Viele Hürden bis zum gesunden Seniorenmenü
Von dpa
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Aktualisiert am 03.05.2023, 11:36 Uhr
Magdeburg - Es ist Zufall, dass heute mit gefüllten Zucchini und Eierkuchen zwei vegetarische Gerichte auf dem Speiseplan stehen. Kein Zufall sind der Gemüseanteil und das Vollkornmehl in den Eierkuchen. Der 40-jährige Christian Hess macht sich viele Gedanken über die täglich rund 220 Essensportionen, die seine Küche verlassen.
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Hess kocht für Seniorinnen und Senioren in zwei Pflegeeinrichtungen in Magdeburg und Lostau. Sein Anspruch sei es, den Bewohnern zu ermöglichen, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, betont der Koch. Er wolle niemanden erziehen. Frikassee und Kohlrouladen gibt es auch weiterhin, sogar selbst gemacht.
Stück für Stück wieder zur frischen Küche
Als er vor 15 Jahren in der Küche im Wohnpark Albert Schweitzer in Magdeburg anfing, wurden viele industriell vorgefertigte Produkte verwendet. Er wollte aber keine Soße aus dem Eimer mehr. Stück für Stück aktivierte er wieder die frische Küche: Schnitzel, Kohlrouladen, gefüllte Paprika bis hin zum Kartoffelsalat. Inzwischen kocht er mit seinem Team so viel wie möglich frisch und bietet daneben immer auch vegetarische Gerichte an. Eine Menge Hürden waren zu überwinden - und sind es noch, bei den Bewohnern, bei Angehörigen und beim Personal.
Hess ist ein Paradebeispiel aus Sicht der Vernetzungsstelle Seniorenernährung. Das von Land und Bund geförderte Projekt startete im Juni 2020 bei der Landesvereinigung für Gesundheit. "Unser Ziel ist, dass sich Senioren möglichst vollwertig, ausgewogen und genussvoll ernähren", fasst Elena Sterdt zusammen. Sie leitet den Fachbereich Gesund im Alter. Die Vernetzungsstelle wendet sich mit Info- und Fortbildungsangeboten an Pflegeeinrichtungen, Caterer, aber auch an Senioren, die sich zu Hause selbst versorgen.
Die Überlegung dahinter ist: Wer mehr über gesunde Ernährung weiß, lebt gesünder und senkt Risiken wie Übergewicht oder Bluthochdruck. Bislang sei Sachsen-Anhalt etwa bundesweit Spitzenreiter bei der Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auf der anderen Seite müssen viele Senioren auf eine spezielle Ernährung achten, wenn sie bestimmte Medikamente einnehmen, Allergien oder Krankheiten haben.
Sülze
Selbstgemachte Sülze steht auf einem Tablett. Die Ernährung in den späten Lebensjahren sieht vielfach ähnlich aus wie davor. © dpa / Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Elena Sterdt betont die Bedeutung: Von den rund 2,2 Millionen Einwohnern sind etwa 27 Prozent älter als 65 Jahre. Mehr als 172.000 Menschen sind 80 Jahre oder älter. Über 110.000 Menschen sind pflegebedürftig, gut ein Viertel von ihnen wird in stationären Einrichtungen gepflegt. Die Zahlen steigen stetig.
25 Prozent im Heim sind mangelernährt
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung habe 2020 festgestellt, dass 25 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von Heimen mangelernährt sind, sagt Elena Sterdt. Die Probleme reichten von schlecht sitzenden Prothesen, Kau- und Schluckbeschwerden bis hin zu verändertem Essverhalten aufgrund von Erkrankungen oder Medikamenteneinnahme.
