Das Internet hat Pornographie für jeden leicht zugänglich gemacht. Die Gefahren werden oft unterschätzt, denn der Suchtfaktor ist hoch, berichtet Philip Pöschl im KATH.NET-Interview. Von Johannes Graf.
Mödling (kath.net/jg)
Durch das Internet ist Pornographie so leicht und billig zugänglich wie nie zuvor. Ihre Wirkung wird meist unterschätzt. Sie verändert die Einstellung zur Sexualität und zum Partner und kann leicht süchtig machen, berichtet Philip Pöschl vom Verein Safer Surfing im Interview mit KATH.NET. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinder, Jugendliche und Erwachsene vor Sucht fördernden Inhalten im Internet zu schützen und Menschen aus der Sexsucht zu helfen.
Kath.net: Die Enttabuisierung von Pornographie war Teil der sexuellen Revolution und sollte den Menschen Befreiung bringen. Ist dieses Versprechen Ihrer Ansicht nach in Erfüllung gegangen?
Philip Pöschl: Da muss man ein wenig ausholen. Man muss natürlich sagen, dass zur Zeit der 68-er eine Not da war. Man hat es damals nicht geschafft, das Thema Sexualität anzusprechen. Dann kam plötzlich und mit ziemlicher Gewalt der Bedarf, darüber zu reden. Das Ganze ist aber in der Weise ausgeartet, dass über Sexualität nicht gesprochen, sondern sehr viel mehr gezeigt und getan worden ist. Wenn man heute an Sexualität und Aufklärung denkt, geht es immer nur um die gleichen Fragen: Wie kann ich verhüten? Wie kann ich vermeiden, dass ich AIDS bekomme, wie überlebe ich einen „One Night Stand“? Das sind alles defensive Haltungen, was schade ist, weil Sexualität eigentlich etwas Positives, Schönes ist. Das bleibt auf der Strecke, weil es bei sexueller Aufklärung immer nur um dieselben drei Themen geht. Wenn man zurückschaut, haben die 68-er nur minimal etwas gebracht.
Zur Pornographie selber: Wir sagen, dass man hier zwei Welten unterscheiden muss. Das ist die Welt der von Gott geschaffenen Sexualität. Dem gegenüber steht die Welt der Pornographie, die eine billige Kopie ist. Sie lässt die Leute einfach leer. Das ist unsere Erfahrung in der Begleitung von vielen, vielen Menschen. Sexualität hat etwas mit einem Partner zu tun, es geht um Gemeinsamkeit, um Hingabe, während Pornographie immer nur auf einen selbst gerichtet ist und den anderen nicht schätzt. Pornographie spielt sich ja meistens zwischen mir selber und dem PC-Bildschirm oder dem Smartphone ab. Da geht es um eine einseitige sexuelle Beziehung, die von der anderen Seite keine Antwort bekommt. Es ist einfach schade, dass Sexualität in unserer Welt ein Schattendasein führt, dass die Schönheit der Sexualität auf der Strecke bleibt.
Kath.net: Wie verändert der Konsum von Pornographie die Einstellung zur Sexualität?
Philip Pöschl: Wir erleben, dass Pornographie Sexualität auf eine Technik reduziert und fertige Muster vorgibt, wie Sexualität zu funktionieren hat. Da stehen die Geschlechtsteile im Mittelpunkt. Was dem gegenüber einfach komplett fehlt, ist die Wertschätzung der Person. Sexualität kann auch nicht kreativ gelebt werden, weil Ehrlichkeit, Freundschaft, Vertrauen und Sicherheit nicht da sind. Sexualität ist etwas vielfältiges, Pornographie ist nicht vielfältig, sie ist beschränkt, während Sexualität etwas Liberales, etwas Schönes ist. Und vor allem auch: Bei Pornographie geht es um fertige Muster, Stellungen. Sexualität gibt die Möglichkeit, sich mit einem Partner das ganze Leben – bis der Tod uns scheidet – kreativ auszudrücken. Das kann es bei Pornographie nicht geben.
