ukrainische Thema" zu sprechen, erinnert sich Jelena und fügt hinzu: "Sie sagten, dass es ihnen verboten sei, darüber zu reden."
Stille auf den Eisenbahnschienen
Inzwischen ist auch keine militärische Ausrüstung mehr an belarussischen Bahnhöfen in der Nähe der Grenze zur Ukraine zu sehen. Bewohner von Gomel, Mosyr und anderen Städten der Region schreiben in sozialen Netzwerken, Transporte mit gepanzerten Fahrzeugen, Panzern und anderen schweren Waffen seien heute selten zu beobachten. "Meistens handelt es sich um beschädigtes Gerät, das abtransportiert wird, da es offenbar vor Ort nicht repariert werden kann", so ein Bewohner von Gomel.
Dass das Schienennetz in Belarus für den Transport militärischer Ausrüstung inzwischen selten genutzt wird, kann auch auf Sabotageakte gegen die Infrastruktur der Belarussischen Eisenbahn zurückzuführen sein. Berichten zufolge soll es seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine in Belarus mindestens zehn Fälle von Sabotage gegeben haben. Einige von ihnen wurden von den Behörden offiziell bestätigt und sogar als "Terrorakte" eingestuft.
Betreten von Wäldern verboten
Während in den großen Städten von Belarus russische Soldaten nicht mehr so stark ins Auge fallen, bekommen die Bewohner der belarussischen Dörfer im Grenzgebiet zur Ukraine jetzt zu spüren, dass sich in ihren Wäldern russische Einheiten aufgehalten hatten.
So ist mit Stand vom 18. April das Betreten von Wäldern in zehn Bezirken der Region Gomel und in drei Bezirken der Region Brest entweder eingeschränkt oder ganz verboten. Offizieller Grund für das Verbot ist die hohe Brandgefahr in Wäldern und Mooren. Doch die Dorfbewohner wollen dies nicht glauben, zumal der Frühling in diesem Jahr kalt sei und gar keine Waldbrände gemeldet worden seien.
Ukraine Krise | Russische Militärtechnik an der Grenze zwischen Belarus und Ukraine
Transport russischer Militärtechnik an der Grenze zwischen Belarus und der Ukraine
Michail, der in Olmany in der Region Brest lebt, glaubt eher den Gerüchten, nach denen in den Wäldern Munition und Waffen zurückgeblieben seien. "Jetzt wird viel darüber geredet, dass es in unseren Wäldern und Sümpfen noch Verstecke gibt, wo die russische Armee Minen und Sprengstoff gelagert hatte, um den Krieg gegen die Ukraine zu führen. Aber irgendetwas ist wohl schief gelaufen", sagt der Mann.
Für diese Vermutung sprechen auch Anweisungen der Behörden an die Menschen im belarussisch-ukrainischen Grenzgebiet. Demnach muss der Fund von Waffen, Munition oder Sprengstoff gemeldet werden. Wer dies nicht tue, mache sich strafbar. Solche Mitteilungen habe es früher nicht gegeben, sagen Menschen vor Ort.
"Schutz vor möglichen Saboteuren"
In den belarussischen Wäldern, vor allem in den Gebieten der Regionen Brest und Gomel, die an die Ukraine grenzen, sind nach wie vor Armeeeinheiten unterwegs. Allerdings sind es keine russischen Soldaten mehr, sondern Angehörige der belarussischen Streitkräfte. Nach Angaben des belarussischen Verteidigungsministeriums "erfüllen die Soldaten weiterhin Aufgaben zur Verstärkung von Abschnitten der Südgrenze des Landes".
Wie ein belarussischer Major, der ungenannt bleiben möchte, berichtet, wird der Einsatz offiziell als "Schutz vor möglichen Saboteuren und illegalen bewaffneten Verbänden" bezeichnet. Der Gesprächspartner der DW stellt aber fest, dass die Lage an der Grenze zur Ukraine derzeit nicht viel Anlass zur Sorge gebe.
Der Chef des belarussischen Sicherheitsrates, Alexander Wolfowitsch, hingegen sagte in einem Interview für staatliche belarussische Medien, man könne angeblich nicht ausschließen, dass es zu "Provokationen gegen Belarus" komme, um das Land "in den Konflikt hineinzuziehen".
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk
Die Redaktion empfiehlt
Warum ist der Donbass so wichtig für Russland?
Die russische Armee hat sich neu formiert und konzentriert ihre Angriffe auf die Ostukraine. Ganz überraschend kommt das nicht. Doch warum geht es Wladimir Putin immer ausgerechnet um Luhansk und Donezk?
Militärexperte: "Der Krieg in der Ukraine geht jetzt in eine entscheidende Phase"
Russland hat im Donbass eine Offensive begonnen und beträchtliche Kräfte zusammengezogen. Die DW hat mit Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) über den weiteren Kriegsverlauf gesprochen.
Ljudmila Ulitzkaja: "Folgen des Krieges werden schrecklich sein"
Die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja ist wegen des Ukraine-Kriegs nach Berlin ausgewandert. Im DW-Interview berichtet sie von der Ohnmacht der russischen Gesellschaft.
Audio und Video zum Thema