DAS LEBEN UND LEIDEN UND DER TOD JESU
BETRACHTUNGEN ÜBER DAS LEIDEN JESU
JUDAS ISKARIOT VERKAUFT DEN HERRN
Luk. 22,1. Es nahte aber das Fest der ungesäuerten Brote, welches Ostern heißt. – 2. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten trachteten, wie sie Jesum umbrächten; sie fürchteten jedoch das Volk. – 3. Es war der Satan in Judas gefahren, der Iskariot genannt wurde und einer von den Zwölfen war. – 4. Und er ging hin und redete mit den Hohenpriestern und den Hauptleuten, wie er ihnen denselben überliefern wollte. – 5. Und sie freuten sich und verstanden sich, ihm Geld zu geben. – 6. Und er sagte zu und suchte eine Gelegenheit, ihn ohne Volksaufstand zu überliefern.
Mark. 14,1. Nach zwei Tagen aber war Ostern und die Zeit der ungesäuerten Brote: und die Hohenpriester und Schriftgelehrten trachteten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. – 2. Sie sprachen aber: Nicht am Fest, damit nicht etwa unter dem Volk ein Aufruhr entstehe. – 10. Da ging Judas Iskariot, einer von den Zwölfen, zu den Hohenpriestern hin, um ihnen Jesum zu verraten. – 11. Als diese das hörten, freuten sie sich und versprachen, ihm Geld zu geben: er aber suchte, wie er ihn schicklich verraten könnte.
Matth. 26,3. Damals versammelten sich die vornehmsten Priester und die Ältesten des Volkes in dem Vorhof des Hohenpriesters, der Kaiphas hieß. – 4. Und sie hielten Rat, wie sie Jesum mit List ergreifen und töten könnten. – 5. Sie sagten aber: Nur nicht am Festtag, damit nicht etwa ein Aufruhr unter dem Volk entstehe. – 14. Hierauf ging einer von den Zwölfen, der Judas Iskariot hieß, zu den Hohenpriestern – 15. und sprach zu ihnen: „Was wollt ihr mir geben, so will ich ihn euch verraten?“ Sie aber bestimmten ihm dreißig Silberlinge. – 16. Und von da an suchte er eine Gelegenheit, ihn zu verraten.
Der Hohe Rat beschließt die Gefangennehmung Jesu Judas Iskariot verkauft den Herrn
Die Feinde beschließen sofort den Tod Jesu Der Hohe Rat beschließt die Gefangennehmung Jesu Die Umstände dieses Ratschlusses waren folgende. Der Zeit nach mochte es Dienstag sein, als der Rat sich versammelte, wohl zur selben Stunde, als der Herr seinen Jüngern ganz bestimmt erklärte, er werde an Ostern gekreuzigt werden (Mark. 14,1; Matth. 26,1). – Der Ort, wo sich der Rat versammelte, war, wie es scheint, nicht der Sitzungssaal im Tempel, sondern der Palast des Hohenpriesters Kaiphas (ebd. 26,3), weil der Entschluß geheim bleiben und jede Auffälligkeit vermieden werden sollte. – Indessen scheint doch der Hohe Rat im wesentlichen vertreten gewesen zu sein, denn es werden die drei Stände, aus denen er zusammengesetzt war, genannt (Matth. 26,3; Mark. 14,1; Luk. 22,2). Es war also eine amtliche Sitzung.
Der Gegenstand der Beratung war nicht mehr die Tötung Jesu, die schon längst beschlossene Sache war (Joh. 11,53), sondern die Art und Weise, wie sie vollführt werden sollte, ob öffentlich, mit Gewalt, oder heimlich, durch Überfall und List. Die Vorgänge der letzten Tage, die beschämenden Niederlagen, die der Herr seinen Feinden beigebracht, sein steigendes Ansehen, alles trieb zu einem raschen Handstreich.
Der Entschluß war, wie es scheint, dieser. Die Gefangennehmung und die Tötung sollte heimlich, durch List und Überfall geschehen, wann und wie es immer ginge; aber nicht am Hauptfest, sondern nach demselben (Matth. 26, 4-5; Mark. 14, 1-2). Der Grund war die Furcht vor dem Volk. (Luk. 22,2). Um die Osterzeit war außerordentlich viel Volk in Jerusalem und die Menge sehr geneigt zu Unruhen und Aufstand. Unter dem Volk, namentlich unter den leicht erregbaren Galiläern, zählte Jesus viele Anhänger. So fürchtete der Hohe Rat Widerstand und Auflauf, und die Römer wären in diesem Fall zum Einschreiten genötigt gewesen. Deshalb sollte die Verhaftung und Tötung geheim und erst nach dem Hauptfesttag stattfinden, nachdem sich das Volk verlaufen. Das war der Beschluß des Rates und ihre Ostergesinnung. Gott fürchteten sie nicht, bloß das Volk.
