Frage und Antwort
Wie gut die Corona-Impfung wirklich wirkt – eine Zwischenbilanz
Viel hat man sich von der Impfung gegen Covid-19 erwartet. Sie hat auch einiges gebracht. Aber stimmt das auch mit den Vorankündigungen überein? Experten ziehen Bilanz
Pia Kruckenhauser
16. Mai 2022, 06:00
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Viele Hoffnungen, aber auch viel Frust sind mit der Corona-Schutzimpfung verbunden. Wie gut sie wirklich wirkt, darüber ziehen Expertinnen und Experten eine Zwischenbilanz.
Foto: Robert Newald Photo
Jetzt bekommen wir die Impfung, und dann wird alles gut – so hat sich die Gefühlslage vieler Anfang 2021, bald ein Jahr nach Beginn der Pandemie, dargestellt. Ein erstes Aufatmen war spürbar, aber es kam auch zu Impfneid und ungerechtfertigtem Vordrängeln von so manchen beim "Kampf" um den Schutz vor der Krankheit.
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Tatsächlich waren die Erwartungen, die in die Impfung gesetzt wurden, riesig, von Politik und Gesellschaft wurde sie hochstilisiert. Umso größer war die Enttäuschung, als die Hoffnungen nicht in der Art erfüllt wurden, wie man sich das erwartet hatte. Die Stimmung schlug bei nicht wenigen von Impfneid auf Impffrust um, Impfkritiker bekamen massiven Auftrieb.
Doch in dieser aufgeheizten Stimmung war vielen gar nicht mehr bewusst, welche Erwartungen Entwickler, Pharmafirmen, Zulassungsbehörden und Gesundheitsorganisationen tatsächlich in das Vakzin gesetzt hatten, welche Mindestanforderungen für eine Zulassung gestellt worden waren. DER STANDARD hat Expertinnen und Experten, die sich von Beginn an intensiv mit der Covid-19-Impfung beschäftigt haben, um eine Zwischenbilanz gebeten.
Frage: Was hat man sich von der Covid-19-Impfung erhofft?
Antwort: Das kommt natürlich immer darauf an, von welcher Seite man das betrachtet, stellt Monika Redlberger-Fritz, Virologin an der Med-Uni Wien und Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG), klar: "Das haben Virologinnen und Nichtmediziner sehr unterschiedlich gesehen. Viele dachten, die Impfung beendet die Pandemie. Von virologischer Seite war aber schnell klar, dass es keinen sterilen Schutz gibt. Die Entwickler haben einen Schutz vor schweren Verläufen versprochen, und das wurde auch gehalten."
Florian Krammer, Impfstoffentwickler an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, präzisiert: "Man muss schauen, was die Endpunkte der Studien waren, und da war das Ziel, symptomatische Infektionen zu verhindern." Zulassungsbehörden wie die US-amerikanische FDA forderten Anfangs sogar nur, dass zumindest 50 Prozent der schweren Infektionen verhindert werden müssten. Zu Beginn war die Effizienz sehr hoch, sie lag bei etwa 95 Prozent, sogar asymptomatische Infektionen wurden verhindert. "Das war tatsächlich eine freudige Überraschung. Nur ist die Wirkung dann zurückgegangen", erinnert sich Krammer.
Auf individueller und auf gesamtgesellschaftlicher Ebene hat Markus Zeitlinger, klinischer Pharmakologe und Internist an der Med-Uni Wien, Hoffnungen in die Impfung gesetzt: "In Bezug auf das Individuum war meine Hoffnung, dass die Impfung Menschen davor schützt, an Covid zu sterben. Das hat sich erfüllt, die Impfung hat der Pandemie den Stachel gezogen. Als normal gesunder Mensch muss man keine Angst mehr haben, an der Infektion zu sterben." Persönlich hat er sich aber schon erhofft, dass die Impfung stärker und besser vor Ansteckung schützt, sagt Zeitlinger: "Das war vielleicht etwas blauäugig. Aber dafür menschlich."
Und auf gesamtgesellschaftlicher Ebene hatte er die Hoffnung, dass die Impfung das System vor Überlastung schützt. "Auch das hat geklappt, mehrmals sogar. Ohne Impfung wären die Maßnahmen viel früher gekommen und viel härter gewesen."
