Selenskyj fordert Bestrafung für "Terroristen und Mörder": Die Lage im Überblick
Aktualisiert am 30.04.2023, 09:21 Uhr
Die Aufräumarbeiten in der ukrainischen Stadt Uman sind einen Tag nach dem verheerenden Raketenangriff beendet. Präsident Selenskyj fordert nun Konsequenzen für alle Schuldigen.
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Einen Tag nach einem tödlichen Raketenangriff auf die Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj neben der russischen Führung auch Soldaten für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. "Nicht nur die Befehlshaber, sondern ihr alle, ihr seid alle Terroristen und Mörder und ihr alle müsst bestraft werden", sagte der 45-Jährige am Samstagabend in seiner täglichen Videoansprache. Jeder, der Raketen steuere und abfeuere, der Flugzeuge und Schiffe für den Terror warte, sei mitschuldig an den Toten des Kriegs, sagte er.
Hintergrund ist der Raketenangriff auf die Stadt Uman, bei dem am Freitag 23 Menschen ums Leben gekommen waren. Darunter waren nach Angaben Selenskyjs auch sechs Minderjährige. Jeder, der solche Raketenangriffe vorbereite, müsse wissen, dass er mitschuldig am Tod von Zivilisten sei, betonte der ukrainische Staatschef.
Selenskyj will Planungen für Tribunal vorantreiben
Deswegen sei es nötig, dass Russland tatsächlich für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werde. Einmal mehr sprach sich Selenskyj für die Schaffung eines internationalen Tribunals gegen Russland nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse gegen die Nazis aus.
Es sei es nicht ausreichend, Russland im Krieg zu schwächen, fügte Selenskyj hinzu. Zuvor hatte der ukrainische Staatschef in einem Interview von skandinavischen Medien erklärt, dass Russland bereits jetzt "jeden Tag schwächer" werde. Deswegen habe Moskau seine Taktik geändert und denke inzwischen nicht mehr an neue Eroberungen, sondern eher daran, die besetzten Gebiete zu verteidigen.
Kiew: Russen können Bachmut nicht vom Nachschub abschneiden
Hintergrund ist die erwartete ukrainische Gegenoffensive, mit der Kiew von Russland besetzte ukrainische Gebiete zurückerobern will. Derzeit allerdings ist noch Russland im Angriff - hat aber Schwierigkeiten, voranzukommen.
So können die russischen Angreifer beim Kampf um Bachmut die ukrainischen Nachschubwege in die schwer zerstörte Stadt nach Angaben aus Kiew nicht abschneiden. "Die Russen reden schon einige Wochen von der Eroberung der 'Straße des Lebens' sowie der ständigen Feuerkontrolle über sie. Tatsächlich ist alles anders", sagte der Sprecher der Heeresgruppe Ost der ukrainischen Streitkräfte, Serhij Tscherewatyj, dem Internetportal zn.ua. Zwar sei die Verbindungsstraße von Bachmut nach Tschassiw Jar umkämpft, doch den Russen gelinge es nicht, die Logistik der Verteidiger zu unterbrechen. Unabhängig ließen sich die Angaben nicht überprüfen.
Der Nachschub an Proviant, Waffen und Munition sei gesichert, erklärte Tscherewatyj. Einerseits behaupteten die ukrainischen Kräfte ihre Positionen entlang der Straße, andererseits hätten Ingenieure bereits neue Wege nach Bachmut verlegt. "Das alles erlaubt es, Bachmut weiter zu halten", sagte er. Auch der ukrainische Generalstab sprach in seinem Lagebericht von "erfolglosen Versuchen" der russischen Angreifer, Geländegewinne in dem Raum zu erzielen.
Bachmut wird seit Monaten von russischen Truppen, speziell der Söldnertruppe Wagner, attackiert. Inzwischen kontrollieren die Angreifer eigenen Angaben nach rund 85 Prozent des Stadtgebietes. Die ukrainische Führung beharrt auf dem Halten der inzwischen weitgehend zerstörten Stadt und begründet dies mit den hohen Verlusten der angreifenden Truppen, die so zermürbt würden.
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Wagner-Chef klagt über hohe Verluste
Der Chef der russischen Söldnereinheit Wagner, Jewgeni Prigoschin, räumte durchaus Probleme ein. Wegen der hohen Verluste aufgrund mangelnder Versorgung drohte er mit dem Abzug seiner Truppen aus Bachmut. "Jeden Tag haben wir stapelweise tausend Leichen, die wir in den Sarg packen und nach Hause schicken", sagte Prigoschin in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit dem russischen Militärblogger Semjon Pegow. Die Verluste seien wegen der fehlenden Artilleriemunition fünfmal so hoch wie nötig, klagte er.
Er habe einen Brief an Verteidigungsminister Sergej Schoigu verfasst, um schnellstens Nachschub zu erhalten. "Wird das Munitionsdefizit nicht aufgefüllt, sind wir gezwungen - um nicht nachher wie feige Ratten zu rennen - uns entweder organisiert zurückzuziehen oder zu sterben", sagte der 61-Jährige.
In einer Audiobotschaft in der Nacht zum Sonntag relativierte er diese Angaben. So sei Wagner im Verlaufe des Tages weitere 100 bis 150 Meter in der Stadt vorgerückt. Die Tagesverluste bezifferte er derweil auf knapp 100 Mann.
Zwei Tote nach Beschuss russischer Grenzregion
In der westrussischen Grenzregion Brjansk wurden nach offiziellen Angaben zwei Menschen durch Beschuss aus der Ukraine getötet. Das schrieb der Gouverneur der Region Brjansk, Alexander Bogomas, in der Nacht zu Sonntag in seinem Telegram-Kanal. Darüber hinaus hätten die ukrainischen Streitkräfte in dem Dorf Susemka ein Wohnhaus zerstört und zwei weitere Häuser beschädigt. Russland beklagt immer wieder Beschuss auch auf dem eigenen Staatsgebiet.
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Melnyk: Peking als Vermittler "nicht unrealistisch"
Der ukrainische Vizeaußenminister Andrij Melnyk hält eine Vermittlerrolle Chinas für denkbar. "Es ist nicht unrealistisch", sagte der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland der Funke Mediengruppe. "Die Chinesen verfolgen natürlich ihre eigenen Interessen. Ich glaube aber schon, dass eine gerechte friedliche Lösung und das Ende der Kampfhandlungen den Interessen Pekings mehr entsprechen als dieses gewaltige nicht enden wollende Erdbeben für die gesamte Weltordnung", sagte Melnyk.
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Der neue tschechische Präsident Petr Pavel besuchte derweil am zweiten Tag seiner Ukraine-Reise die zentrale Millionenstadt Dnipro. Dort sprach er mit örtlichen Vertretern über die Wiederaufbaupläne für die Region, wie mitreisende Journalisten am Samstag berichteten.
Was heute wichtig wird
Die Kämpfe um Bachmut gehen weiter. Laut Prigoschin halten die ukrainischen Truppen nur noch etwa drei Quadratkilometer des Stadtgebietes. Dennoch wollen die Verteidiger die weitgehend zerstörte Stadt nicht aufgeben - auch um russische Kräfte zu binden und abzunutzen vor der erwarteten eigenen Gegenoffensive. © dpa