BENEDIKT XVI.
Harter Kardinal oder sanfter Papst
Joseph Ratzinger als Professor, Kardinal und Papst im Blickwinkel der Medien.
Benedikt XVI. twittert
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Benedikt XVI. setzte als erster Papst der Geschichte einen Tweet ab und führte den Heiligen Stuhl in die Welt der Sozialen Medien.
17.01.2023, 15:00 Uhr
Peter Winnemöller
Eigentlich war der Theologe und Priester Joseph Ratzinger als Kaplan und Dozent am Priesterseminar nur der kleine Bruder des begabten Kirchenmusikers Georg Ratzinger. Erst später wurde er als „Konzilsteenager“ bekannt, der mit 35 Jahren theologischer Berater von Kardinal Josef Frings und Peritus des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde. Bis zur Schlagzeile „Wir sind Papst“ hatte der begabte Intellektuelle noch einen weiten Weg, meist jenseits der Medienwelt, vor sich.
Debatten auf höchstem akademischen Niveau
Der junge Erzbischof von München wurde in den regionalen Medien positiv aufgenommen. Doch der scheue Theologe, der als Intellektueller eher das Studierzimmer als die offene Bühne suchte, wurde nur wenige Jahre später zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen. Plötzlich galt er seinen Landsleuten wegen einiger klarer Entscheidungen zugunsten des katholischen Glaubens als „Panzerkardinal“ oder „Gottes Rottweiler“. Wer den bescheidenen Mann in Rom auf dem Petersplatz traf, konnte von derartigen Zuschreibungen nur befremdet sein.
In seinem ersten Interviewbuch mit dem Journalisten Peter Seewald, „Salz der Erde“, erzählte er von der Arbeit des Präfekten der Glaubenskongregation – von einsamen, harten Entscheidungen war da nichts zu hören, im Gegenteil: In jedem Fall gingen einer Entscheidung zahlreiche Gutachten von und Diskussionen mit international renommierten Wissenschaftlern voraus. Und im Gegensatz zu dem gerade in deutschen Medien gezeichneten Bild wurde der Präfekt der Glaubenskongregation andernorts durchaus als brillanter Intellektueller wahrgenommen: Auf höchstem akademischen Niveau konnte man die geführten Debatten ansehen, die er mit dem Berliner Landesbischof Wolfgang Huber im Jahr 1998 oder mit Jürgen Habermas im Jahr 2004 in München führte. Unvergessen war zudem die Predigt bei der Beerdigung von Johannes Paul II. Selbst der nicht übermäßiger Papstsympathie verdächtige „Spiegel“ wusste sich vor Begeisterung kaum zu halten. Es wäre also ungerecht, von einem medienscheuen, ungeschickt in der Öffentlichkeit agierenden Kardinal zu reden.
Natürlich war die „Bild“-Schlagzeile „Wir sind Papst“ ein Knaller. Doch in Deutschland hielt sich innerkirchlich die Begeisterung über den deutschen Papst in Grenzen: Auch wenn die Medien zuerst vorwiegend positiv auf den Papst schauten, in der Kirche blieb die Begeisterung schmallippig. Es fiel dem frischgewählten Papst im Sommer 2005 in Köln erkennbar schwer, den Jubel der Jugend aus aller Welt zu akzeptieren. Langsam fand er sich rein und zunehmend taute das Eis zwischen Jugend und Papst. Die Inszenierung allerdings war angefangen von der Rheinschifffahrt bis zum Schlusssegen auf dem Marienfeld perfekt: Die Benedetto-Rufe konnten auch deutsche Medien nicht ausblenden. Der scheue Professor konnte hier in die Papstrolle hineinwachsen und beeindruckende Bilder liefern. Gleichwohl fehlte ihm die natürliche Affinität zu Menschenmassen, die sein Vorgänger im Blut hatte.
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Die Journalisten wollten nicht richtig zuhören
Eine akademische Vorlesung in Regensburg wurde dann zum Mediendesaster. Es zeigte sich jedoch ebenso, dass Medienvertreter nicht zuhören können: Der Papst zitierte einen islamkritischen byzantinischen Kaiser und unisono machten deutsche Medien daraus ein islamfeindliches Skandalzitat des deutschen Papstes. Hier zeigt sich, dass akademisches Niveau zuweilen nicht medienkompatibel ist. International war die Folge dieser Rede von „Professor Dr. Papst“ eine bis dato beispiellose Kommunikationsoffensive mit dem Islam. Denn in der islamischen Welt hatte man, trotz durchaus lauter Kritik und vereinzelter Ausschreitungen, aufmerksamer zugehört. Es folgte ein Besuch in der Türkei, der zu einem nachhaltigen Erfolg für die Kirche wurde. Dennoch: Nach Regensburg galt der Papst in Deutschland wieder als Hardliner. Sowohl weltliche als auch kirchliche Medien ließen kaum ein gutes Haar an ihm.
