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Kriegsberichte Russischer Soldat in der Ukraine: "Kann nicht länger schweigen"

#1 von Gertrud Anne ( Gast ) , 23.08.2022 19:31

Kriegsberichte
Russischer Soldat in der Ukraine: "Kann nicht länger schweigen"

In nun veröffentlichten Tagebucheinträgen berichtet ein Fallschirmjäger vom Kriegsalltag, von Chaos und Verzweiflung. Nach einer Verwundung wurde er aus dem Kriegsgebiet abgezogen. Mittlerweile hat er Russland verlassen

23. August 2022, 16:42

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Für Aufsehen sorgen dieser Tage tagebuchartige Notizen eines russischen Soldaten auf V-Kontakte, der russischen Variante von Facebook. Es sind Berichte des 34-jährigen Fallschirmjägers Pawel Filatjew (engl. Transkription: Pavel Filatyev), der ab Kriegsbeginn mehr als einen Monat lang in der Ukraine im Einsatz war.

In seinen Notizen schildert er, wie seine Einheit zunächst den Befehl bekam, eine "Routineübung" auf der Krim zu absolvieren. Diese stellte sich dann aber als Gewaltmarsch und als Teil der ersten Welle des Angriffskrieges gegen die Ukraine heraus.
Nicht unabhängig verifizierbar

Die Notizen des Mannes lassen sich nicht unabhängig verifizieren, doch immerhin war es der US-amerikanischen "Washington Post" möglich, Filatjew zu kontaktieren und Daten aus seinem Dienstausweis sowie seine Angaben, wo er wann im Einsatz war und was dabei passierte, mit anderen Quellen zu vergleichen. Übereinstimmung gab es auch bei Informationen bezüglich medizinischer Behandlung des Soldaten infolge einer Augenverletzung im April.

Diese Verwundung machte es nötig, dass Filatjew aus dem Kampfgebiet abgezogen wurde. In den folgenden Wochen schrieb er eigenen Angaben zufolge seine Erinnerungen an die Geschehnisse auf.
Chaotische Zustände

Im Zentrum der Schilderungen stehen die Geschehnisse rund um die russischen Angriffe auf Cherson und Mykolajiw in der Südukraine. Vermittelt wird das Bild einer Armee in chaotischen, keineswegs geordneten Zuständen; schlecht ausgerüstet, mit alten, teilweise verrosteten Waffen; mit Versorgungsproblemen, weshalb sich die Soldaten im Kampfgebiet plündernd auf Nahrungssuche begeben müssen. Die Offiziere an der Front sind oft ratlos, der Feldzug gerät alsbald ins Stocken. Filatjew berichtet von tragisch verlaufenen Kampfhandlungen, von toten Russen infolge von "friendly fire".

Der "Washington Post" teilte Filatjew mit, er sei offiziell noch Soldat der russischen Streitkräfte, doch er habe es vor wenigen Tagen geschafft, mit der Hilfe der Menschenrechts-NGO Gulagu.net das Land zu verlassen. Aus nachvollziehbaren Gründen hält Filatjew seinen aktuellen Aufenthaltsort geheim.

Seine Aufzeichnungen finden sich in Auszügen bei der "Washington Post" (Link siehe oben) sowie beim britischen "Guardian". Auch CNN interviewte ihn.
15. Februar 2022

O-Ton Filatjew: "Ich kam auf dem Übungsplatz (in Staryj Krym, Halbinsel Krim, Anm.) an. Unsere gesamte Einheit, etwa 40 Personen, hauste in einem Zelt mit Brettern und einem provisorischen Ofen. Selbst in Tschetschenien, wo wir nur in Zelten oder Lehmhütten untergebracht waren, waren unsere Lebensbedingungen besser organisiert. (…) Für mich und etwa fünf weitere Personen gab es weder einen Schlafsack noch Tarnkleidung, Schutzausrüstung oder Helme.