Frage: Welche Erwartungen hat die Impfung schließlich erfüllt?
Antwort: Die Hoffnung, die viele Menschen und auch die Politik in die Impfung setzten, dass sie die Pandemie beenden würde, hat sich nicht erfüllt. Aber die Anforderungen, die aus wissenschaftlich-medizinischer Sicht an sie gestellt wurden, wurden sogar übererfüllt. Zeitlinger betont aber, dass der Wunsch, die Impfung würde die Pandemie zum Erliegen bringen, auch keine komplette Fehleinschätzung war: "Das Virus ist mutiert, und es hat sich auch ein verhältnismäßig großer Pool an Menschen nicht impfen lassen. Dadurch hat das Virus ein großes Reservoir gefunden, das es ihm erleichtert hat, wieder auf Geimpfte überzuspringen."
Impfstoffentwickler Krammer ergänzt: "Vor allem der geforderte Schutz vor schweren Infektionen und Todesfällen ist da, und sogar besser als erwartet, egal bei welcher Variante. Nach drei Stichen liegt er laut britischen Daten bei 95 Prozent, nach zwei Stichen immer noch bei rund 60 Prozent." Und er bestätigt das mit einem Praxisbeispiel: "Hongkong und Neuseeland haben beide eine Zero-Covid-Politik verfolgt. Mit Omikron war diese aber nicht mehr durchzuhalten. In Hongkong sind daraufhin sehr viele Menschen gestorben, in Neuseeland nicht. Das liegt daran, dass in Neuseeland beinahe 100 Prozent der über 80-Jährigen geimpft waren, in Hongkong dagegen nur rund 30 Prozent."
Frage: Warum ist die Wirkung der Impfung zurückgegangen?
Antwort: Das liegt daran, dass das Virus mutiert ist und die neu aufgetauchten Varianten um einiges infektiöser sind. Die Impfungen wurden ja für den Wildtyp entwickelt, in Studien überprüft und zugelassen. "Bei den ersten drei Virusgenerationen gab es tatsächlich eine sehr gute Impfwirkung, dann kamen mit den Omikron-Mutationen die Fluchtvarianten, also die den Impfschutz vor Ansteckung umgehen konnten", erklärt Virologin Dorothee von Laer von der Med-Uni Innsbruck. Das ging schneller, als man es aus virologischer Sicht erwartet hätte, betont sie: "Man hatte den Eindruck, dass Coronaviren genetisch sehr stabil sind, da sich bisherige Formen nicht so schnell verändert hatten. Man dachte, sie seien ähnlich wie Masernviren, die gar nicht mutieren."
Mit der Omikron-Variante geht die Mutationsgeschwindigkeit aber eher in Richtung der Grippeviren, die sich sehr rasch verändern. Die so entstandene Mischung aus stärkerer Infektiosität und besserer Umgehung des bereits aufgebauten Immunschutzes hat die Wirkung der Impfung vor Ansteckung so gemindert. Dazu kommt, dass es weltweit sehr viel Virusaktivität gibt, betont von Laer: "Und je öfter sich das Virus vermehrt, desto mehr Gelegenheit hat es auch zu mutieren. Bei Masern ist einfach nicht so viel Aktivität da, da gibt es auch gar nicht so viel Gelegenheit, sich zu verändern."
Und Impfstoffentwickler Krammer ergänzt: "Natürlich sinkt auch die Immunität, die ein paar Wochen nach der Impfung am stärksten ist, ab und pendelt sich auf einem niedrigeren Niveau ein. Aber ohne die Varianten würde die Sache viel vorteilhafter für uns aussehen.
Frage: Wie ist die Impfung in ihrer Wirksamkeit einzuordnen? Auch im Vergleich zu anderen Vakzinen.
Antwort: Das kommt immer darauf an, mit welchem Pathogen man sie vergleicht, betont Virologin Redlberger-Fritz. "Es ist auf jeden Fall eine Impfung, die ich als sehr gut bezeichnen würde, sie bietet variantenunabhängig einen sehr effizienten Schutz vor schweren Verläufen und ist für einen respiratorischen Infekt auch allgemein effizient."
