BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.
ZUM XXVII. WELTJUGENDTAG
2012
»Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!« (Phil 4,4)
Liebe Jugendliche!
Es ist mir eine Freude, mich anläßlich des XXVII. Weltjugendtages erneut an euch zu wenden. Die Erinnerung an die Begegnung von Madrid im August vergangenen Jahres ist in meinem Herzen noch sehr gegenwärtig. Es war ein außerordentlicher Augenblick der Gnade, in dessen Verlauf der Herr die anwesenden Jugendlichen, die aus der ganzen Welt gekommen waren, gesegnet hat. Ich danke Gott für die vielen Früchte, die er in jenen Tagen hervorgebracht hat und die sich in Zukunft gewiß mehren werden für die Jugendlichen und für die Gemeinschaften, denen sie angehören. Jetzt gehen wir bereits auf die nächste Begegnung in Rio de Janeiro 2013 zu, die unter dem Thema stehen wird: »Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern« (Mt 28,19).
In diesem Jahr ist das Thema des Weltjugendtags einer Ermahnung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper entnommen: »Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!« (4,4). Tatsächlich ist die Freude ein zentrales Element der christlichen Erfahrung. Auch auf jedem Weltjugendtag machen wir die Erfahrung tiefer Freude, der Freude der Gemeinschaft, der Freude des Christseins, der Freude des Glaubens. Sie ist eines der Merkmale dieser Begegnungen. Und wir sehen die große Anziehungskraft, die sie hat: In einer Welt, die oft von Traurigkeit und sorgenvoller Unruhe geprägt ist, ist sie ein wichtiges Zeugnis der Schönheit und der Verläßlichkeit des christlichen Glaubens.
Die Kirche ist berufen, die Freude in die Welt zu tragen, eine echte und dauerhafte Freude, jene Freude, die die Engel den Hirten von Betlehem in der Nacht der Geburt Jesu verkündet haben (Lk 2,10). Gott hat nicht nur gesprochen, er hat in der Geschichte der Menschheit nicht nur Zeichen und Wunder vollbracht: Gott ist uns so nahe gekommen, daß er einer von uns geworden ist und alle Etappen des menschlichen Lebens durchlaufen hat. Im schwierigen Kontext der Gegenwart haben viele Jugendliche in eurem Umfeld ein großes Bedürfnis zu hören, daß die christliche Botschaft eine Botschaft der Freude und der Hoffnung ist! Ich möchte also mit euch über diese Freude nachdenken, über die Wege, sie zu finden, damit ihr sie immer tiefer erleben und ihre Boten sein könnt unter jenen, die in eurem Umfeld leben.
Unser Herz ist für die Freude geschaffen
1. Das Streben nach Freude ist im Innern des Menschen eingeprägt. Über unmittelbare und vorübergehende Befriedigungen hinaus sucht unser Herz die tiefe, vollkommene und dauerhafte Freude, die dem Leben »Geschmack« geben kann. Und das gilt vor allem für euch, denn die Jugend ist eine Zeit der ständigen Entdeckung des Lebens, der Welt, der anderen und seiner selbst. Es ist eine Zeit der Öffnung auf die Zukunft, in der die große Sehnsucht nach Glück, Freundschaft, Miteinander-Teilen und Wahrheit offenbar wird, in der man von Idealen bewegt wird und Pläne faßt.
Und jeden Tag schenkt uns der Herr viele einfache Freuden: die Freude zu leben, die Freude über die Schönheit der Natur, die Freude über eine gutgemachte Arbeit, die Freude des Dienens, die Freude der aufrichtigen und reinen Liebe. Und wenn wir aufmerksam hinsehen, dann gibt es noch viele weitere Gründe zur Freude: die schönen Augenblicke des Familienlebens, die miteinander geteilte Freundschaft, die Entdeckung der eigenen persönlichen Fähigkeiten und das Erzielen guter Ergebnisse, die Anerkennung von seiten anderer, die Möglichkeit, sich auszudrücken und sich verstanden zu fühlen, das Gefühl, dem Nächsten helfen zu können. Und dann der Erwerb neuer Kenntnisse durch das Studium, die Entdeckung neuer Dimensionen durch Reisen und Begegnungen, die Möglichkeit, Pläne für die Zukunft zu machen. Aber auch die Erfahrung, ein literarisches Werk zu lesen, Musik zu hören oder zu musizieren oder einen Film zu sehen, kann in uns wahre und wirkliche Freuden hervorrufen.
