Wie mainstream-konform soll die christliche Sexuallehre sein? Ein Kommentar von Gabriele Kuby
München (kath.net/medrum) Immerhin: Es gibt namhaften und wachsenden Widerstand in der evangelischen Kirche gegen den Beschluss der Synode der EKD, mittels des neuen Pfarrdienstgesetzes schwule Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen mit ihren LebensgefährtInnen „friedlich und fröhlich“ (Bischof Friedrich) im Pfarrhaus Familie spielen zu lassen. Acht Altbischöfe haben in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Stimme dagegen erhoben, ein einmaliger Vorgang.(1)
Als erste Gegenstimme gegen die Bischöfe ließ sich der Ex-Ratsvorsitzende Manfred Kock ver-nehmen, auch nicht mehr der Jüngste, aber auf der Höhe der Zeit. Er witterte in dem Mahnruf der Bischöfe ein „alterskonservatives Rollback, unbewusst geleitet von eigenen Ängsten und Vorurteilen.“ Es helfe nicht, „Bibelzitate aneinanderzureihen, wenn es um Sachverhalte geht, die zu biblischer Zeit ganz anders gesehen wurden als heute.“(2)
Aha! Da müssen wir wohl etwas missverstanden haben über sola scriptura und über die beständige Lehre aller christlichen Kirchen in Fragen der Sexualmoral über zweitausend Jahre hinweg minus 81 Jahre, als nämlich die anglikanische Kirche 1930 den Damm des Konsensus brach, und künstliche Verhütung erlaubte. Bis dahin war es für Christen selbstverständlich, dass der Sexualakt nicht systematisch von der Fruchtbarkeit getrennt werden durfte, und es war auch selbstverständlich, dass jede sexuelle Aktivität außerhalb der Ehe Unzucht sei, mithin also Sünde mit schwerwiegenden Konsequenzen für das ewige Heil.
Diese Lehre gilt für die katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen, die Pfingstkirchen wie eh und je. Bei ihnen ist der Kompass noch in Funktion, was um so wichtiger ist, je stärker der Sturm des Zeitgeistes bläst, der die Menschen daran hindert, Kurs zu halten auf dem Höhenweg der Liebe, zu dem wir als Christen berufen sind. Bei den Protestanten und Anglikanern wird der Kompass demontiert, wenn er nicht bereits auf dem Schrotthaufen vergangener christlicher Kultur gelandet ist.
Eine von acht Professorinnen für Theologie (die Männer unter ihnen haben ja sicher nichts da-gegen, dass sie in der weiblichen Form inkludiert sind), welche in Die Zeit Gelegenheit bekamen, den Altbischöfen die Leviten zu lesen, Stefanie Schardien, drückt es so aus: „Mit vielen ‚Lebensformen‘ jenseits des längst nicht mehr so klassischen evangelischen Pfarrhauses haben sich die Gemeinden bereits gut arrangiert: Ihre Pfarrerinnen und Pfarrer sind Single, getrennt, geschieden, kinderlos oder neu verheiratet.“ Es gehe bei Ehe und Familie nicht mehr um äußere Formen, sondern um ein verantwortliches, verlässliches und liebevolles Miteinander, wie es sich aus dem Gesamtklang des Evangeliums hören lässt“, sagt die musikalische Theologin.(3)
Ihre Kollegen sind nicht alle so liebevoll. Sie benutzen Schimpfworte statt Argumente als da sind „homophob“, „biblizistisch“, „biologistisch“, „naturalistisches Denken“; Nebelwerfer wie „Liebe“ und „Freiheit“ und Vielfalt“ und „Buntheit“; und „Neuentdeckungen“ wie diese: Es sei in den jüngsten Jahrzehnten „die Sexualität als ein spezifisches Gestaltungsmittel von Dauerhaftigkeit neu entdeckt worden, in der die Eheleute in Gesten und Ritualen sinnlicher Zuwendung eine gemeinsame leibliche Erinnerungskultur formen.“ (Ulrike Link-Wieczorek) (4)
Meine Realitätswahrnehmung sagt mir etwas anderes: Die Auflösung der christlichen Sexualmoral hat in wenigen Jahrzehnten dazu geführt, dass fast jede zweite Ehe geschieden wird; dass nicht-eheliches Zusammenleben zum Normalfall wird; dass mehr als vierzig Prozent der Kinder außerhalb der Ehe geboren werden; dass promiskuitive Sexualität trotz Verhütungspropaganda ab der Grundschule millionenfache Abtreibung nach sich zieht; dass die Zeche für die „sexuelle Befreiung“ die junge Generation bezahlt, von der
• 24 % über regelmäßige Schmerzen klagen,
• 22 % Essstörungen haben,
• 15 % übergewichtig sind,
• 31 % verhaltensauffällig, weil sie schlagen, lügen, betrügen und stehlen,
• mehr als ein Drittel einmal wöchentlich Alkohol trinkt,
• 25 % im Jahr vor der Befragung Gewalterfahrungen gemacht haben (5).