Dass man die Covid-Impfung nicht ohne weiteres mit Impfungen gegen andere Krankheiten vergleichen könne, betont auch der klinische Pharmakologe Zeitlinger: "Aber die Impfung ist mindesten gleich gut wie jene gegen Influenza und ziemlich sicher sogar deutlich besser. Es stimmt, sie wirkt nicht so gut wie jene gegen Masern, Mumps, Röteln. Aber das sind ganz andere Virenstämme."
Und Virologin von Laer betont einen wesentlichen Unterschied zur Influenzaimpfung: "Der Schutz durch die Covid-Impfung wirkt bis ins hohe Alter fast gleich gut, und sie ist auch für diese Altersgruppe sehr gut verträglich. Die Wirkung der Influenza-Impfung nimmt da aber deutlich ab."
Frage: Warum schafft die Impfung keinen sterilen Schutz?
Antwort: Das liegt an der Art des Virus, das über Aerosole und Tröpfchen übertragen wird. "Die werden dann eingeatmet und landen oft auf den Schleimhäuten der oberen Atemwege. Intramuskuläre Impfungen, wie auch alle Covid-19 Impfungen, induzieren zwar eine gute systemische Immunantwort, die dann die Lunge schützt, verhindern aber kaum Infektionen in den oberen Atemwegen. Anfangs gab es da zwar noch einen Schutz, weil die Antikörpertiter sehr hoch waren, aber ein Abfall der Antikörpertiter mit der Zeit, was normal ist, und vor allem Varianten wie Omikron, die neutralisierenden Antikörpern entkommen, haben uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein mukosaler Impfstoff, der etwa als Nasenspray verabreicht werden kann, würde – vor allem wenn er an neue Varianten angepasst ist – einen solchen Schutz der oberen Atemwege wahrscheinlich gewährleisten", erklärt Florian Krammer.
Auch Virologin von Laer bestätigt das: "Die Impfung wird in den Muskel gespritzt, die Antikörper gehen dann überall hin. Es gibt aber viele Kollegen, die sagen, dass man ein Vakzin braucht, das eine Immunantwort auf den Schleimhäuten induziert, um einen sterilen Schutz zu erreichen. So etwas gibt es in den USA schon als Influenzaimpfung. Und auch für Covid-19 sind entsprechende Vakzine in Entwicklung."
Frage: Wie sicher ist die Impfung?
Antwort: Es gibt zu dieser Impfung unendlich viele Daten, da noch nie in so kurzer Zeit so viele Immunisierungen einer Art verabreicht wurden. Von Laer sagt, dass "der Impfstoff eindeutig zu den sicheren Vakzinen gehört, er unterscheidet sich nicht von anderen. Aber er ist so schnell und so breit verabreicht worden, dass er natürlich ganz viel in den Medien war." Es stimmt, es gibt sehr seltene Nebenwirkungen, aber "diese findet man auch bei anderen Impfstoffen. Wenn man das Immunsystem stark animiert, kommt es zu einer Reaktion. Das passiert aber nach einer Infektion viel öfter – und vor allem wesentlich stärker."
Die einzige ungewöhnliche Nebenwirkung sei die Thromboseneigung durch den Vektorimpfstoff von Astra Zeneca, zuletzt wurde auch bei Johnson & Johnson davon berichtet. Das Risiko liegt bei etwa 1:400.000. "Bei einer Immunreaktion wird immer auch die Gerinnung mitaktiviert, aber dass das zu einer Thrombose führen kann, ist wirklich ungewöhnlich", sagt von Laer. Mittlerweile könne man das Problem aber gut behandeln.
Und auch Impfstoffentwickler Krammer meint: "Die Nebenwirkungen sind innerhalb des Spektrums von zugelassenen Impfstoffen, da gibt es nichts Außergewöhnliches. Bei anderen Impfungen, jener gegen Herpes Zoster etwa, sind die Reaktionen auch oft sehr unangenehm. Nur spricht man darüber nicht, weil die nicht so zahlreich verabreicht werden." Und auch er betont, dass durch das große öffentliche Interesse sehr genau beobachtet wurde, wie die Impfung wirkt: "Für diese Impfung gibt es sogar mehr Daten als bei vielen anderen, was die Sicherheit betrifft, insofern sind das auf jeden Fall einige der sichersten Vakzine, die wir haben."
