Der Wohlstand macht die Liebe möglich. Vor der Industrialisierung war die Gemeinschaft von Mann und Frau vor allem eine Zweckgemeinschaft gewesen. Ob man heiratete oder ledig blieb, bestimmte die eigene Lebenserwartung. Wer in einer Ehe lebte, wurde bei Krankheit vom Partner gepflegt (Krankenversicherung und Krankenhäuser gab es nicht), und wer Kinder groß zog, konnte sich darauf verlassen, von ihnen versorgt zu werden, wenn im Alter die harte Arbeit auf dem Feld ihren Tribut zollte (eine Rentenversicherung gab es ebenfalls nicht).
Diese Gemeinschaft zu verlassen, war undenkbar, außerhalb der Familie ein Überleben kaum möglich.
Es ist kein Zufall, dass die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik mit der Industrialisierung entstand. Die Menschen zogen in Städte und nahmen Arbeiten an, die ihnen (wenn auch im Vergleich zu heute sehr wenig) Freizeit bescherte. Manche verdienten sogar mehr als zum täglichen Überleben nötig war. Gefühl, Leidenschaft, Individualität - die Grundthemen der Romantik konnten erst aus diesem neuen Leben heraus entstehen.
Der Wohlstand macht die Trennung möglich. Noch im Jahr 1900 lag die Scheidungsrate in Deutschland bei 1,9 Prozent. Auf 476.491 Eheschließungen kamen 9.152 Scheidungen. Bis zum Jahr 2000 stieg sie auf 46,4 Prozent. Heute hat sie die 50-Prozent-Marke überschritten.
Der Wohlstand vereint Liebende - und trennt Entliebte. Weil die Nachteile einer Trennung stetig kleiner werden.
Wir sind mobiler geworden und können uns deshalb nach einer Scheidung an einem anderen Ort niederlassen - etwa um dort einen neuen Job zu beginnen. Wir sind reicher geworden und können uns nach einer Trennung zwei Haushalte leisten. Und wir sind freier geworden, weil der technische Fortschritt die Notwendigkeit einer arbeitsteiligen Lebensgemeinschaft weitgehend überflüssig gemacht hat. Denn wir kaufen heute die Marmelade im Supermarkt, anstatt sie selbst herzustellen; wir waschen mit Waschmaschinen und bringen unsere Hemden in die Reinigung, anstatt sie mühsam auf einem Waschbrett zu schrubben; wir versammeln unsere Kinder in Kindertagesstätten, anstatt sich den ganzen Tag selbst um sie zu kümmern.
Die gesellschaftliche Arbeitsteilung hat die Vorteile arbeitsteiliger Familiengemeinschaften weitgehend abgelöst.
Es gibt nicht wenige, die bedauern den Anstieg der Scheidungsraten. Man kann es aber auch anders sehen: Je reicher wir werden, desto stärker gibt es nur einen einzigen relevanten Grund in einer Lebensgemeinschaft zu bleiben: die Liebe.
Ganz stimmt das allerdings nicht. Auch heute noch ist es nicht immer die Liebe, die zusammen hält. Paare können auch aus anderen Gründen von ihrer Beziehung profitieren. In der Warenwelt kennt man das Phänomen der komplementären Güter. Solche Produkte stehen nicht in Konkurrenz zueinander, im Gegenteil, sie ergänzen sich. Steigt die Nachfrage nach dem einen Gut, nimmt auch die Nachfrage nach dem anderen zu. Nur gemeinsam haben solche Güter einen hohen Wert. Hillary und Bill Clinton sind das Paradebeispiel für eine komplementäre Beziehung. Bill konnte nur mit einer vorzeigbaren Frau Präsident werden, Hillary wäre heute nicht Außenministerin, hätte sie sich nach der Lewinsky-Affäre von ihrem Mann scheiden lassen.
Hilary Clinton übrigens ist in gewisser Weise untypisch. Frauen nämlich sind es, die in der Mehrzahl auf die Scheidung drängen: In Deutschland wurden 2008 von den 104.000 Scheidungsanträgen 54,2 Prozent von Frauen eingereicht, nur 37,2 Prozent von Männern. (In den übrigen Fällen beantragten beide Ehegatten die Scheidung.) Und eine ökonomische Studie der Universität Melbourne zeigt, dass Trennungen sogar vorhersehbar sind: Immer dann, wenn die Frau in der Beziehung unglücklicher ist als der Mann, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Scheidung bevorsteht.