Das gleiche gilt auch in Beziehungen – es bleibt der Partner auf der Strecke. Ich kann einen Partner nicht in seiner Tiefe kennenlernen und auch Sexualität nicht in einer Tiefe erleben, wenn ich von einem zum nächsten springe. Denn da muss ich nur „unkreativ“ sein, da ist alles vorgegeben, ich brauche nichts entdecken.
Kath.net: Wenn ich sie richtig verstehe, schränkt der Pornographiekonsum die Sichtweise von Sexualität ein?
Philip Pöschl: Das ist richtig. Wir kennen das von Anrufen von Partnern von Sexsüchtigen. Sie erzählen, dass der Partner nicht mehr anwesend ist. Er ist mit den Gedanken in einer ganz anderen Welt, und nützt den Körper der Frau nur mehr aus. Das gilt auch in die andere Richtung. Wenn Frauen sexsüchtig sind, leiden die Partner darunter, weil die Frau nicht anwesend ist und der Körper nur mehr als Sexualobjekt ausgenützt wird. Da bleibt die Freundschaft auf der Strecke.
Kath.net: Die Wahrnehmung des anderen Geschlechts wird durch den Konsum von Pornographie beeinflusst?
Philip Pöschl: Auch das gilt in beide Richtungen, für Frauen und Männer. Der andere wird zum Objekt, wenn nicht mehr geschätzt wird, wer er ist. Wir hören oft die Frage: Was erwartet mein Partner von mir? Gerade Mädchen erzählen oft, dass der Partner das nachspielen will, was er in der Pornographie gesehen hat, auch wenn das was weh tut und nicht so schön ist für sie. Viele Mädchen sagen, sie lassen das einfach über sich ergehen, denn sie möchten den Partner nicht verlieren. Das ist eigentlich schade, weil Sexualität so schön und nett und „unerleuchtet“ sein kann.
Das ist auch den Pornodarstellern bewusst. Wir haben mit Ex-Porno-Produzenten und –Darstellern gesprochen, letzte Woche war ich in Bratislava mit Shelley Lubben, einer ehemaligen Pornodarstellerin. Es ist erschreckend, was sich da abspielt, das ist nicht lustig. Das gilt aber nicht nur für die Schauspieler. Es spiegelt sich in der tatsächlichen Beziehung zwischen zwei Menschen wider, wenn mindestens einer von ihnen regelmäßig Pornographie konsumiert. Das ist gar nicht lustig, die Partner erreichen einander gar nicht, sie lassen es über sich ergehen, ihre Sexualität kann dann gar nicht entdeckt werden.
Kath.net: Wie geht es den Pornodarstellern? Es wird oft so dargestellt, als würden die Darsteller das alles gerne und freiwillig tun.
Philip Pöschl: Die Pornoindustrie stellt Pornographie als etwas Glamouröses dar, es sei etwas Schönes, die Darsteller machen das gerne, es sei ein Job wie andere Jobs. Das ist falsch. Ein Großteil der Schauspielerinnen lässt das über sich ergehen. Sie sind oft mit Drogen und Alkohol vollgepumpt, damit sie es überstehen. Kein Mensch zieht sich gerne am Set vor anderen aus. Oft haben sie es mit Männern zu tun, die wesentlich älter sind. Die Pornodarstellerinnen sind meistens im Alter von 18 bis 23 Jahren, viele machen das einmal und nie wieder, weil sie so traumatisiert sind. Das ist nicht natürlich.
In der Pornographie spielt auch Menschenhandel eine starke Rolle, das darf man nicht vergessen. Es gibt auch einen Bereich, der zwar nach außen hin freiwillig ist, wo Menschenhandel nicht im Spiel ist, wo aber der Druck ist groß ist. Finanzielle Not spielt eine große Rolle, und in der Pornoindustrie gibt es die Möglichkeit, rasch Geld zu verdienen. Oft sind es alleinstehende Mütter, die hier eine Möglichkeit sehen, ihr Kind durchzufüttern.