Dagegen erklärt der Heiland fest und ausdrücklich, daß er nach zwei Tagen am Osterfest sterben werde, und zwar gewaltsamen Todes. Er kennt die Ratschlüsse Gottes und die Herzen der Menschen. So hatte es die göttliche Weisheit angeordnet, daß das vorbildliche und wirkliche Bundesopfer des Osterlammes zusammenfallen sollten. Wie das vermittelt und verwirklicht werden sollte, wußte der Heiland wohl. Judas Iskariot verkauft den Herrn Das elende Werkzeug der Erfüllung dieser Prophezeiung war Judas. Längst,wie es scheint, trug er sich mit dem Gedanken des Verrates. Nun, es mochte wohl am Dienstag spät oder am Mittwoch in den Frühstunden sein, nachdem der Rat die Ausführung des gefaßten Beschlusses den Vollziehungs-Beamten übertragen hatte, führte Judas das Vorhaben aus. Er ging zu den Hohenpriestern und zu den Beamten, um sich zum Verrat anzubieten (Luk. 22,4).
Wie kam doch Judas zu diesem Entschluß? Welches waren die Ursachen? Die tiefste Ursache war wohl die Seichtigkeit, Unzuverlässigkeit und die Gehaltlosigkeit seines Charakters. Wie es scheint, war er ein Mensch ohne Ernst und inneren Halt. – Die zweite Ursache war sein äußerer und weltlicher Sinn, seine Ehrsucht und Habsucht. Er wird wohl kaum je vom Messiasreich eine andere Vorstellung und Erwartung gehabt haben als die
der anderen Juden. – Bei dieser unseligen Richtung des Gemütes verlor er nach und nach den Glauben, den er anfangs gehabt hatte. Es war also der Unglaube die dritte Ursache, wie der Heiland schon am dritten Osterfest in Kapharnaum von ihm gesagt hatte, er glaube nicht und sei ein Teufel (Joh. 6,65 u. 72). – Die vierte Ursache mag die Unerquicklichkeit der äußeren Lage gewesen sein. Er war des ewigen Umherziehens und des offenbar selbstlosen Wesens Jesu müde, suchte seine Stellung zu zeitlichen Zwecken auszunützen und wurde ein förmlicher Dieb an der Kasse, welche der Heiland ihm anvertraut (ebd. 12,6) und zu deren Verwaltung er sich vielleicht herangedrängt hatte. Es folgten nun auch die ernsten Maßregeln der Juden gegen den Heiland, er selbst verkündet sein Begräbnis (ebd. 12,7) und seinen nahen Tod (Matth. 26,1). Gewiß mußte ihm auch der Ernst Jesu, die geheimen Ermahnungen, die er ihm ohne Zweifel nicht vorenthielt, lästig und unerträglich werden, ja man kann sich denken, daß die begeisterte Liebe und Hingabe der Apostel und Freunde Jesu ihm ärgerlich wurde, ihm als Überschwänglichkeit vorkam und bei ihm eine wahre Abneigung gegen die Person Jesu feststzte. Es zeigte sich dieses ganz deutlich bei der Salbungs-Zeremonie der Magdalena in Bethanien. Es sprach aus seinen Worten ein Unglaube und eine Unehrbietigkeit und Gefühllosigkeit gegen den Heiland, die erstarren macht (Matth. 26,8; Mark. 14,5). – Als letzte Ursache, die aber bei allen anderen Ursachen schon im Spiel war, wird angegeben der Einfluß und die Verführung durch den Teufel (Luk. 22,3; Joh. 6,71; 13,2), der immer mächtiger wurde, je mehr Judas dem Unglauben und der Leidenschaft verfiel. – So mag sein Entschluß zur Reife gekommen sein. Er wünschte unter diesen Umständen, daß er fortkäme und daß das ganze Apostelkollegium und der Plan Jesu auseinander ginge, und dabei wollte er zuletzt noch etwas gewinnen.
Wie schändlich aber die Tat des Judas war, mag allenfalls erhellen, wenn man deren Umstände erwägt. Judas der Verräter war einer von den Zwölfen, das bemerken alle Evangelisten, welche die Untat berichten (Matth. 26,14; Mark. 14,10; Luk. 23,3), also ein Freund, ein Hausgenosse und Apostel Jesu, was gewiß keine kleine Schmach und kein geringer Schmerz für den Herrn war. – Er tat den Schritt ganz unaufgefordert. Er läuft selbst hin und fragt schamlos, was sie ihm geben wollen für die Auslieferung (Matth. 26,15). Er kannte eben seine Gesellen, und er verpflichtete sich, ihn ihnen zu überliefern (Luk. 22,6). – Und für welchen Spottpreis verkaufte er gleichsam seinen Wohltäter, seinen Meister, seinen Herrn, seinen Gott und sein höchstes Gut! Für dreißig Silberlinge, ungefähr 70 Mark. Es war nicht mehr als der Preis, durch welchen man die Tötung eines Sklaven gut machte (Ex. 21,32). Nicht umsonst spricht Gott mit Hohn und Entrüstung bei der Voraussagung dieser Untat zum Propheten: „Wirf ihn hin, den herrlichen Preis, dessen ich bin wert geachtet worden“ (Zach. 11,13). Wie es scheint, hätte Judas es auch für weniger getan. Man muß fast annehmen, daß der Hohe Rat und Judas die Summe nicht als eigentlichen Preis, sondern bloß als eine Anerkennung ansahen für etwas, das schon sonst hätte geschehen sollen (Joh. 11,57), oder als Entgelt für Mühe und Gefahr. – Und wem verkauft Judas den Herrn? Seinen ärgsten Feinden, wahren Kannibalen. Der Erfolg zeigt es, was sie mit dem Herrn vorhatten. Zu all diesen Peinen lieferte Judas ihn aus. Wie viele Untaten sind nicht in dieser Tat: Eigennutz, Gewinnsucht, Undankbarkeit, Feigheit, Treulosigkeit, Hartherzigkeit und Grausamkeit! Die schauerliche und grausame Tat der Brüder des ägyptischen Joseph kann nicht damit verglichen werden. Gewiß lag in derselben überdies eine große Verdemütigung und ein empfindlicher Schmerz für den Heiland.
