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#1 von gertrud anne ( Gast ) , 13.02.2023 09:08

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INTERVIEW
„Formung im Geist der christlichen Werte ist Teil der Mission“
Studium in der Haftanstalt: Professoren der Katholischen Universität Lublin unterrichten Insassen. Wie das funktioniert und welche Studiengänge angeboten werden, berichtet Rektor Mirosław Kalinowski.

Foto: Tomasz Koryszko | Das Studienangebot für Häftlinge, die an der Katholischen Universität Lubin (KUL) studieren, richtet sich auch nach deren Bedürfnissen.
12.02.2023, 13:00 Uhr
Agnieszka Will
Die Katholische Universität Lublin Johannes Paul II. (KUL) bietet Insassen polnischer Strafvollzugsanstalten Zugang zu einem Hochschulstudium. Aktuell streben 31 Häftlinge einen Abschluss in Familienwissenschaften an. Ein Gespräch mit dem Rektor der Universität Mirosław Kalinowski.

Wie viele Insassen leben in der Untersuchungshaftanstalt in Lublin und wie viele von ihnen haben Zugang zu einem Studium an der KUL?
Die Untersuchungshaftanstalt in Lublin ist eigentlich eine Strafvollzugsanstalt für vorläufig festgenommene Männer und Frauen sowie für verurteilte Männer und Frauen, die ihre Strafe zum ersten Mal verbüßen. Aus unterschiedlichen Gründen, beispielsweise wegen des Verfahrensablaufs oder eines Studiums, sind in der Einheit aber auch rückfällig gewordene Straftäter untergebracht. Das Studium können auch Verurteilte aus Gefängnissen in ganz Polen aufnehmen, wenn sie einen Studienantrag stellen. Wenn die formalen Kriterien erfüllt sind, also ein bestandenes Abitur, wird der Insasse zum Studium zugelassen und in die Untersuchungshaftanstalt in Lublin versetzt, wo er dann ein Vollzeitstudium wahrnehmen kann. Aktuell studieren so insgesamt 31 Häftlinge Familienwissenschaften im Erst- und Aufbaustudium. Seit Beginn des Studienprogramms haben 90 Insassen ein Hochschulstudium an der KUL aufgenommen.

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Wie hat die Zusammenarbeit zwischen der Universität und der Haftanstalt begonnen?
Die Zusammenarbeit zwischen der Untersuchungshaftanstalt in Lublin und KUL begann im Jahr 2013, als 36 Insassen aus ganz Polen das dreijährige Bachelorstudium Streetworking/Sozialarbeit begannen. Insassen, die die Kriterien erfüllten, um die Haftanstalt zu verlassen, nahmen damals am Unterricht auf dem Gelände der Universität teil, zusammen mit den regulären Studenten. Nach drei Jahren konnten acht der Insassen ihr Studium im Rahmen eines Aufbaustudienganges fortsetzen. Zwei von ihnen haben es mittlerweile erfolgreich abgeschlossen. Die Differenz in der Zahl der Häftlinge, die ein Studium beginnen und es beenden, hängt unter anderem damit zusammen, dass einige in der Zwischenzeit entlassen wurden. Bemerkenswert ist jedoch, dass ein Teil der Menschen nach ihrer Haftentlassung das Studium fortgeführt hat, und zwar sowohl an der KUL als auch an anderen Universitäten. In einer zweiten Projektrunde hat die KUL 2019 erneut ein Aufnahmeverfahren begonnen. Diesmal wird der Studiengang Familienwissenschaften angeboten.

Wieso gerade Familienwissenschaften?
Das Studium berücksichtigt mit seinen Spezialisierungen die Bedürfnisse der Häftlinge. Im Grundstudium wird das Fach mit der Spezialisierung „Assistent einer unselbstständigen Person“ angeboten, während im Aufbaustudium „Soziokulturelle Animation“ angeboten wird. Die erste Spezialisierung berücksichtigt die Bedürfnisse der Strafvollzugsanstalten und des Arbeitsmarktes, der für entsprechend qualifizierte Assistenten unselbstständiger Personen offen ist, während die zweite für die Insassen eine Perspektive schafft, nach ihrer Entlassung aus der Haft eine Tätigkeit im NGO-Sektor zu finden, also bei Nichtregierungsorganisationen und Sozialunternehmen.

Wie funktioniert ein Studium für Häftlinge denn konkret, die das Gefängnis ja in der Regel nicht verlassen dürfen?
Das Studium findet von Montag bis Samstag statt. Derzeit wird das gesamte Programm ausschließlich auf dem Gelände der Untersuchungshaftanstalt in Lublin durchgeführt, in speziell für diese Zwecke vorbereiteten Unterrichtsräumen. Die Dozenten begeben sich zu den Veranstaltungen ins „KUL-Studienzentrum an der Untersuchungshaftanstalt in Lublin“, das 2022 eingeweiht wurde.