Es gibt wenige Frauen, die das ganz freiwillig und ohne Druck von außen machen. Da spielt dann oft der Wunsch eine Rolle, Macht über Männer haben zu wollen.
In der Sexualaufklärung spielt das Kondom eine große Rolle. Wenn man dann im Internet schaut, in der Pornographie, da ist das Kondom kein Thema. Das heißt, Aufklärung durch das Internet ist der beste Weg, sich anzustecken. Egal wie man zum Thema Kondome jetzt steht, das ist etwas, das wir beobachten.
Kath.net: Sind Pornodarsteller als Kind selbst Opfer von Missbrauch geworden?
Philip Pöschl: Das kann sein, muss aber nicht. Natürlich eröffnen Missbrauchserlebnisse einen schlechten Zugang zur Sexualität, das ist keine Frage. Es kann schon sein, dass eine Darstellerin dann in der Pornographie oder in der Pornoszene gerne die ist die auffällt, die aber schon einen gestörten Bezug zur eigenen Sexualität hat.
Missbrauch am Porno-Set ist aber gang und gäbe. Wenn der Regisseur sagt, dass ist eine coole Szene, dann wird hier weitergedreht auf Biegen und Brechen. Das ist wie bei einer Vergewaltigung. Ehemalige Porno-Darstellerinnen haben mir erzählt, dass sie das am Set erlebt haben. Was die Pornokonsumenten nicht sehen ist das Leben hinter dem Set, das Leben der Menschen, wenn der Dreh dann vorbei ist.
Kath.net: Wann kann man von Pornographiesucht sprechen?
Philip Pöschl: Man spricht von Sexsucht und von Internetsucht, nicht von Pornographiesucht. Es gibt Gremien, die schon seit Jahren überlegen, Kriterien einzuführen, es gibt aber noch keine allgemein akzeptierte Definition.
Sexsucht ist etwas das schnell greift. Das typische Suchtverhalten ist schnell da. Sexualität ist eine natürliche Sache, an der ich als Mensch mit meiner ganzen Identität dabei bin, im Gegensatz zu anderen Süchten. Sexualität ist etwas sehr Intensives.
Es ist in den Medien sehr viel die Rede von Sexsucht, auch wenn es noch nicht genau definiert ist. Man merkt hinterher, wie schwer es ist, da wieder heraus zu kommen. Pornographie und ihre Folgen sind eine große Herausforderung für die Zukunft.
Kath.net: Es gibt einige Kriterien, die jetzt diskutiert werden. Welche sind das?
Philip Pöschl: Zu den Punkten gehört der Zeitfaktor, das heißt wie viel Zeit man damit verbringt. Das ist einer der wichtigsten Faktoren.
Ein weiterer Punkt ist die Isolation, also dass man Dinge nicht mehr tut, die man sonst gern getan hat, dass Freundschaften zurückgehen.
Der jüngste Fall von dem wir gehört haben, war sechs Jahre alt. Er war noch nicht sexsüchtig, aber nahe dran. Er konnte nicht lesen und schreiben, aber war im Internet in Sachen Pornographie unterwegs. Es ist für einen jungen Menschen kein natürliches Bedürfnis, Pornographie kennen zu lernen. Er hat keine Vergleichsmöglichkeiten.
Jetzt haben wir von der negativen Seite geredet, es gibt natürlich auch die positive. Man kann aus der Sucht herauskommen, niemand ist ein hoffnungsloser Fall. Es gibt Therapeuten, es gibt Selbsthilfegruppen. Es gibt eine Internetseite die wir selbst gestaltet haben, die heißt loveismore.de. Da gibt es eine Liste von Therapeuten und ein Forum.
