Kardinal Pell: Brauchen keine zweite protestantische Kirche
"Sind wir Diener und Verteidiger der apostolischen Tradition, des Glaubens, der Offenbarung - oder deren Herren, so dass wir sie grundlegend ändern könnten?"
Kardinal George Pell im Interview mit EWTN News in Rom im Dezember 2020.
Foto: Daniel Ibanez / CNA Deutsch
ROM , 07 June, 2021 / 11:07 AM (CNA Deutsch).-
Die Lösung der Kirchenkrise besteht nicht darin, sich von der Lehre der Kirche abzuwenden: Das hat Kardinal George Pell gegenüber der Agentur "Kathpress" in einem neuen Interview betont.
Es sei "eine totale Fehlinterpretation zu meinen, diese furchtbare Krise verlange ein völliges Umdenken bei unseren Strukturen oder der Art, wie wir leben", sagte der australische Prälat anlässlich seines 80. Geburtstags am Dienstag gegenüber "Kathpress".
Pell bezog sich nicht nur auf den umstrittenen "Synodalen Weg" in Deutschland und Reformdebatten in seiner australischen Heimat, sondern auch auf den grundsätzlichen Ansatz einer Reform der Kirche: "Wir brauchen keine weitere protestantische Kirche; liberale Protestanten verlieren noch viel schneller und mehr Mitglieder als wir".
Eine entscheidende Frage, der sich Katholiken in Australien wie in Europa vielmehr stellen müssen, so Pell: "Sind wir Diener und Verteidiger der apostolischen Tradition, des Glaubens, der Offenbarung - oder deren Herren, so dass wir sie grundlegend ändern könnten?"
In einem Interview mit EWTN im Januar hatte Pell erklärt, wie das Problem des sexuellen Missbrauchs und dessen systematische Vertuschung durch Kleriker aus seiner Sicht zu lösen sei: "Wir müssen uns den beschämenden Tatsachen stellen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Botschaft Christi, die Lehre Christi predigen. Man darf nicht nur auf das schauen, was Schlagzeilen macht, was die antireligiöse Presse sagt. Man muss das Ganze in den Blick nehmen, also auch das sehen, was wir in der Geschichte getan haben: Man darf nicht vergessen, wieviel die Kirche zum Wohl der Menschheit geleistet hat – es ist enorm viel."
Der prominente Prälat und ehemalige Wirtschaftspräfekt des Vatikans war am 13. März 2019 zu sechs Jahren Haft in einem Prozess verurteilt worden, den selbst entschiedene Gegner Pells und der Kirche als skandalös bezeichnet hatten.
Eine Jury hatte entschieden, dass der Kleriker in der Kathedrale von Melbourne 1996 zwei Chorknaben sexuell missbraucht habe – bei offener Tür in der Sakristei, direkt nach der heiligen Messe, entgegen der Aussagen von 20 Augenzeugen und ohne einen einzigen Beweis. Die Geschworenen schenkten den – sich teilweise widersprechenden – Aussagen des einzigen Zeugen – einem der beiden vermeintlichen Opfer – jedoch ihren Glauben. Selbst das zweite vermeintliche Opfer, mittlerweile verstorben, hatte die angebliche Tat vor seinem Tod bestritten.
Ein Berufungsgericht in Melbourne bestätigte den Schuldspruch am 21. August 2019 – gegen die Stimme eines Richters, einem renommierten Juristen namens Mark Weinberg. Der Kardinal kam hinter Gitter – zumindest vorerst: Am 7. April 2020 wurde Pell freigelassen, nachdem die obersten Richter Australiens einstimmig und mit sofortiger Wirkung den Schuldspruch aufgehoben hatten – so wie es unter anderem Mark Weinberg und eine Petition von über 100.000 Unterschriften gefordert hatte.
Der skandalöse Fall, der mit der "Dreyfus-Affäre" verglichen wurde, erschütterte die Weltkirche wie die australische Justiz, wie CNA Deutsch berichtete.
Rücktrittsangebot von Kardinal Marx
Indessen hat die kontroverse Debattenveranstaltung des "Synodalen Wegs" auch innerhalb der deutschen Diözesen für Turbulenzen, Kritik und schwere Bedenken gesorgt – vor allem auch theologische.
Mit dem Angebot seines Rücktritts hatte einer der Initiatoren des Prozesses, der deutsche Kardinal Reinhard Marx, am 4. Juni weltweit für Aufsehen gesorgt: Der Erzbischof, dem Vertuschung von Missbrauch vorgeworfen wurde, war nicht nur persönlich für seinen Umgang mit Fällen sexueller Gewalt in Kritik geraten, sondern hatte sich zuletzt auch vom Vorsitz des "Synodalen Wegs" und anderen Ämtern – etwa im Februar 2020 vom Vorsitz der Bischofskonferenz – zurückgezogen.
Aus seiner Sicht sollte dennoch der "Synodale Weg" in Deutschland nicht abgebrochen werden, bekräftigte Marx in seiner Erklärung wie auch Bischof Georg Bätzing von Limburg – sein Nachfolger als Vorsitzender der Bischofskonferenz.
Dagegen haben der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, erklärt, dass der italienische synodale Prozess nicht vergleichbar mit dem deutschen "Synodalen Weg" sei. Die Worte des italienischen Kardinals folgten der scharfen Kritik von Kardinal Vinko Puljić, dem Erzbischof von Sarajevo, an den "exotischen Ideen" des deutschen "Synodalen Wegs" – sowie der äußerst scharfen Kritik der amerikanischen Erzbischöfe Samuel Aquila von Denver und Salvatore Cordileone von San Francisco.
Bereits früher hatten sich Kardinal George Pell, aber auch der italienische Kardinal Camillo Ruini, der englische Bischof Philip Egan von Portsmouth und der spanische Bischof José Ignacio Munilla Aguirre von San Sebastián der wachsenden Zahl von Kirchenvertretern und prominenten Theologen angeschlossen, die sich besorgt über den "Synodalen Weg" und andere Vorgänge in Deutschlands Diözesen zu Wort gemeldet haben, von der offenen Rebellion gegen Rom in der Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Verbindungen in der Kirche, über die Interkommunion mit Protestanten sowie die Weihe von Frauen.
Nach Erzbischof Stefan Heße von Hamburg ist Marx mittlerweile der zweite deutsche Ortsbischof, der dem Papst seinen Rücktritt in der Kirchenkrise angeboten hat. Heße bat im März um die sofortige Entbindung von seinen Aufgaben als Erzbischof. Hintergrund waren die gegen Heße erhobenen Vertuschungsvorwürfe im bahnbrechenden Kölner Missbrauchsgutachten (CNA Deutsch hat berichtet). Bereits im Dezember 2020 hatte zudem der Kölner Kardinal Woelki den Papst gebeten, gegen ihn erhobene Vertuschungsvorwürfe zu untersuchen. Aktuell prüfen zwei Visitatoren die Situation und Akten im Erzbistum Köln.