Politiker reagieren alarmiert
Corona-Neuinfektionen klettern auf höchsten Stand seit Mai
12.08.2020 | Stand 12.08.2020, 13:48 Uhr
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Spahn zur Corona-Pandemie - Spahn zur Corona-Pandemie - © Foto: Michael Kappeler/dpa
Spahn zur Corona-Pandemie - Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit. - © Foto: Michael Kappeler/dpa
Erstmals seit drei Monaten haben die Gesundheitsämter wieder mehr als 1200 Corona-Neuinfektionen an einem Tag gemeldet.
Politiker reagierten alarmiert und mahnten, die Hygieneregeln einzuhalten - also vor allem Abstand zu halten und Masken zu tragen. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte den Trend besorgniserregend. Es gelte sehr wachsam zu sein, vor allem, weil es viele Ausbrüche im ganzen Land gebe, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Etwa jede dritte Corona-Neuinfektion ist derzeit auf Reiserückkehrer und andere Einreisende aus dem Ausland zurückzuführen. Mit den Grenzöffnungen sei der Anteil eingetragener Ansteckungen deutlich gestiegen, heißt es im Situationsbericht des Robert Koch-Instituts. In der Meldewoche vom 3. bis 9. August habe er bei 31 Prozent gelegen. Als wahrscheinlicher Infektionsort am häufigsten genannt wurden in den vergangenen vier Wochen Länder des Westbalkans, die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Polen und Spanien.
Experten und Behörden blicken auch gespannt auf die Entwicklung an den Schulen, denn auch im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind die Sommerferien nun zu Ende. Rund 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche an 5500 Schulen gehen nun wieder regulär zum Unterricht. Alle Schüler der weiterführenden und berufsbildenden Schulen müssen aber auch in der Klasse am Platz einen Mund-Nasen-Schutz tragen - eine solche Anordnung gibt es sonst flächendeckend in keinem Bundesland, aber an einzelnen Schulen in anderen Ländern.
Die Gesundheitsämter haben nach Angaben des Robert Koch-Instituts 1226 neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages gemeldet. Höher lag der Wert zuletzt am 9. Mai. Der Höhepunkt bei den täglich gemeldeten Neuansteckungen hatte Anfang April bei mehr als 6000 gelegen. Die Zahl war danach in der Tendenz gesunken, seit Ende Juli steigt sie wieder. Mediziner und Virologen sind besorgt, dass es zu einem starken Anstieg der Fälle kommt - was die Gesundheitsämter bei der Verfolgung von Ansteckungsketten überfordern könnte. Besonders betroffen sind derzeit Nordrhein-Westfalen und Hamburg.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt sprach sich dagegen aus, bei einzelnen Corona-Infektionen ganze Schulen zu schließen. Er sagte der "Rheinischen Post", es reiche, wenn einzelne Klassen oder Kurse zu Hause blieben.
Angesichts der Sorge vor einer zweiten Corona-Welle verschärfen mehrere Bundesländer die Regeln. In Berlin etwa sollen 240 zusätzliche Mitarbeiter der Ordnungsämter darauf achten, dass die Auflagen eingehalten werden. Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen haben die Bußgelder erhöht, die bei Regelverstößen drohen. Auch Reiserückkehrer aus Risikogebieten sollen stärker kontrolliert werden.
Die Schutzmaßnahmen der Regierungen in Bund und Ländern finden bei den Bürgern weiter Rückhalt. Nur jeder Zehnte hält sie für überflüssig, wie aus einer Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur hervorgeht. Dazu wurden zwischen dem 7. und 10. August insgesamt 2018 Menschen online befragt. 68 Prozent der Befragten halten die Regelungen für "absolut notwendig". Drei Prozent der Befragten halten Schutzmaßnahmen für überflüssig, weil das Virus nach ihrer Einschätzung "nicht so gefährlich" ist. Sieben Prozent sehen zudem hinter Warnungen und Schutzvorkehrungen einen "Versuch mächtiger Kreise, andere Ziele durchzusetzen". Weitere 16 Prozent sind zwar für Schutzmaßnahmen, halten die aktuell vorgeschriebenen Regelungen aber für überzogen. Das Krisenmanagement der Bundesregierung fand wie schon bei vorigen Umfragen hohe Zustimmung.
Seit Beginn der Corona-Krise haben sich mindestens 218 519 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert, wie das RKI meldete (Datenstand 12.8., 0.00 Uhr). Seit dem Vortag wurden 6 neue Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gemeldet, die Gesamtzahl liegt nun bei 9207. Bis Sonntagmorgen hatten 198 800 Menschen die Infektion nach RKI-Schätzungen überstanden.
Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag nach RKI-Schätzungen mit Datenstand 11.8., 0.00 Uhr, in Deutschland bei 0,97 (Vortag: 1,09). Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel etwa einen weiteren Menschen ansteckt. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab.
Spahn sagte, in fast allen Regionen gebe es kleinere und größere Ausbrüche, "durch Reiserückkehr, aber eben auch durch Partys aller Art, durch Familienfeiern". Noch könne das Gesundheitssystem die Infektionszahlen aber gut bewältigen. "Sehr zurückhaltend" sei er weiter bei Großveranstaltungen und Fußballspielen vor Zuschauern, auch weil diese Symbolwirkung für kleinere Zusammenkünfte hätten.
Der Bewerber um den CDU-Parteivorsitz, der frühere Umweltminister Norbert Röttgen, sagte in der Sendung "Frühstart" von RTL/ntv, alle Bürger müssten diszipliniert bleiben. So seien etwa Reisen und Urlaub keine reine Privatsache mehr. "Wer in ein Risikogebiet fährt, der kann nicht sagen: Das ist mein privater Urlaub. Das ist nicht mehr nur privat, sondern er gefährdet damit auch andere."
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