Richtet sich das Programm an alle Häftlinge oder nur an bestimmte Gruppen?
Das Programm richtet sich an die Verurteilten, denen das Lernen wichtig ist, beispielsweise weil sie ihre Freiheitsstrafe dazu nutzen wollen, ihre Bildung zu vervollständigen und ihre beruflichen Kompetenzen in Vorbereitung auf die Zeit nach der Haftentlassung zu erhöhen. Die Grundsätze des polnischen Strafvollzugsrechts zeigen auf, dass Lernen neben der Arbeit, kulturellen Veranstaltungen, sportlichen Aktivitäten, der Aufrechterhaltung des Kontaktes mit den Familien und der Außenwelt und therapeutischen Maßnahmen ein wichtiges Mittel zur Resozialisierung von Menschen, die eine Freiheitsstrafe verbüßen, darstellt. Wer durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, kann das Studium aufnehmen. Dabei ist es egal, in welcher Strafvollzugsanstalt die Verurteilten ihre Freiheitsstrafe verbüßen, weil die künftigen Studenten innerhalb geschlossener, halboffener und offener Strafvollzugsanstalten rekrutiert werden.

Gibt es unter den Häftlingen auch Frauen? Wenn ja, wie viele von ihnen haben ein Studium aufgenommen?
Aktuell studieren ausschließlich verurteilte Männer. Der Hauptgrund dafür ist der, dass es in der Untersuchungshaftanstalt in Lublin nur wenige Frauen gibt und diese gleichzeitig den Status einer vorläufig festgenommenen Person haben und nicht durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Man muss jedoch hervorheben, dass Frauen auch lernen dürfen, allerdings im Fernstudium.

Eines der Ziele des Programms für Häftlinge ist die Vermittlung von humanistischen und ethischen Werten. Welche Rolle spielen christliche Werte im Programm der Katholischen Universität Lublin?
Die intellektuelle, moralische und geistliche Formung im Geiste der christlichen Werte ist Teil der Mission der Katholischen Universität Lublin. Somit wurden auch im Programm für die Insassen missionarische Fächer wie Ethik, katholische Gesellschaftslehre, die Gesellschaftsidee von Johannes Paul II. sowie Wesen und Rolle der Bibel in der Kultur berücksichtigt. Im Rahmen anderer Übungen nehmen die Professoren auch die axiologischen Aspekte der Funktionsweise des Menschen durch. Im Rahmen des Studiums werden unter anderem Fächer wie Theologie der Familie und der Ehe, religiös-moralische Aspekte der Haushaltsführung, ausgewählte Begriffe der Ehe- und Familienmoral oder geistliche Aspekte im Leben älterer und behinderter Personen durchgenommen.

Welche Rolle spielen die Bibel und die katholische Kirche im Rahmen des Programms für Häftlinge?
Wir berücksichtigen die Perspektive der katholischen Ethik- und Theologietradition. Das hängt mit der Mission unserer Universität zusammen, aber auch damit, wie wir hier Familienwissenschaften betreiben. Weil hier ein anthropologisches Fundament der Ehe und Familie berücksichtigt wird, das auf einer christlichen Sicht des Menschen beruht, forschen und unterrichten wir im Geiste einer Verbindung zwischen Lehre und Glaube. Das Fach Wesen und Rolle der Bibel in der Kultur ist seit vielen Jahren Pflichtfach für alle Studierenden der KUL, darunter auch für die studierenden Insassen des Untersuchungsgefängnisses. Zusätzlich beinhaltet das Studienprogramm für Häftlinge ein ganzes Modul, das thematisch der Familienseelsorge und der karitativen Tätigkeit der katholischen Kirche gewidmet ist.


Gibt es ähnliche Projekte, die der KUL bei der Erstellung des Programms für Häftlinge als Vorbild dienten?
Unser Projekt „Resozialisierung durch akademische Bildung“ ist eine einzigartige Initiative, wir hatten kein Vorbild. Den Ursprung der Initiative bildete 2010 ein Forschungsprojekt, das im Rahmen einer EU-Finanzierung von Projekten, die der Marginalisierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen entgegenwirken, umgesetzt wurde. Die Ergebnisse des Berichts zeigten deutlich, dass eine gesellschaftliche Wiedereingliederung von Kriminellen, die durch eine Freiheitsstrafe bestraft wurden, möglich ist. Eine wesentliche Rolle in diesem Prozess stellt die Schaffung gesellschaftlicher Bindungen dar. Und das Studium für Insassen stellt eine wichtige Form der Schaffung gesellschaftlicher Bindungen zwischen den Insassen und der Gesellschaft dar.

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gertrud anne

   

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