Die Feinde beschließen sofort den Tod Jesu Den Hohenpriestern kam nichts gelegener als der Antrag des Judas. Deshalb freuten sie sich und versprachen und gaben ihm auch das geforderte Blutgeld (Matth. 26,15; Mark. 14,11; Luk. 22,5). Dieser unerwartete Vorgang gab den Feinden Jesu nicht bloß Hoffnung, sondern gegebenenfalls auch Mittel und Wege, ihren Plan, den Heiland heimlich zu verhaften, auszuführen, obwohl wahrscheinlich noch nichts Bestimmtes bezüglich der Ausführung mag ausgemacht worden sein. Alles hing von dem Umstand ab, eine günstige Gelegenheit zu finden. Der Umstand, daß selbst seiner der Apostel kam und ihn verkaufte, setzte die hohe Idee von der Macht und dem festen Zusammenhang der Anhänger Jesu in den Augen der Hohenpriester herab. Vielleicht erzählte Judas auch, wie der Herr auf seinen Tod gefaßt sei und ihn vorausgesagt habe und wie die Apostel voll Unentschiedenheit und Furcht seien. Von der nächsten Umgebung Jesu war nichts zu fürchten, und mit dem Volk hofften sie schon fertig zu werden, wenn sie ihn nur einmal in ihrer Gewalt hatten und er sich nicht mehr auf dasselbe stützen konnte.
Judas mußte also helfen. Er tat es auch und suchte eine Gelegenheit ausfindig zu machen und herbeizuführen, daß der Herr im stillen und ohne Aufsehen den Feinden in die Hände fiel (Matth. 26,16; Mark. 14,11; Luk. 22,6). Er geht also wie ein Die umher, läßt es die Feinde wissen und heuchelt indessen frech Treue Teilnahme und Dienstbeflissenheit und die innigste Freundschaft. So hatte der Herr in der Tat den Satan an seiner Stelle (Luk. 4,13). Er weiß auch alles, duldet trotz des Widerwillens alles, klagt nicht, sagt nichts, warnt wohl und opfert alles auf, namentlich für solche, die Undankbarkeit, Treulosigkeit und Verrat von Freunden und Verwandten trifft. Was in seinem Herzen damals vorging, das haben die Propheten verkündet (Ps. 54,13 etc.).
So werden alle Fäden des traurigen Schauspiels angezogen und in Bewegung gesetzt. Die Prophezeiungen Jesu und die Ratschlüsse Gottes erfüllen sich, und ihre Werkzeuge sind die Feinde Jesu. Sie meinen ihrem Haß zu dienen, und sie arbeiten für Gott. Das vorbildliche Osterlamm will erfüllt sein, und mit welcher Ruhe und Majestät sieht der Herr diese schreckliche Erfüllung sich nähern und sich verwirklichen! –
Wer begreift aber Judas, und wer blickt nicht mit Schrecken auf dieses Werkzeug der schwärzesten und schändlichsten Tat! Muß gerade ein Apostel dieses verruchte Werkzeug sein? Der Anblick dieses unglücklichen Apostels als Verräter an der Seite Jesu ist doch recht dazu angetan, uns erstens mit Furcht Gottes und zweitens mit Mißtrauen gegen uns zu erfüllen; drittens in uns den Vorsatz zu befestigen, die Gefahr und nächste Gelegenheit zu meiden; viertens festzuhalten am demütigen Gebet, und fünftens unsere bösen Leidenschaften durch Selbstüberwindung unschädlich zu machen. Ohne dieses sind wir zu allem fähig, und es ist nichts unmöglich bei uns. Es war gewiß ein schwarzes und verabscheuungswürdiges Verbrechen, das Judas beging. Aber wird wesentlich nicht dieselbe Untat in jeder Todsünde begangen? Jedesmal, wenn die Gnade Gottes, der Himmel, das Gut des Glaubens, die Interessen der Seelen und der Kirche für etwas Zeitliches preis gegeben werden? Und wie oft geschieht das nicht in der Welt!
AUS: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 240-245
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