Viele junge Leute verfügen nicht einmal über die nötige Ausbildungsreife, beklagten jüngst erneut Vertreter der Wirtschaft. Der rapide schrumpfende Anteil der Erwerbstätigen soll Kinder gebären und aufziehen, das Produktivvermögen erarbeiten, die astronomischen Schulden bezahlen, die Eltern und Großeltern auf ihre Kosten gemacht haben, und den rapide wachsenden Anteil von Alten und Greisen durchfüttern bis zum Tod.
Manfred Kock und die acht theologisch Gelehrten bleiben uns die Erklärung schuldig, welchen Beitrag die weitere Demontage der Familie durch die Homosexualisierung der Gesellschaft zur Lösung dieser Probleme leistet. Warum befassen wir uns überhaupt seit Jahrzehnten gesamtgesellschaftlich mit den sexuellen Präferenzen von Minderheiten? Gibt es keine wichtigeren Fragen für die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft?
„Diskriminierung“ müsse beseitigt werden, heißt es. Sind Christopher Street Days und die Besetzung höchster Staatsämter mit Homosexuellen das Gesicht von Diskriminierung? Was führt zu beruflichen Sanktionen, Ausgrenzung aus dem öffentlichen Diskurs, Verleumdungen, Hetzkampagnen, Rufmord: Das Eintreten für die Rechte „sexueller Minderheiten“ oder das Eintreten für das christliche Wertefundament von Ehe und Familie? Ich erinnere an den Marburger Kongress für Psychiatrie und Seelsorge im Mai 2009, der nur unter dem Schutz von tausend Polizisten stattfinden konnte, weil dort zwei unbescholtene Personen auftraten, die wissenschaftlich Ergebnisse über die Ursachen und die Veränderbarkeit sexueller Identität vortrugen. Darüber darf in diesem Land nicht mehr gesprochen werden! Eine angesehene Philosophin sollte, wie der AStA der Kölner Universität forderte, Berufsverbot bekommen, weil sie die „Marburger Erklärung für Freiheit und Selbstbestimmung“ unterschrieben hatte. Sie konnte ihre Gastvorlesung über Friedrich Schiller (!) nur nach einem halbstündigen Kiss-in der vom Kölner AStA mobilisierten Schwulen und Lesben halten.(6)
Wen stört es, dass die Freiheit der Wissenschaft und die wissenschaftliche Wahrheitssuche gerade über die Klinge springen? Gehirnforschung, welche die unaufhebbare Differenz zwischen Mann und Frau nachweist, wird als „biologistisch“ und „sexistisch“ diffamiert; die Treue zum Wort Gottes, das zu allen Zeiten von den Mächtigen und deren Ideologen bekämpft wird, wird als „biblizistisch“ abgewertet – eine tiefgehende theologische Diskussion ist überflüssig, die Akklamation der großen Mehrheit der akademischen Kollegen und der Medien genügt. Theologische, philosophische, medizinische, soziologische, psychologische Argumente gegen die totalitäre Anmaßung staatlicher Institutionen, die Geschlechtsidentität und die Heterosexualität als Norm durch Gender-Mainstreaming aufheben zu wollen, gilt als „überholtes naturalistisches Denken“.
Warum das alles wie geschmiert läuft? Weil die schiefe Ebene, auf der wir uns befinden, mit den Milliarden der UN und der EU geschmiert ist. Wer etwas werden will heutzutage, in allen Bereichen der Gesellschaft, auch in der Theologie, der muss ins Gender-Horn blasen und die immer weitere „Gleichstellung“ der Frauen fordern, auch wenn durch diesen Kampf alle zu Verlierern werden, Frauen, Männer und Kinder; der muss die „Hegemonie der normativen Zwangsheterosexualität“ durch Auflösung der Geschlechtsidentität bekämpfen – von der Krippe an.
Niemand glaube, dass wir am Ende dieses Prozesses angekommen sind. Wenn Schwule und Lesben im evangelischen Pfarrhaus der Gemeinde zeigen dürfen, was „Familie“ alles sein kann, warum dann nicht auch Bi-Sexuelle und Trans-Sexuelle die in UN- und EU-Dokumenten immer in einem Atemzug genannt werden (LGBT)? Dem Bundestag liegt ein Antrag vor, „sexuelle Identität“ als Kriterium der Antidiskriminierung ins Grundgesetz aufzunehmen, unterstützt von DIE LINKE, Grüne, FDP und SPD. Die EU arbeitet am selben Ziel durch die Verschärfung der Gleichstellungsrichtlinie, die gerade im Rat verhandelt wird (7). Wenn das gelingt, kann jede individuelle Wertentscheidung für christliche moralische Grundsätze etwa im eigenen Unternehmen oder bei der Erziehung von Kindern kriminalisiert werden. Schon jetzt kommen christliche Eltern – von muslimischen ist nichts bekannt! – ins Gefängnis, ihre Kinder ins Heim, wenn sie sich weigern, ihre Kinder der staatlichen Sexualkunde auszuliefern.
