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Vor kurzem hat mich ein Jugendlicher (den ich hier einmal Thorsten nenne) per eMail nach dem Ablass gefragt. Ich habe ihm folgen

#1 von Gast , 02.11.2020 07:36

Karl Leisner Jugend...an seinen Freund, für die Armen seelen.

Vor kurzem hat mich ein Jugendlicher (den ich hier einmal Thorsten nenne) per eMail nach dem Ablass gefragt. Ich habe ihm folgenden Brief zurück geschrieben:[/u]

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Erster Ablassbrief: Die dreifache Folge der Sünde

Lieber Thorsten,

ich kann mir vorstellen, was Du bisher über den Ablass gehört hast: Dass das eine typisch mittelalterliche Entgleisung der Kirche war: Um Geld zu verdienen, wurde die Sündenvergebung an die Spende von Geldern für Kirchen, Fürsten und Päpste gebunden. «Gott sei dank», so heißt es dann oft, «gibt es heute so etwas nicht mehr. Hätte die Kirche den Ablass schon früher abgeschafft, so gäbe es heute kein katholisch und evangelisch.»

Um so erstaunter sind die so (gegen den Ablass) Geimpften, dass es den Ablass bis heute noch gibt. Nicht nur vor dem Papstsegen an Ostern und Weihnachten («urbi et orbi») wird verkündet, dass mit dem Segen ein vollkommener Ablass verbunden ist. Nein, auch mit Heiligen Jahr, dem Besuch von Kirchen und Wallfahrtsorten, dem Beten oder mit guten Werken usw. sind bis auf den heutigen Tag in der ganzen Welt Ablässe verbunden. Sind wir etwa immer noch «mittelalterlich rückständig»?

Lieber Thorsten, hinter dieser Kritik steckt eine ganz große Unkenntnis. Wenn Dein Religionslehrer behauptet, der Ablass sei heute überholt und gehöre längst abgeschafft, dann ist das vielleicht seine eigene Meinung, aber nicht die Lehre der katholischen Kirche. Tatsächlich habe auch ich es an der Universität auch nicht anders gelernt (auch da wird nicht immer die Lehre der Kirche gelehrt, sondern manchmal nur die Meinung des einen Professors).

Dabei ist alles gar nicht so kompliziert (bei solchen Worten musst Du immer etwas vorsichtig sein, es gibt die "großen Vereinfacher", die komplizierte Ding simpel, aber falsch wiedergeben. Aber, glaube mir, diesmal ist es wirklich einfach!):



Eine dreifache Unterscheidung

Eine der großen theologischen und menschlichen Stärken der katholischen Kirche ist es, Unterscheidungen zu treffen. Manchmal sind die äußerst feinsinnig (manchmal auch etwas zu übertrieben, das kommt vor). So unterscheidet die Erfahrung der Kirche bei einer Sünde drei verschiedene Folgen: Zwischen persönlicher Schuld, Schaden und Strafe.

Wenn mir jemand zum Beispiel Geld klaut, macht er sich dreifach schuldig:

Indem er mich als Person missbraucht und dadurch verletzt (personale Schuld),
indem er mir einen materiellen Schaden zufügt (mir fehlt jetzt Geld) und
indem er sich selbst und die Gemeinschaft schädigt. (Strafe)

Bleiben wir dem Beispiel vom Diebstahl. Dir klaut jemand 1000,- DM. Er hat sich nicht sonderlich klug angestellt, wird erwischt, verhaftet und kommt vor Gericht. Wenn er sich bei Dir entschuldigt, Dich um Verzeihung bittet, weil es ihm wirklich leid tut, dass er Dir das Geld genommen hat (denn er findet Dich ganz nett), dann ist das eine Frage der personalen Schuld. Du kannst ihm verzeihen, oder auch nicht. Aber egal, was Du tust, es hat nichts mit dem Gerichtsverfahren zu tun. Das Gericht wird den Fall ganz neutral behandeln, ob Du ihm jetzt verziehen hast oder nicht.

Das Gericht beachtet nämlich die anderen beiden Aspekte. Der Dieb wird zur Wiedergutmachung verurteilt: Er muss Dir den Schaden erstatten. (Das wäre ja auch noch schöner, wenn er das Geld behalten dürfte!). Damit ist der Fall aber noch nicht erledigt. Denn die Gerichte verurteilen alle Straftäter noch zu einer zusätzlichen Strafe (ein Bankräuber ist dadurch noch nicht frei, wenn er nur die Beute zurück gibt). Das hat damit zu tun, dass der Dieb auch noch die Gesellschaft, sich selbst und die Gerechtigkeit verletzt hat.