Schließlich erhielt ich mein Gewehr. Es stellte sich heraus, dass es einen gerissenen Gurt hatte, rostig war und ständig klemmte. Also reinigte ich es lange mit Öl und versuchte, es in Ordnung zu bringen."
23. Februar 2022

Filatjew beschreibt die Stimmung unter den Soldaten als angespannt, als der Truppenkommandant verkündet, dass der Tagessold ab dem Folgetag angehoben werden würde. Viele sehen das als Indiz dafür, dass es nun ernst werden würde. Erste Gerüchte über einen bevorstehenden Angriff auf die Stadt Cherson – sie liegt knapp 100 Kilometer nördlich der Krim-Halbinsel – machen die Runde.
24. Februar 2022 – Erster Tag des russischen Angriffskrieges

O-Ton Filatjew: "Gegen vier Uhr morgens öffnete ich neuerlich die Augen und hörte ein Dröhnen, ein Grollen, ein Vibrieren der Erde. (…) Ich stellte fest, dass das Feuer zehn bis 20 Kilometer vor unserem Konvoi ist. (…) Es dämmerte bereits, es war vielleicht sechs Uhr morgens, die Sonne ging auf, und ich sah ein Dutzend Hubschrauber, ein Dutzend Flugzeuge, gepanzerte Angriffsfahrzeuge über das Feld fahren. Dann tauchten Panzer auf, Hunderte von Ausrüstungsgegenständen unter russischen Flaggen.

Um 13 Uhr fuhren wir auf ein riesiges Feld, wo unsere Lastwagen im Schlamm stecken blieben. Ich wurde nervös. Eine riesige Kolonne, die eine halbe Stunde lang auf offenem Feld steht, ist ein ideales Ziel. Wenn der Feind uns bemerkt und in der Nähe ist, sind wir erledigt. (…) Der Befehl lautet, nach Cherson zu fahren und die Brücke über den Dnjepr zu erobern. (…) Der Kommandant versuchte, alle aufzumuntern. Wir gehen voran, lassen die festgefahrene Ausrüstung zurück, sagte er, und jeder sollte bereit für den Kampf sein. Er sagte das mit gespieltem Mut, aber in seinen Augen sah ich, dass auch er ausflippte."
25. Februar 2022

O-Ton Filatjew: "(…)Wir nähern uns einer Weggabelung, die Schilder weisen nach Cherson und Odessa. Ich denke darüber nach, wie wir Cherson stürmen werden. Ich glaube nicht, dass der Bürgermeister der Stadt mit Brot und Salz (Symbole der Gastfreundschaft, Anm.) herauskommt, die russische Flagge über dem Verwaltungsgebäude hisst und wir in einer Paradekolonne in die Stadt einmarschieren werden.

Gegen 16 Uhr biegt unser Konvoi ab und nimmt im Wald Position ein. Die Kommandanten teilen uns mit, dass vor uns ukrainische GRAD-Raketenwerfer gesichtet wurden, sodass sich alle auf Beschuss vorbereiten und sich dringend so tief wie möglich eingraben müssen; und dass unseren Fahrzeugen fast schon der Treibstoff ausgegangen ist und wir Kommunikationsprobleme haben.

Ich bleibe stehen und spreche mit den Jungs. Sie sagen mir, dass sie von der 11. Brigade sind und dass nur noch 50 von ihnen übrig sind. Der Rest ist wahrscheinlich tot."
26. bis 28. Februar: Vorstoß auf Cherson

Filatjews Einheit rückt Richtung Cherson vor, umstellt den Flughafen und plündert in den umliegenden Dörfern. Während am dritten Tag der Konvoi in Cherson einrücken soll, muss Filatjew als Rückendeckung zurückbleiben. Er berichtet, den ganzen Tag über in der Entfernung Kämpfe zu hören. Die Stadt wird alsbald eingenommen.
Russische Truppen rücken in Cherson ein, Kiewer Konvoi blockiert.
Reuters
1. März 2022

O-Ton Filatjew: "Wir marschierten zu Fuß in die Stadt (…) Alle sahen erschöpft aus und liefen planlos umher. Wir durchsuchten die Gebäude nach Lebensmitteln, Wasser, Duschen und einem Platz zum Schlafen. (…) Ich fand ein Büro mit einem Fernseher. Mehrere Leute saßen dort und schauten sich die Nachrichten an, sie fanden eine Flasche Champagner im Büro. (…) Der Sender war auf Ukrainisch, ich verstand nicht einmal die Hälfte davon. Alles, was ich verstand, war, dass russische Truppen aus allen Richtungen vorrückten, Odessa, Charkiw, Kiew besetzt waren. Sie begannen, Bilder von zerstörten Gebäuden und verletzten Frauen und Kindern zu zeigen. (…)"
Anfang März

