Pandemiepolitik:"Das war eine schlechte Woche"
8. April 2022, 15:35 Uhr
Lesezeit: 3 min
Pandemiepolitik: Tja. Der Bundesgesundheitsminister am Freitag in Berlin, am Tag nach dem Scheitern der Impfpflicht im Bundestag.
Tja. Der Bundesgesundheitsminister am Freitag in Berlin, am Tag nach dem Scheitern der Impfpflicht im Bundestag. (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)
Karl Lauterbach nennt das Aus für die Impfpflicht "eine klare, herbe Niederlage" - und kündigt schon mal schärfere Maßnahmen für den Herbst an. Mit dieser Entscheidung gebe es keinen Spielraum mehr für weitere Lockerungen.
Von Angelika Slavik, Berlin
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Zu den schlimmsten Dingen im Leben eines Politikers gehört die öffentliche Niederlage: Man hat dann nicht einfach nur verloren, es sehen einem auch noch alle zu beim Verlieren. Sie beobachten, ob sich die Spuren der Niederlage irgendwo manifestieren, in dunklen Augenringen vielleicht oder einem schiefen Scheitel.
Karl Lauterbach sitzt am Freitagmorgen in der Bundespressekonferenz in Berlin, geht ja nicht anders, der Termin stand halt schon fest: Der Bundesgesundheitsminister informiert über die Corona-Lage, wie an unzähligen anderen Freitagen seit Beginn der Pandemie. Neben ihm sitzt Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), außerdem ist der Vorsitzende der Vereinigung der Intensivmediziner da, Gernot Marx.
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Der Minister, Scheitel eher mittelgut, redet nicht lange um die Sache herum. Das Scheitern der Impfpflicht im Bundestag keine 24 Stunden zuvor war "eine klare und auch bittere Niederlage". Er habe gehofft, dass man im Herbst in einer anderen Lage sein würde, als es nun wohl der Fall sein werde. Was folgt nun daraus? "Wir werden wahrscheinlich im Herbst ein drittes Mal nicht optimal vorbereitet in die dann zu erwartende Welle hineingehen."
Ob die Welle wirklich komme und mit welcher Virusvariante man es dann zu tun haben werde, wisse natürlich niemand mit Bestimmtheit, die meisten Experten gingen aber davon aus, dass mit neuen Pandemiewellen zu rechnen sei. Im Herbst, wahrscheinlich auch schon im Sommer. Die Voraussetzungen für das Entstehen neuer Virusvarianten seien geradezu optimal, sagt Lauterbach: Die Fallzahlen sind hoch, zudem kursierten schon unterschiedliche Varianten, die sich rekombinieren könnten. "Es ist auf jeden Fall mit einer Welle zu rechnen, das ist meine Sicht der Dinge."
In Sicht: das Comeback der Maskenpflicht
Deshalb könne man sich schon mal darauf einstellen, dass es im Herbst wieder strengere Maßnahmen brauchen werde. Wenn das aktuelle Infektionsschutzgesetz - das weitestgehend das Ende aller bundesweiten Maßnahmen brachte - im September auslaufe, werde man auf jeden Fall "noch mal ran" müssen. Übersetzt heißt das: Lauterbach prophezeit das Comeback der Maskenpflicht. Ohne Impfpflicht werde es nicht anders gehen. Und auch jetzt sei der Spielraum für weitere Lockerungen erschöpft. Lockerer als derzeit werde Deutschland ohne Impfpflicht nicht mehr, das ist die Botschaft.
Insgesamt sagt Lauterbach: "Das war eine schlechte Woche." Er meint damit: Es war eine schlechte Woche für den Schutz der Bevölkerung vor dem Virus. Und er meint das medizinische Personal in den Krankenhäusern, die Menschen mit Vorerkrankungen, die sich selbst mit einer Impfung nicht optimal schützen könnten, er meint künftige Sterbefälle, "die wir hätten verhindern können". Aber natürlich war es auch eine katastrophale Woche für den Politiker Lauterbach: Am Wochenanfang das Hin und Her mit der Quarantänepflicht, ein Rückzieher bei Twitter nachts um halb drei, ein Fehlereingeständnis bei Markus Lanz. Dann das Scheitern der Impfpflicht.
Immerhin, es gibt auch gute Nachrichten. RKI-Chef Wieler verkündet, dass der Höhepunkt der aktuellen Welle überwunden sei, am Freitagmorgen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 1187,2 - noch vor zwei Wochen lag dieser Parameter deutlich über 1900. Trotzdem: 334 Tote binnen 24 Stunden stehen in der Statistik. Der Intensivmediziner Marx sagt, die Lage in den Krankenhäusern sei aktuell beherrschbar, aber es müssten viele Operationen verschoben werden, weil es coronabedingt viel Personalausfall gebe.
Lauterbach macht weiter - als Arzt dürfe man nichts unversucht lassen, sagt er
Bleibt die Frage, ob man die Dinge noch rumreißen kann. Die FDP hatte nach der Abstimmung am Donnerstag durchblicken lassen, dass man ja noch mal reden könne, falls sich die Lage im Herbst anders darstelle als jetzt. Und auch Lauterbach selbst hatte unmittelbar nach dem Scheitern des Impfpflichtgesetzes gesagt, man müsse neu reden. Aber wenige Stunden später hatte Kanzler Olaf Scholz signalisiert, dass er keine Lust auf einen neuen Anlauf in Sachen Impfpflicht habe. Und nach einer Nacht scheint sich auch Lauterbach dem Schicksal zu fügen, zumindest fast. Er sei nicht optimistisch, dass neue Gespräche mit der Union zu anderen Ergebnissen führen könnten, schließlich habe man ja monatelang geredet. Zudem sei es "eine klare, herbe Niederlage" gewesen, "die es in dieser Größenordnung auch sehr unwahrscheinlich macht, dass sich hier noch etwas bewegen wird".
Trotzdem, Gesprächen dürfe man sich nie verweigern. Als Arzt dürfe man nichts unversucht lassen, wenn es um das Leben eines Menschen gehe, sagt Lauterbach, man müsse immer bis zum Schluss kämpfen. Das gelte auch für Politiker, wenn sie Entscheidungen träfen, bei denen es "letztlich um das Leben von Menschen geht".