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Mail aus der Ukraine / Plünderungen: "Die Russen stahlen alles, auch Altkleider und Gabeln" Eine Kolumne von Witalij Sytsch

#1 von anne ( Gast ) , 02.05.2022 16:35

Mail aus der Ukraine / Plünderungen: "Die Russen stahlen alles, auch Altkleider und Gabeln"
Eine Kolumne von Witalij Sytsch

Unser Kolumnist Witalij Sytsch leitet das ukrainische Magazin "NV". Sein Sommerhaus wurde geplündert, sein Nachbar getötet. Trotzdem sagt er: Wir hatten Glück.
27. April 2022, 6:04 Uhr 47 Kommentare
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Gestern fuhr mich ein Fahrer aus Mariupol in Lwiw mit dem Taxi. Sein Name war Serhy, so stand es in der Taxi-App. Ihm und seiner Familie war es gelungen, Mariupol zu verlassen, bevor die Russen die Stadt einkesseln konnten. Er hatte einen Kindersitz auf der Rückbank seines Autos und hatte nach seiner Flucht bei Bolt Taxi angefangen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Stadt Mariupol und ihre 400.000 Einwohner sind nicht nur weltweit in den Schlagzeilen. Sie ist auch in unseren Gedanken. Wenn es eine Hölle auf Erden gibt, dann befindet sie sich in Mariupol.
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Mail aus der Ukraine

"NV" ist ein unabhängiges ukrainisches Medienhaus mit Sitz in Kiew. Die Redaktion publiziert ein Wochenmagazin und betreibt einen landesweiten Radiosender sowie die Nachrichtenwebsite nv.ua. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zwang die Redaktion, Kiew zu verlassen, das gedruckte Magazin musste eingestellt werden, einige Redakteure wurden zum Militär eingezogen oder haben sich der Territorialverteidigung angeschlossen. Die Website und der Radiosender, der noch immer fast landesweit sendet, werden jetzt aus einem Einkaufszentrum in Lwiw betrieben. " nv.ua " ist zu einer der wichtigsten Nachrichtenquellen in der Ukraine geworden. In dieser Kolumne erzählen der Chefredakteur Witalij Sytsch und einige seiner Mitarbeiter, wie sie zwischen Sirenengeheul und Ausgangssperre Journalismus machen. "NV" und ZEIT ONLINE kooperieren.

Natürlich wollte ich mit ihm sprechen. Er sagte, 95 Prozent der Wohnungen in der Stadt seien zerstört, einschließlich seiner. Etwa 100 Menschen, die er persönlich kannte, seien getötet worden. Seine Informationen habe er von Überlebenden, von innerhalb und außerhalb der Stadt. Was mich überraschte: Serhy war nicht emotional. Vielleicht war er abgestumpft. Vielleicht wollte er seine Last einfach nicht bei mir abladen.

Was mich am meisten erstaunte, war, dass er zurückkehren wollte, um Mariupol wieder aufzubauen – zumindest, "wenn die Stadt in der Ukraine bleibt", wie er hinzufügte. Ich kenne viele Menschen, die Hemmungen haben, in ihre Heimatstädte zurückzukehren, die weit weniger zerstört wurden als Mariupol. Mir standen die Tränen in den Augen. Ich bezahlte den doppelten Fahrpreis. Das war alles, was ich tun konnte.
Wir zeigen diese Videos in Kooperation mit der ARD
Hoffnung auf weitere Evakuierungen aus Stahlwerk in Mariupol 2.5.2022, 11:39
Unter Beschuss - Kriegstagebuch Ukraine 8.3.2022, 21:20
Hier zu Videos von ZEIT ONLINE

Die Russen drängen darauf, die Kontrolle über Mariupol zu erlangen, weil Wladimir Putin unbedingt am 9. Mai einen Erfolg verkünden möchte. Am 9. Mai jährt sich die Kapitulation der deutschen Wehrmacht, Russland feiert den "Tag des Sieges", der zu einem festen Bestandteil der russischen Mythologie geworden ist. Der andere Grund ist weniger offensichtlich, aber ebenso wichtig: Die Russen zögern, die Welt die Folgen ihrer Gräueltaten in Mariupol sehen zu lassen. Nach unterschiedlichen Schätzungen wird die russische Offensive zwischen 10.000 und 30.000 tote Zivilisten in der Stadt hinterlassen. Das könnte Butscha mal 20 sein.

In Lwiw, am anderen Ende der Ukraine, ist das Leben zurückgekehrt. In der Stadt, deren Einwohnerzahl seit Beginn des Krieges um 30 Prozent gewachsen ist, haben Geschäfte, Bars und sogar Kinos wieder geöffnet. Endlich konnte ich mir einen Wintermantel kaufen – ich hatte Kiew in aller Eile verlassen und hatte nur eine leichte Jacke dabei, die ich vor zwei Jahren in Berlin gekauft hatte. Normalerweise trage ich Größe L, aber ich war froh, als ich in einem türkischen Geschäft einen XL-Mantel fand, nachdem ich mit 30 anderen in einer Schlange gestanden hatte. "Nehmen Sie, was wir haben", sagte die Verkäuferin. "Bald werden wir nicht einmal mehr das haben."

Das Alkoholverbot in Lwiw ist mittlerweile aufgehoben – mit Ausnahme von harten Spirituosen – und so füllen sich die Restaurants und Bars mit einem gemischten Publikum aus ausländischen Journalistinnen und Einheimischen, die aus anderen Großstädten nach Lwiw gezogen sind. Sogar in den Juweliergeschäften tauchen Kundinnen auf, obwohl ich keine Ahnung habe, wozu man während des Krieges eine Goldkette braucht. An den Wochenenden ist der riesige Parkplatz neben dem Einkaufszentrum, von dem aus wir senden, völlig überfüllt.

Das Einzige, was alle schnell nach Hause treiben kann, ist die Sirene des Fliegeralarms. Die meisten Besucherinnen würden wohl dennoch draußen bleiben, aber laut Kriegsprotokoll müssen alle Geschäfte sofort schließen und die Mitarbeiter in den Bunker rennen. Mitte April schlugen fünf Raketen in Lwiw ein, sie töteten sieben Menschen und verwundeten Dutzende. Anscheinend hat das niemanden nachhaltig beunruhigt.

Zur gleichen Zeit erfuhr ich, dass mein Sommerhaus im Dorf Nowa Bohdaniwka nördlich von Kiew von russischen Soldaten ausgeraubt worden war. Das Haus, in das ich so viel Zeit und Energie investiert hatte, um es zu renovieren, eine Terrasse zu bauen und Sträucher und Bäume zu pflanzen. Das Haus, in dem meine Familie die meisten unserer Wochenenden verbracht hatte und in dem wir neun Monate während der Pandemie gelebt hatten. Wenigstens haben die Russen es nicht niedergebrannt.

anne

   

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Danke für Ihr Reinschauen und herzliche Grüße...
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