Es gibt Hoffnung, wieder herauszukommen, wenn man unter Pornographie leidet. Wichtig ist, Freundschaften wieder zu entdecken, die anderen Menschen um mich. Es gibt nicht nur mich und mein iPhone, es gibt auch andere Werte. Gut ist natürlich auch eine persönliche Beziehung zu Gott, weil das etwas ganz Tiefes und Erfüllendes ist. Geborgenheit, Sicherheit, Vertrauen, all diese Dinge die verloren gegangen sind, die sind in einer Gottesbeziehung gegeben.
Pornographie ist wie jede Sucht ein Quickshot, der uns auf die Dauer leer lässt. Man muss trainieren, einen neuen Weg einzuschlagen, einen Weg der Freiheit, also etwas, das Pornographie nicht bieten kann. Man muss lernen, Sexualität zu entdecken und verstehen, dass sie etwas Schönes ist wie ein Strom Wasser. Sexualität ist voller Kraft, wie ein Bach. Ein Bach hat seine Grenzen, die sind von Gott geschenkt. Er hat sehr schöne Grenzen, innerhalb derer man kreativ sein kann. Wenn es keine Grenzen gibt, gibt es Überflutungen, dann wird Wasser zerstörerisch, man macht sich kaputt.
Ich war selber 14 Jahre Pornokonsument, hab mir viel zerstört, auch in meiner Ehe. Es hat Jahre gedauert, wieder zu entdecken, was Sexualität eigentlich ist, dass sie etwas ganz anderes ist als Pornographie, dass sie etwas Kostbares ist. Was ich neu entdecken darf ist, dass es in der Sexualität eigentlich um den anderen geht. Man lernt den anderen höher zu schätzen als sich selber, sich ihm hinzugeben.
Kath.net: Wie kann man Kinder vor Kontakten mit Pornographie schützen?
Philip Pöschl: Schüler haben heutzutage Pornos auf dem Smartphone. Es gibt Mutproben in der Schule. Hält der Schulfreund das aus, kann er diesen Porno ansehen?
Unser Verein informiert die Eltern, etwa im Rahmen der niederösterreichischen Elternschule. Oft laden uns Elternvereine ein, damit wir über dieses Thema sprechen.
Ein Ansatzpunkt ist, das zu Hause sicher zu machen. Wie kann ich meinen Computer sicher machen? Was gibt es an guter Schutzsoftware, damit pornographischen Inhalte nicht auf meinen Computer kommen können?
Ein weitere Punkt: In welchem Alter gebe ich meinem Kind ein Smartphone? Damit gebe ich ihm einen vollen Porno-Kanal, mit freiem Zugang zu allem Erdenklichen. Wie gehe ich damit um? Ab welchem Alter ist das notwendig, oder reicht nicht auch ein Handy, mit dem man nicht ins Internet kann?
Wichtig ist auch, mit den Kindern zu reden, echte sexuelle Aufklärung zu machen. Das ist etwas, was bei den 68-ern leider nicht durchgekommen ist. Man darf nicht auf die Aufklärung in der Schule warten, sondern soll selber mit den Kindern reden. Sie sollen die positive Welt der Sexualität kennenlernen, aber auch den Schatten, die nicht so positive Welt der Pornographie. Die Kinder müssen vorbereitet sein, wenn sie mit Pornographie in Kontakt kommen. Eltern sollen klar über die Dinge reden und dabei den Kindern einen guten Zugang zum eigenen Körper vermitteln. Da gibt es zum Beispiel teenstar und andere gute Programme.
Man kann die Kinder und Jugendlichen nicht schützen, indem man sie unter einer Glocke hält. Es geht darum, ihnen Werte zu vermitteln. Aber man muss auch offen über Pornographie sprechen, damit sie nicht etwas Geheimes ist. Man muss sagen, was die Probleme bei Pornographie sind, also Licht in die Sache bringen. Im Johannes-Evangelium geht es viel um das Thema Licht. Wo Licht ist, verschwindet die Finsternis,
Den Kindern Mut machen, ihre Persönlichkeit zu stärken, das ist sicher der Kern.
Kath.net: Vielen Dank für das Interview.
Weitere Infos gibt es unter: www.safersurfing.eu
http://kath.net/detail.php?id=36924