Jeden Tag treffen wir jedoch auch auf viele Schwierigkeiten, und im Herzen gibt es die Sorge im Hinblick auf die Zukunft. So können wir uns sogar fragen, ob die vollkommene und dauerhafte Freude, nach der wir streben, nicht vielleicht eine Illusion und eine Flucht aus der Wirklichkeit ist.
Viele Jugendliche fragen sich: Ist die vollkommene Freude heutzutage wirklich möglich? Und diese Suche führt über verschiedene Wege, von denen einige sich als falsch oder zumindest gefährlich erweisen. Wie aber läßt sich die wirklich dauerhafte Freude vom unmittelbaren und trügerischen Vergnügen unterscheiden? Wie läßt sich die wahre Freude im Leben finden – jene Freude, die dauerhaft ist und die uns auch in schwierigen Zeiten nicht verläßt?
Gott ist der Quell der wahren Freude
2. In Wirklichkeit haben die wahren Freuden – die kleinen Freuden des Alltags ebenso wie die großen Freuden des Lebens – ihren Ursprung in Gott, auch wenn dies nicht auf den ersten Blick sichtbar wird. Denn Gott ist Gemeinschaft ewiger Liebe, er ist unendliche Freude, die nicht in sich selbst verschlossen bleibt, sondern sich in jenen verbreitet, die er liebt und die ihn lieben. Gott hat uns nach seinem Bild geschaffen, aus Liebe und um uns mit seiner Liebe zu umgeben, uns mit seiner Gegenwart und seiner Gnade zu erfüllen.
Gott will uns an seiner göttlichen und ewigen Freude teilhaben lassen. So läßt er uns entdecken, daß der Wert und der tiefe Sinn unseres Lebens darin liegen, von ihm angenommen, aufgenommen und geliebt zu sein, und zwar nicht mit einer schwachen und zerbrechlichen Annahme wie der menschlichen, sondern mit einer bedingungslosen Annahme wie der göttlichen: Ich bin gewollt, ich habe einen Platz in der Welt und in der Geschichte, ich bin persönlich von Gott geliebt. Und wenn Gott mich annimmt, mich liebt und ich mir dessen sicher bin, dann weiß ich mit klarer Gewißheit, daß es gut ist, daß ich da bin, daß ich existiere.
Diese unendliche Liebe Gottes für einen jeden von uns offenbart sich in ganzer Fülle in Jesus Christus. In ihm finden wir die Freude, die wir suchen. Im Evangelium sehen wir, daß die Ereignisse, die am Beginn des Lebens Jesu stehen, von der Freude gekennzeichnet sind. Als der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria verkündigt, daß sie die Mutter des Retters sein wird, beginnt er mit diesem Wort: »Freue dich!« (vgl. Lk 1,28). Bei der Geburt Jesu sagt der Engel des Herrn zu den Hirten: »Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr« (Lk 2,10–11). Und als die Sterndeuter, die das Kind suchten, »den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt« (Mt 2,10). Der Grund für diese Freude ist also die Nähe Gottes, der einer von uns geworden ist. Und das ist es, was der hl. Paulus meinte, als er an die Christen von Philippi schrieb: »Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe« (Phil 4,4–5). Der erste Grund unserer Freude ist die Nähe des Herrn, der mich annimmt und mich liebt.
Und in der Tat geht aus der Begegnung mit Jesus immer eine große innere Freude hervor. In den Evangelien können wir es in vielen Abschnitten sehen. Erinnern wir uns an den Besuch Jesu bei Zachäus, einem unehrlichen Zollpächter, einem öffentlichen Sünder, zu dem Jesus sagt: »Ich muß heute in deinem Haus zu Gast sein.« Und Zachäus, so berichtet der hl. Lukas, »nahm Jesus freudig bei sich auf« (Lk 19,5–6). Es ist die Freude über die Begegnung mit dem Herrn; es ist das Spüren der Liebe Gottes, die das ganze Leben verwandeln und Heil bringen können. Und Zachäus entschließt sich, sein Leben zu ändern und die Hälfte seines Vermögens den Armen zu geben.