Also: Im ganz normalen Leben unterscheiden wir und die deutschen Gerichte immer die drei Aspekte: personale Schuld, Schaden und Strafe. Keiner hat was dagegen und alle sind damit einverstanden. Was allerdings im alltäglichen Leben unserem Rechtsempfinden entspricht, findet die genaue Entsprechung im katholischen Glauben. In der katholischen Kirche wird die personale Schuld durch Gott in der Beichte vergeben, die Buße ist ein Zeichen der Wiedergutmachung (und sollte deshalb auch der Tat entsprechen, also z.B. jemandem Gutes tun, den man zuvor geschädigt hat) und die Strafe ist ein Ablass-Werk, die Tilgung der Strafe der Ablass.

Genau wie im richtigen Leben wird als Strafe nicht nur Gefängnisstrafe, sondern auch Geldstrafe (oft zugunsten einer Hilfsorganisation) oder Sozialstunden verhängt: Es geht ja darum, dass der Straftäter sich selbst ändert, der Gesellschaft noch etwas schuldet und sich erneut für die Gerechtigkeit engagiert. Da haben wir nichts dagegen. Wenn die Kirche das aber tut, dann schütteln wir den Kopf. Was aber ist denn so schlimm daran, wenn der Ablass darin besteht, für eine gute Sache zu Geld spenden? Oder eine Wallfahrt machen (sozusagen religiöse Sozialstunden abzuleisten)?

Nebenbei: Ob wir nun das Gefängnis (in dieser Welt) mit dem Gedanken des Fegefeuers (in der anderen Welt) gleichsetzen, ist nicht so wichtig. Es gab früher zwar Ablässe für eine bestimmte Anzahl von Tagen, was sehr an die Bemessung von Gefängnisstrafen erinnert. Aber erstens sind diese Ablässe abgeschafft und außerdem wollen wir den Vergleich nicht zuweit treiben.

Lieber Thorsten, es ist so menschlich und entspricht so sehr unserem Rechtsempfinden, dass es sich bei dieser Dreiteilung (Schuld, Schaden und Strafe) offensichtlich um etwas Allgemeingültiges handelt, also auch im religiösen Bereich gilt.

Aber, so könntest Du fragen: «Wofür soll diese Unterscheidung gut sein?»

Ganz einfach: Wir müssen zwischen diesen drei Aspekten der Schuld differenzieren, weil wir sonst dem Dieb nicht gerecht werden. Schau:



Vergebung - und Wiedergutmachung

Als Christen sollten wir jedem verzeihen, wie Jesus schon dem Petrus gesagt hat, siebenmal siebenundsiebzigmal (also immer!). Das heißt aber nicht, dass wir uns immer wieder ausrauben lassen sollen und den Dieben sogar noch die Beute überlassen, wenn sie sich entschuldigen. Nein, wenn wir zwischen Schuld verzeihen und Schaden wiedergutmachen unterscheiden, können wir dem Dieb gerecht begegnen: Wenn er sich entschuldigt, können wir ihm verzeihen (also ihm bei der nächsten Gelegenheit wieder ganz vertrauen); wir dürfen aber trotzdem darauf bestehen, dass wir unser Geld wiederkriegen. Wenn der Dieb behauptet, er dürfe das Geld behalte, wir hätten ihm ja verziehen, dann können wir ihm erzählen, dass Schuld vergeben und Schaden wiedergutmachen nun einmal zwei verschiedene Dinge sind.



Wiedergutmachung - und Strafe

Nun macht es aber einen Unterschied, ob der Dieb mir das Geld geklaut hat, um sich damit einen schönen Tag auf Ibiza zu gönnen, oder ob er es genommen hat, weil er ungerechterweise erpresst worden ist. Je nachdem, wie schlecht seine Absicht gewesen ist, bekommt er eine unterschiedliche Strafe. So handeln ja auch die Gerichte. Es geht ja nicht nur darum, festzustellen, ob der Täter schuldig ist, sondern auch, warum er es getan hat. Danach legt der Richter das Strafmaß fest. Einen Anspruch auf Wiedergutmachung hast Du immer, denn es ist ja Dein Geld, auch wenn der Dieb selber unter Druck gestanden hat. Aber die Strafe kann ich danach bemessen, ob der Dieb geglaubt hat, nicht anders handeln zu können. Wenn ich also dem Dieb gerecht werden will, muss ich nicht nur zwischen Schuld und Schaden, sondern auch zwischen Wiedergutmachung und Strafe unterscheiden.