Frage: Ist die neue mRNA-Technologie ein Gewinn?
Antwort: Das kommt immer darauf an, was man von einer Impfung erwartet. Die mRNA-Technologie ist sehr gut, aber nicht so viel besser als andere, meint Krammer. Aber es gebe gewisse Aspekte an der Technologie, die sehr attraktiv seien: "Bei anderen Vakzinen muss man den Herstellungsprozess immer neu designen, das ist hier nicht der Fall, man ändert nur die Sequenz. Das ist ein Vorteil, um auf auftauchende Viren schneller reagieren zu können." Auch die Entwicklungsphase für an neue Varianten angepasste Vakzine ginge dadurch schneller – allerdings müsse man dafür den Zulassungsprozess noch anpassen, an jenen der Influenza-Impfung etwa. Als Wundermittel würde Krammer die mRNA-Technologie nicht bezeichnen, es gibt Infektionen wie Malaria, HIV oder Tuberkulose, bei denen man die komplexen immunologischen Probleme anders lösen müsse. Das seien aber Probleme, die man nicht einfach durch eine andere Impfstoffplattform als mRNA lösen könne. Aber es sei eine sehr gute weitere Plattform im Angebot der Technologien.
Einen großen Vorteil in der Technologie sieht Pharmakologe Zeitlinger: "Man bekommt dadurch große Mengen an Spikeprotein in den Körper, das aber trotzdem nicht abrupt, auf einmal zur Verfügung steht, das ist ein wichtiger Vorteil. Das Antigen selbst wird erst im Körper produziert, so kommt es der Biologie einer richtigen Infektion so nahe wie möglich, das kann das Immunsystem wahrscheinlich besser verarbeiten. Dadurch hat man eine sehr gute Balance zwischen großer Effektivität und guter Sicherheit." Und die Technologie habe einen weiteren wichtigen Vorteil: Sie kommt ohne Adjuvanzien aus. Anderen Vakzinen wird Aluminium oder anderes beigesetzt, als eine Art Fähnchen, die das Immunsystem auf sie aufmerksam macht. Dass das bei der mRNA-Technologie nicht nötig ist, ist ein wichtiger Fortschritt. Zeitlingers Fazit: "Diese Technologie wird definitiv nicht mehr verschwinden."
Und aus virologischer Sicht ist die Impfung definitiv ein großer Gewinn, sagt Virologin Redlberger-Fritz: "Mit den älteren Technologien hätten wir mit Sicherheit nicht so gute Schutzerfolge. Das sieht man auch im direkten Vergleich, etwa beim Totimpfstoff Sinovac. Der schneidet klar schlechter ab." (Pia Kruckenhauser, 16.5.2022)
Transparenzhinweis
Die Icahn School of Medicine at Mount Sinai hat Patentanträge für Sars-CoV-2-serologische Tests und Newcastle-Disease-Virus-basierende Sars-CoV-2-Impfstoffe gestellt, die Florian Krammer als Miterfinder anführen. Krammer hat in der Vergangenheit wissenschaftlich Studien über Influenzaimpfstoffe mit Sarah Gilbert (University of Oxford) publiziert, er hat Merck, Pfizer und Curevac als Konsultant beraten (vor 2020), er berät momentan die Firmen Avimex (Mexiko), Seqirus (Australien), Third Rock Ventures (USA) und Pfizer, sein Labor arbeitet mit Pfizer an Tiermodellen für Sars-CoV-2, er forscht mit Norbert Pardi (University of Pennsylvania) an RNA-Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 und Influenza, sein Labor hat in der Vergangenheit mit GSK an universellen Influenzaimpfstoffen gearbeitet, und drei seiner Mitarbeiter sind vor kurzem zur Firma Moderna gewechselt. Krammers Arbeit an Immunität und Infektionskrankheiten wird vor allem von den US National Institutes of Health, aber auch von der Bill and Melinda Gates Foundation gefördert.