Filatjews Einheit erhält den Befehl zum Sturm auf Mykolajiw und Odessa, obwohl der russische Feldzug bereits ins Stocken geraten ist. Die Einheit irrt durch die Wälder, nicht einmal ein höherer Offizier weiß, was zu tun ist. Der Tagebuchschreiber berichtet von freiwilligen Kämpfern aus der separatistischen "Volksrepublik" Donezk, sie seien eine Verstärkung der regulären russischen Verbände, in denen sich immer mehr Soldaten weigern würden, den Befehlen weiter zu gehorchen.
März bis Mitte April

O-Ton Filatjew: "Von nun an war mehr als einen Monat Murmeltiertag. (…) Wir hielten nur Stellungen in den Gräben an der Front, wir konnten nicht duschen, essen oder richtig schlafen. Alle hatten überlange Bärte und waren verdreckt, Uniformen und Schuhe begannen sich aufzulösen.

Die (ukrainischen Streitkräfte) konnten uns von den Drohnen aus deutlich sehen und beschossen uns ständig, sodass fast die gesamte Ausrüstung bald nicht mehr funktionierte. Wir bekamen ein paar Kisten mit sogenannter humanitärer Hilfe (…).
Matthew Chapman

Einige Soldaten begannen, sich Schusswunden zuzufügen, um Sondersold zu erhalten und aus dieser Hölle herauszukommen. Unserem Gefangenen wurden die Finger und Genitalien abgeschnitten. Auf einem (anderen) Posten wurden tote Ukrainer hingesetzt, bekamen Namen und Zigaretten.

Aufgrund des Artilleriebeschusses waren einige Dörfer in der Nähe praktisch nicht mehr existent. Alle wurden immer wütender und wütender. So manche Großmutter vergiftete unsere Kuchen. Fast jeder hatte Pilzbefall, jemandem fielen die Zähne aus, die Haut schälte sich ab. Viele diskutierten darüber, wie sie bei ihrer Rückkehr das Kommando wegen mangelnder Versorgung und unfähiger Führung zur Rechenschaft ziehen würden. Einige schliefen vor lauter Müdigkeit im Dienst ein.

Manchmal gelang es uns, ukrainischen Rundfunks zu empfangen, wo sie uns mit Dreck bewarfen und uns als Orks (nichtmenschliche Wesen bei Tolkiens "Herr der Ringe", Anm.) bezeichneten, was uns nur noch mehr verbitterte. (…)

Mitte April bekam ich bei Artilleriebeschuss Erde in die Augen. Nach fünf qualvollen Tagen, in denen mir der Verlust eines Auges drohte, wurde ich evakuiert."
Die Zeit danach

O-Ton. Filatjew: "Ich habe überlebt, im Gegensatz zu vielen anderen. Mein Gewissen sagt mir, dass ich versuchen muss, diesen Wahnsinn zu beenden. (...) Wir hatten nicht das moralische Recht, ein anderes Land anzugreifen, vor allem nicht die Menschen, die uns am nächsten stehen. Dies ist eine Armee, die ihre eigenen Soldaten tyrannisiert; diejenigen, die bereits im Krieg waren; diejenigen, die nicht dorthin zurückkehren und für etwas sterben wollen, das sie nicht einmal verstehen.

Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten. Die Mehrheit in der Armee ist unzufrieden mit dem, was dort geschieht; sie ist unzufrieden mit der Regierung und ihrer Führung; sie ist unzufrieden mit (Präsident Wladimir) Putin und seiner Politik; sie ist unzufrieden mit dem Verteidigungsminister, der nicht (selbst) in der Armee gedient hat.

Der Hauptfeind aller Russen und Ukrainer ist die Propaganda, die den Hass in den Menschen nur weiter anheizt. Ich kann nicht länger zusehen, wie dies alles passiert und dabei still bleiben." (red, 23.8.2022)

Gertrud Anne

   

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