Diese feinsinnige Unterscheidung der Kirche zwischen Schuld, Schaden und Strafe ist also nicht etwa überflüssig, sondern notwendig, um dem Täter gerecht zu werden. Das gilt, selbstverständlich, auch für Gott. Denn Gott will ja auch uns gerecht werden.

Lieber Thorsten, es ist aber auch gut für Dich als Geschädigten, feinsinnig zu unterscheiden. Denn wenn Du denkst, Schuld zu vergeben und Schaden hinzunehmen sei das Gleiche, wird Dir das Christsein nicht nur viel zu schwer fallen, sondern Du wirst auf Dauer auch verbittern. Du wirst mit Neid auf die Nicht-Christen schauen, die auf ihr Eigentumsrecht pochen, weil Du glaubst, Du müsstest einfach alles hinnehmen.

Wenn Du nicht mehr unterscheidest zwischen Wiedergutmachung und Strafe - und die Strafe nicht mehr an der Gerechtigkeit ausrichtest: Dann kann dagegen Rache Deinen Verstand benebeln. «Dem werd ich es aber mal zeigen!» Tu Dir das bitte nicht an! Bewahre Dich vor Neid und Rache, Verbitterung und Vergeltung. Unterscheide lieber und werde Dir, dem Sünder und Gott gerecht.

Die Verbannung des Ablasses aus dem kirchlichen Denken führt nicht, wie Dir dein Religionslehrer gesagt hat, zu einer größeren Gerechtigkeit. Ohne den Ablass und der Erkenntnis, die dahinter steht, wird unser Glaube ärmer an Gerechtigkeit.

Lieber Thorsten, Du willst Medizin studieren und nicht Theologie; vielleicht sind diese Gedanken deshalb nicht ganz «Dein Ding». Aber wenn wir die Schuld des Menschen in seinen drei Schattierungen ernst nehmen, ist das sozusagen «Psycho-Hygiene», also doch wieder etwas Medizinisches, zumindest im weitesten Sinn. Außerdem sollte jeder gute Mediziner auch in verwandte Gebiete der Medizin hineinschnuppern... und die Theologie gehört mit Sicherheit dazu, immerhin beschäftigt sie sich genauso wie die Medizin mit dem Heil der Menschen.

Okay, ich bin gespannt, was Du von meinen Überlegungen hältst. Ich wünsche Dir auf jeden Fall alles Gute - und Gottes Segen (schadet nie!).

Dein Peter.

Ein paar Jahre später hat mir Svenja (wieder eine Medizinstudentin) eine weitere eMail zu dem Thema "Ablass" geschickt und gefragt, warum Gott denn die Strafe nicht einfach erlässt - wenn er uns liebt. Ich habe mich entschlossen, die Antwort hier anzufügen - als "zweiten Ablassbrief" sozusagen.
Ein zweiter Ablassbrief: Wofür der Ablass gut ist

Liebe Svenja,

danke für Deine Mail. Beim Lesen des Artikels über den Ablass hast Du bemerkt, dass der Brief an "Thorsten" nicht vollständig ist. Das ist richtig; diesen "Thorsten" gab es wirklich (wenn auch mit anderem Namen - aber Deinen Namen habe ich ja auch geändert) und auch der Brief an ihn war echt - deshalb wollte ich ihn nicht nachträglich verändern.

Ich habe zwar die Strafe im Strafrecht mit dem Ablass im Religiösen verglichen; aber ich habe nicht gefragt, wofür die Strafe denn gut ist. Natürlich ist sie erst einmal (neben der Verzeihung und der Wiedergutmachung) ein Mittel, um die Motivation des Täters zu bewerten:
Hat der Täter selbst aus Not gehandelt (oder glaubte er, etwas Gutes zu tun) so braucht er zwar auch Verzeihung und muss auch Wiedergutmachung leisten - aber er wird wahrscheinlich eine milde Strafe oder auch gar keine Strafe bekommen. Hat er aber genau die gleiche Tat aus reiner Böswilligkeit begangen, wird er eine sehr viel härtere Strafe bekommen - und hat sie ja auch verdient. Und das, Svenja, ist auch bei Gott so. Er verzeiht nicht einfach so - wenn wir wirklich böse waren und Böses gewollt haben, dann haben wir eine Strafe verdient, auch in den Augen Gottes. Vermutlich ist es sogar so, dass wir selbst erst vor Gott treten wollen, wenn wir die entsprechende Strafe erlitten haben.