Wie sehr „dieses Internet“ eine Rolle in der Nachrichtenwelt spielt, musste Papst Benedikt dann im Jahr 2009 schmerzhaft erfahren, als er die Exkommunikation der Bischöfe der Piusbruderschaft aufgehoben hatte. Die antisemitischen Äußerungen von Bischof Williamson waren lange bekannt. Im Vatikan hatte man keine Kenntnis davon und Papst Benedikt selber gab zu, dass man beim Heiligen Stuhl das Internet als Nachrichtenquelle künftig besser berücksichtigen müsse. Eine solche Aussage ist neben entwaffnender Ehrlichkeit natürlich nicht unpeinlich, wenn man weiß, dass der Vatikan seit 1997 seine Informationen im Internet anbietet und damit lange vor jeder deutschen Diözese im Internet vertreten war. Papst Benedikt und die Kurie zeigten Lernfähigkeit, die er 2010 mit dem ersten Interviewbuch eines regierenden Papstes, „Licht der Welt“, untermauerte. Auch verbesserte sich trotz medialer Unkenrufe das Verhältnis zum Judentum nachträglich erheblich.
Der Besuch des Papstes im Jahr 2011 in Deutschland wurde begleitet vom ersten Social Media-Projekt der Kirche in Deutschland: Die Facebookseite „Papst in Deutschland“, die als stillgelegte Rumpfseite mit kaum noch funktionierenden Links noch zu sehen, war die erste religiöse Seite auf Facebook, die mehr als 5 000 Likes erreichte. Was heute nur ein Lächeln auslöst, war damals eine viel beachtete Rekordzahl. Zwar stand noch immer das Fernsehen mit seinen Bildern im Vordergrund, doch erstmals war ein Papstbesuch interaktiv: Menschen konnten ihre Eindrücke wiedergeben oder in Kommentaren zum Ausdruck bringen. Es dauerte noch ein Jahr, bis der Papst selber zum Player in den Sozialen Medien wurde: Der amerikanische Journalist Greg Burke arbeitete seit Anfang 2012 als Medienberater im Staatssekretariat und ebnete dem Papst den Weg in die Welt der sozialen Medien.
Der erste Tweet eines Papstes war eine Einladung
Am 12. Dezember 2012 um 11 Uhr 27 schickte der Papst die Botschaft „Liebe Freunde! Gerne verbinde ich mich mit Euch über Twitter. Danke für die netten Antworten. Von Herzen segne ich Euch“ über Twitter. Sein Nachfolger Franziskus gehört mit fast 55 Millionen Followern auf den Accounts in zahlreichen Sprachen zu den meistgefolgten Twitterern. Zuvor brachte das Jahr 2011 mit der Rede im Deutschen Bundestag noch einmal ein Medienhighlight für den Papst. Peinlich war die Abwesenheit zahlreicher Grünen-Politiker bei dieser Rede. Für die säkulare Öffentlichkeit war die wenige Tage später gehaltene Konzerthausrede nur wenig interessant: Der Papst sprach von einer Entweltlichung der Kirche, was Angestellte wie Funktionäre verärgerte. Verschwiegen wurde in allen Medien die Tatsache, dass der Pontifex den vom damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, in die Welt gesetzten innerkirchlichen Dialogprozess während der gesamten Reise mit keinem Wort erwähnte.
Am Ende seiner Amtszeit als Papst lieferte Benedikt XVI. ein Bild, dass noch kein Papst zuvor geliefert hatte: Der Papst flog mit dem Hubschrauber aus dem Vatikan und dem Amt in die Albaner Berge. Bis dato fand der Abschied von einem Papst immer auf der Totenbahre statt. So ambivalent das Bild des davonfliegenden Papstes war, so ambivalent war die Einschätzung des Rücktritts im Medienecho: Vom Lob für den Papst, der das Amt von der Person trennt bis zur Kritik, das Amt ad absurdum zu führen. Die Kritik entbehrt nicht einer gewissen Grundlage: In einer Welt der Bilder steht ein Mann im weißen, bodenlangen Gewand mit einer weißen Scheitelkappe für die katholische Kirche. Egal, wer in dem weißen Gewand steckt, er ist das Bild der Kirche. Und damit gilt unabhängig davon, wie man den Rücktritt des Papstes beurteilt: Zwei Männer in weißen Gewändern zerstören das Bild.
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Entgegen seinem zuerst geäußerten Wunsch blieb der Papst nicht unsichtbar. Es war der Nachfolger, der ihn in die Öffentlichkeit holte, indem er ihn zu öffentlichen Gottesdiensten einlud und ihn ermunterte zu schreiben und zu reden. Im Spiegel der Medien wurde dies dem emeritierten Papst, wie sich Benedikt XVI. nun nannte, zum Verhängnis: Denn anstatt eines Rückzugs ins Schweigen redete er vernehmlich wie eh und je – wie beispielsweise im Interviewband „Letzte Gespräche“ von 2016. So erkoren ihn Fans und Feinde des Nachfolgers je nach aktueller Lage auch schon mal zu einer Art Gegenpapst in den vatikanischen Gärten. Und so wurden manche Wortmeldungen zu Unrecht als Opposition des Emeritus zu Papst Franziskus gewertet.