Neue Archivfunde zu Schönstatt-Gründer
Ratzinger-Brief aufgetaucht: Pater Kentenich nie rehabilitiert worden
Bis 1965 war der unter Missbrauchsverdacht geratene Schönstatt-Gründer Josef Kentenich im Exil – danach kam er zurück. Wurde er rehabilitiert? Ein neu aufgetauchtes Schreiben aus der Glaubenskongregation bringt Licht ins Dunkel.
Rom - 03.08.2020
Neue Archivfunde belegen, dass der unter Missbrauchsverdacht geratene Schönstatt-Gründer Pater Josef Kentenich nie offiziell rehabilitiert wurde. In einem Schreiben des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger an den Generalrektor der Pallottiner aus dem Jahr 1982 heißt es, dass "keine der früheren Entscheidungen des Hl. Offiziums, die die Lehre, Tätigkeit und Person P. Kentenichs betreffen, annulliert" worden seien. Der Brief wurde katholisch.de von der Historikerin Alexandra von Teuffenbach zur Verfügung gestellt.
Ratzinger betont in dem Schreiben: "Die Glaubenskongregation ist nicht der Meinung, dass die Beanstandungen, die der Apostolische Visitator seinerzeit an Lehre und Tätigkeit P. Kentenichs machte, ein bedauerlicher Irrtum gewesen seien und auf falschen Informationen beruhten." Kentenich sei 1965 "auf Grund eines fehlinterpretierten Telegramms" aus seinem Exil in den USA nach Rom gereist. In der Sitzung des Heiligen Offiziums vom 29. Oktober desselben Jahres sei festgehalten worden, dass er wieder zurück in die USA müsse.
Kentenich habe lediglich von der Religiosenkongregation mit Zustimmung der Glaubenskongregation die Erlaubnis erhalten, die Pallottiner zu verlassen und als Diözesanpriester im Bistum Münster inkardiniert zu werden, allerdings unter der Bedingung, nicht den Schönstattpriestern beizutreten und auch das Schönstattwerk nicht zu leiten.
Postulator: Rehabilitierungsdekrete nicht üblich gewesen
Bereits zuvor hatte der ehemalige Postulator im Seligsprechungsverfahren Kentenichs, der Schönstattpater Angel Strada, eingeräumt, dass es kein Rehabilitierungsdekret gegeben habe. Dies sei übliche Praxis gewesen. Kentenich war nach zwei Visitationen durch das Bistum Trier und das Heilige Offizium von 1952 bis 1965 im Exil in den USA. Laut Strada könne man die Rehabilitierung daran festmachen, dass er bei seiner Rückkehr "mit Wissen des Heiligen Offiziums alle Sachen [tat], die ihm vorher verboten waren". Dazu gehörte unter anderem die geistliche Leitung der Schönstätter Marienschwestern und der Schönstatt-Bewegung. Papst Paul VI. hatte Kentenich im Dezember 1965 in einer Audienz empfangen, mehrere deutsche Bischöfe hätten sich mit seiner Rückkehr nach Deutschland einverstanden gezeigt. 1971 habe der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Alfredo Ottaviani, bei Kentenich um Verzeihung gebeten für alles, was ihm angetan worden sei.
Das nun von der Historikerin Teuffenbach veröffentlichte Schreiben stellt die im Schönstattwerk bisher übliche Darstellung in Frage. Eine Erklärung dafür, dass Kentenich nach seiner Rückkehr in der Praxis weitreichende Freiheiten in der von ihm gegründeten Bewegung hatte, anscheinend mit Duldung aus Rom und den deutschen Bistümern, gibt das nun bekannt gewordene Schreiben nicht. Der Brief Ratzingers an den Generalrektor der Pallottiner, Pater Ludwig Münz, wurde in den "Acta Societatis Apostolatus Catholici", den edierten Dokumenten der Pallottiner veröffentlicht.
Teuffenbach hatte Anfang Juli über Archivfunde aus dem Vatikanischen Archiv aus der Zeit von Papst Pius XII. (1939–1958) berichtet. In den von ihr gefundenen Dokumenten werden Kentenich geistlicher Missbrauch und in einem Fall sexualisierte Gewalt bei den Schönstatt-Schwestern vorgeworfen. Teuffenbach forscht zum Apostolischen Visitator, dem Jesuitenpater Sebastian Tromp, der für die zweite Visitation der von Kentenich gegründeten Schönstatt-Bewegung zuständig war. Die Schönstatt-Bewegung hat eine transparente Aufarbeitung der Vorwürfe zugesagt. Im Bistum Trier, wo die diözesane Phase des Seligsprechungsverfahrens immer noch nicht abgeschlossen ist, obwohl die Historikerkommission bereits 2007 ihre Arbeit beendet hatte, wurde mittlerweile eine zweite Historikerkommission zur Untersuchung der Vorwürfe eingerichtet. (fxn)
Dokumentation: Das Schreiben Ratzingers im Wortlaut
Briefkopf: Sacra Congregatio pro doctrina fidei
Prot. N. 217/50
Romae, am 2. April 1982
Hochw.ster Herr P. General,
Nach unserer persönlichen Begegnung am 26.März d.Js., bei der wir über den Fall des ehemaligen Pallottiners P. Kentenich, sowie über die Relation dieses Falles mit dem früheren Hl. Offizium und der jetzigen Kongregation für die Glaubenslehre gesprochen haben, möchte unser Dikasterium im Anschluss an unsere seinerzeitigen Aussagen im Schreiben vom 25-5-1981, zur Klärung von eventuellen historischen Unsicherheiten noch folgende Punkte ausdrücklich festhalten:
1. Die Glaubenskongregation ist nicht der Meinung, dass die Beanstandungen, die der Apostolische Visitator seinerzeit an Lehre und Tätigkeit P. Kentenichs machte, ein bedauerlicher Irrtum gewesen seien und auf falschen Informationen beruhten.
2. In der Sitzung des Hl. Offiziums vom 29. Oktober 1965 wurde keine der früheren Entscheidungen des Hl. Offiziums, die die Lehre, Tätigkeit und Person P. Kentenichs betreffen, annulliert; man bestand lediglich nicht darauf, dass P. Kentenich, der ohne Erlaubnis der Kongregation, sondern auf Grund eines fehlinterpretierten Telegrammes, von den U.S.A. nach Rom gekommen war, wieder dorthin zurückkehren müsse.
3. Die Glaubenskongregation gab ihre Zustimmung, als die Religiosenkongregation P. Kentenich von den in der Gesellschaft der Pallottiner gemachten Versprechen dispensierte und ihm die / Erlaubnis gab, in der Diözese Münster inkardiniert zu werden, aber unter der Bedingung, dass P. Kentenich nicht in das Säkularinstitut der Schönstattpriester eintreten und nicht die Leitung des Schönstattwerkes übernehmen dürfe.
Mit diesen Klarstellungen, die wir gerne zur Verfügung stellen, hoffen wir, der objektiven Beurteilung der geschichtlichen Wahrheit dienen zu können.
Mit recht herzlichen Grüssen verbleibe ich Ihr in Christus verbundener
Joseph Card. Ratzinger