Elena Sterdt hat noch eine Zahl parat: 5 Euro. So viel hätten die Einrichtungen durchschnittlich am Tag für die Ernährung einer Bewohnerin oder eines Bewohners zur Verfügung - vom Frühstück über das Mittagessen bis zum Abendbrot plus Zwischenmahlzeiten. Christian Hess kennt solche Zahlen. Er habe über sieben Euro zur Verfügung, vor wenigen Jahren seien es noch vier gewesen. Frische Produkte sind teurer, so der Koch. Er habe die Küche aber so umgestellt, dass sehr viel weniger weggeschmissen wird. Während früher freihändig gekocht wurde, sei nun jeder Mitarbeiter mit Waage und Taschenrechner dabei. Hess erstellte eigens Rezepte.
"Essbiografie" ist kaum umstellbar
Einer der wichtigsten Faktoren aber, so zeigen die Gespräche mit der Ernährungsexpertin, dem Koch und Bewohnerinnen, ist die Gewohnheit. Wer ein Leben lang gern viel Fleisch gegessen hat, Kartoffeln statt Reis oder Nudeln, weißes Mehl verwendet hat statt Vollkornmehl, wird es im Alter kaum umstellen. "Essbiografie" nennt es Elena Sterdt, an der sollte man sich orientieren. Wer gern Schnitzel gegessen hat, dem könne man Gemüseschnitzel als gesunde Variante anbieten.
Ganz so einfach ist es nicht, denn beim Essen für die Senioren sind Angehörige, Pflege- und Küchenpersonal beteiligt. "Auch wir essen gern Fleisch", sagt Christian Hess über sich und sein Küchenteam. Das Pflegepersonal, das die Gerichte wenigstens mitaussucht aus dem Speiseplan habe auch einen großen Anteil an der Umstellung. Da fehle es aber oft am nötigen Verständnis. Die Umstellung sei ein Thema bei dem alle mitwachsen, sagt Christian Hass. Alles in allem sei es schon schwierig.
Er versuche nun, zur klassischen Hausmannskost jeweils ein vegetarisches Gericht als Wahlmöglichkeit zu stellen. Aber nicht nur das: pro Menülinie soll etwa dreimal pro Woche Fleisch angeboten werden, zweimal Fisch. Hülsenfrüchte haben zweimal pro Woche einen Platz im Speiseplan. Eine eiweißreiche und ballaststoffreiche Ernährung könnten positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner haben, betont Christian Hess. Wundheilung und Stuhlgang seien Beispiele.
Nicht alles funktioniert aber. Vollkornnudeln beispielsweise, sagt Christian Hess. Die habe er ein halbes Jahr laufen lassen, sei dann aber doch wieder zurückgerudert.
Lieber Fleisch als Veggie
Die 88-jährige Christa Voigt wohnt seit sieben Jahren in der Magdeburger Einrichtung und lobt Hess' Essen. Sehr schmackhaft sei es. Das meine nicht nur sie, sondern alle an ihrem angestammten Vierertisch und darüber hinaus. Man werde auch immer satt. "Ich war schon immer zufrieden", sagt die 88-Jährige. "Es gab immer sehr viel Fleisch und das gibt es immer noch." Als das Gespräch auf das vegetarische Essen kommt, sagt Christa Voigt: "Da mag ich nicht so ran." Im Alter möchte man sich nicht so umstellen, sagt sie. "Wir tun's beiseite." Manchmal esse sie es aber auch mit.
Die bescheidene Seniorin arbeitet im Qualitätszirkel mit, den ihre Einrichtung und die Vernetzungsstelle eingerichtet haben. Zweimal im Jahr kommen Vernetzungsstelle, Vertreter der Einrichtung und Bewohner zusammen, sagt die Qualitätsbeauftragte der Lewida GmbH Karolin Köhler. Gemeinsam wird überlegt, wie die Umstellung des Speiseplans gelingen kann, welche Schritte als nächstes unternommen werden. Es steht etwa eine Fortbildung zur Bedeutung der gesunden Ernährung bei Pflegebedürftigkeit an. Ebenso sind Info-Angebote für Bewohner, Angehörige und Mitarbeiterinnen geplant. Die habe man wohl in der Vergangenheit zu wenig mitgenommen. © dpa