Wenn „das Heiligsein der Kirche sich gerade darin zeigt, dass sie die Liebe in allen verbindlichen Lebensformen schützt“ (so Systematische Theologin Helga Kuhlmann)(8), warum dann nicht polygame Lebensformen? Wäre das nicht ein Entgegenkommen gegenüber unseren muslimischen Mitbrüdern?
Dass die Statistiken Promiskuität als Kennzeichen homosexuellen Lebensstils ausweisen, scheint niemanden zu interessieren, aber vielleicht doch das, was Volker Beck dazu zu sagen hat:
„Wenn man hofft, die Schwulen zu treuen Ehepartnern zu machen, muss und wird die schwule Beziehungsrealität den Gesetzgeber enttäuschen. (…) Offensichtlich ist für viele Paare, ihre Sexualität mit Dritten auszuleben, ein wichtiger Faktor in der Aufrechterhaltung der Partnerschaft.“ (9)
Wir befinden uns in einer globalen Top-down-Revolution, welche sich über die Wertvorstellungen der Bevölkerung hinwegsetzt, vielmehr gerade diese Wertvorstellungen zum Objekt globaler Veränderung macht. „Wo immer in einem demokratischen Land die gleichgeschlechtliche ‚Ehe‘ zum Gegenstand einer Volksabstimmung gemacht wurde, wurde sie mit einer klaren Mehrheit der Wähler abgelehnt“, schreibt der Jurist Dr. Jakob Cornides, Beamter der europäischen Kommission, im International Journal of Human Rights. (10) Wir haben also auch etwas mit der Demokratie missverstanden.
Weil dies so ist, weil das Volk einfach immer noch „homophob“ ist, also, wie der Begriff suggeriert, eine angeblich krankhafte Angst vor Homosexualität hat, der abgeholfen werden muss, deswegen gibt es „Aktionspläne gegen Homophobie“, welche die Gesellschaft bis in ihre kleinsten Zellen gemäß den Yogyakarta-Prinzipien umwandeln sollen. Wer eine Stelle sucht: Die rot/grüne Regierung Nordrheinwestfalens hat dazu gerade eine Ausschreibung gemacht. (11)
Könnte es sein, dass der Kampf jener, deren Fähigkeit zur Liebesbindung an eine Person des anderen Geschlechts blockiert ist und die deswegen, nach Meinung des Philosophen Robert Spaemanns, unter einem „anthropologischen Defizit“ (12) leiden, nicht zu gewinnen ist, weil es Gott wirklich gibt, weil er eine Schöpfungsordnung geschaffen hat, gegen die wir uns nur zu unserem eigenen Schaden auflehnen, weil er sein Gesetz in jedes Herz gelegt hat? Wenn das so ist, gibt es auch kein Genug in diesem Kampf, aber ungeheuren, unabsehbaren Schaden.
Johannes Paul II. hat sein Leben den Fragen von Liebe, Sexualität, Ehe und Familie gewidmet. Mit der Theologie des Leibes hat er einen Schatz hinterlassen, der selbst in der katholischen Kirche erst langsam gehoben wird. Er wirft neues Licht auf die hohe Berufung des Menschen zur Liebe, berufen vom dreifaltigen Gott, der selbst die Liebe ist. Weil die Verwirrung über das, was Liebe ist, so groß ist, hat Papst Benedikt XVI. seine erste Enzyklika, Deus caritas est, dieser Frage gewidmet. Die katholischen Hirten geben Antwort auf zwei entscheidende Fragen: „Was bedeutet es Mensch zu sein?“ und „Wie soll ich mein Leben leben, damit ich wirklich glücklich werde?“ Weit davon entfernt, den Leib und die Sexualität abzuwerten, beschreibt Johannes Paul II. in neuer Tiefe die leuchtende Schönheit des Liebesplanes Gottes für den Menschen, den er als Mann und Frau geschaffen und mit Freiheit, Wille, Verstand und Gewissen ausgestattet hat. Wo es dem Menschen an Kraft gebricht, schenkt Gott ihm Gnade und Vergebung, damit er lieben lernt, wie Jesus geliebt hat: frei, bedingungslos, treu und lebenspendend; sich aus Freiheit dem geliebten Du für immer zum Geschenk machen und mit Freude und Verantwortung das neue Leben empfangen, das aus dieser Einheit entsteht.
Gott zwingt niemanden, seinen Plan anzunehmen, aber Christen sollten nicht zulassen, dass sie und ihre Kinder durch einen neuen, „weichen“ Totalitarismus daran gehindert werden, nach diesem Plan zu leben.