Das wird ein wenig einleuchtender, wenn wir fragen, was denn eine "Strafe" überhaupt ist. Nun, ein Gerechtigkeitsmodell ist das "Verursacherprinzip": Jeder soll die Folgen tragen, die er selbst verursacht hat. Wer Schmerz verursacht, soll auch den Schmerz selbst erleiden. Das alte Prinzip "Aug um Aug, Zahn um Zahn" ist also gar nicht so schlecht: Dahinter steckt der Gedanke, dass es gerecht ist, wenn jemand das Leid, dass er anrichtet, auch selbst spürt.

Oft ist das automatisch so: Wer ständig lügt und das Vertrauen anderer missbraucht, der wird irgendwann nicht mehr vertrauenswürdig sein - und seine Freunde verlieren. Das ist der Weg, auf dem er begreift, dass er sich ändern muss.
Leider funktioniert das nicht immer: Viele Menschen leben auf Kosten anderer - und es geht ihnen gut dabei. Gerecht ist das nicht.

Die Strafe versucht also, die Gerechtigkeit wiederherzustellen, indem eine ausgleichende Instanz (z.B. der Staat, ein Gericht - oder auch Gott) das Verursacherprinzip wiederherstellt. Gottseidank geht es nicht mehr nach dem einfachen Prinzip "Aug um Aug...", sondern wir sind da sehr viel humaner und sozialer - ganz zu schweigen von Gottes genialen Wegen, uns zu bekehren.
Wenn Du ehrlich nachdenkst oder "nachfühlst", dann kannst Du verstehen, dass jemand, der seine Schuld einsieht und begreift, was er angerichtet hat, sehr wohl wünscht, er könne die Folgen seiner Tat selber tragen und dadurch anderen, denen er Leid zugefügt hat, seine Reue zeigen.
So ist auch Gott: Er weiß, dass das Ertragen des selbst angerichteten Leids letztlich unserer eigenen "Psychohygiene" entspricht. Eine Strafe ist dabei nicht immer etwas Feindliches; wer begreift, was er getan hat, kann sogar eine Strafe wünschen und sie als Akt der Liebe annehmen.

Der Ablass ist also keine Strafe, die Gott verhängt, weil er sauer auf uns ist. Der Ablass ist der Versuch, selbst zu tragen, was wir verursacht haben - sozusagen ein Akt der Reinigung.

Wenn Du z.B. wirklich Böses getan hast und Du es bereust und den Schaden wiedergutgemacht hast, bleibt immer noch der Wunsch, das verursachte Leid selbst zu spüren und zu ertragen; mit der Verzeihung ist also nicht gleichzeitig der Erlass der Strafe gemeint. Ein Beispiel: Ich bin Lehrer und erfahre es genauso: Wenn ich bei einer bestimmten Sache (zum Beispiel das Abschreiben von Hausaufgaben) immer eine gerechte Strafe verhänge, aber bei einem Schüler plötzlich sage: "Ist o.k." und nichts tue, wird dieser Schüler, wenn er ehrlich mit sich selbst ist, das "nicht-Bestraftwerden" als ungerecht empfinden.

Und für Dich als angehende Medizinerin ist vielleicht auch interessant, das bestimmte Formen der Autoagression (vor allem das Zufügen von Schnittwunden) durch einen Selbstbestrafungsmechanismus verursacht wird - auch, wenn die Schuld oft nur eine subjektive und eingebildete Schuld ist. Dieser Gedanke, dass schlechte Taten auch selbst gespürt werden müssen, sitzt sehr tief in der Psyche des Menschen; eine Behandlung geht in solchen Fällen fast nur über die Schuldbewältigung.

Allerdings gilt: Gott verzeiht uns - und in seinem Sohn hat Jesus auch unsere Strafe erlitten. Dadurch sind wir davon befreit, alle Konsequenzen unseres Tuns wirklich 1 : 1 ertragen zu müssen. Weil die Strafe (also die Konsequenz) unserer Gottlosigkeit eigentlich der Tod wäre, hat Gott uns davor bewahrt. Uns bleibt aber noch der Anteil, den wir tragen können. Davon will Gott uns nicht befreien, weil er uns liebt.

Liebe Svenja, ich hoffe, Dir damit ein wenig geholfen zu haben. Ich gebe zu, das Thema ist nicht so einfach; vor allem gehört dazu wirklich viel Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelt eines Menschen, der schwer unter seiner Schuld leidet.

Ich wünsche Dir für Dein Studium, dass Du viel von diesem Einfühlungsvermögen hast! Gott segne Dich - Dein Peter.


   

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