In der Stunde des Leidens Jesu offenbart sich diese Liebe in all ihrer Macht und Stärke. In den letzten Stunden seines irdischen Lebens, beim Abendmahl mit seinen Freunden, sagt er: »Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! … Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird« (Joh 15, 9.11). Jesus will seine Jünger und einen jeden von uns in die vollkommene Freude hineinführen, in jene Freude, die er mit dem Vater teilt, damit die Liebe, mit der der Vater ihn liebt, in uns ist (vgl. Joh 17,26). Die christliche Freude ist ein Sich-Öffnen gegenüber dieser Liebe Gottes, um zu ihm zu gehören.
Die Evangelien berichten, daß Maria von Magdala und andere Frauen hingingen, um nach dem Grab zu sehen, in das Jesus nach seinem Tod gelegt worden war, und ein Engel ihnen etwas Bestürzendes verkündete: seine Auferstehung. Da verließen sie sogleich das Grab und eilten, wie der Evangelist sagt, »voll Furcht und großer Freude« zu den Jüngern, um ihnen die frohe Botschaft zu verkünden. Und Jesus kam ihnen entgegen und sagte: »Seid gegrüßt!« (Mt 28,8–9). Es ist die Freude über das Heil, das ihnen angeboten wird: Christus ist der Lebendige, er ist derjenige, der das Böse, die Sünde und den Tod überwunden hat. Er ist unter uns gegenwärtig als der Auferstandene, bis zum Ende der Welt (vgl. Mt 28,20). Das Böse hat nicht das letzte Wort über unser Leben, sondern der Glaube an Christus, den Retter, sagt uns, daß die Liebe Gottes siegt.
Diese tiefe Freude ist Frucht des Heiligen Geistes, der uns zu Kindern Gottes macht – fähig, seine Güte zu erleben und zu spüren, uns an ihn zu wenden mit dem Wort »Abba«, Vater (vgl. Röm 8,15). Die Freude ist Zeichen seiner Gegenwart und seines Wirkens in uns.
Im Herzen die christliche Hoffnung bewahren
3. An diesem Punkt fragen wir uns: Wie können wir dieses Geschenk der tiefen Freude, der geistlichen Freude empfangen und bewahren? Ein Psalm sagt uns: »Freu dich innig am Herrn! Dann gibt er dir, was dein Herz begehrt« (Ps 37,4). Und Jesus erklärt: »Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker« (Mt 13,44). Die geistliche Freude zu finden und zu bewahren kommt aus der Begegnung mit dem Herrn, der darum bittet, ihm nachzufolgen, den festen Entschluß zu fassen, alles auf ihn zu setzen. Liebe Jugendliche, habt keine Angst, euer Leben einzusetzen und Jesus Christus und seinem Evangelium Raum zu geben. Das ist der Weg, um den Frieden und das wahre Glück in unserem Inneren zu tragen, das ist der Weg zur wahren Verwirklichung unseres Lebens als Kinder Gottes, geschaffen nach seinem Bild, ihm ähnlich. Die Freude im Herrn suchen: Die Freude ist Frucht des Glaubens, die tägliche Erkenntnis seiner Gegenwart, seiner Freundschaft – »Der Herr ist nahe« (Phil 4,5). Es bedeutet, ihm unser Vertrauen zu schenken und in seiner Kenntnis und Liebe zu wachsen.
Das »Jahr des Glaubens«, das wir in wenigen Monaten beginnen werden, wird uns Hilfe und Ansporn sein. Liebe Freunde, lernt zu sehen, wie Gott in eurem Leben wirkt, entdeckt ihn verborgen inmitten der Geschehnisse eures Alltags. Glaubt daran, daß er seinem Bund, den er am Tag eurer Taufe mit euch geschlossen hat, stets treu ist. Ihr sollt wissen, daß er euch niemals verlassen wird. Richtet oft euren Blick auf ihn. Am Kreuz hat er sein Leben hingegeben, weil er euch liebt. Die Betrachtung einer so großen Liebe bringt in unsere Herzen eine Hoffnung und eine Freude, die durch nichts zerstört werden kann. Ein Christ kann niemals traurig sein, denn er ist Christus begegnet, der sein Leben für ihn hingegeben hat.
Den Herrn zu suchen, ihm im Leben zu begegnen bedeutet auch, sein Wort anzunehmen, das Freude für das Herz ist. Der Prophet Jeremia schreibt: »Kamen Worte von dir, so verschlang ich sie; dein Wort war mir Glück und Herzensfreude « (Jer 15,16). Lernt, die Heilige Schrift zu lesen und darüber nachzudenken, ihr werdet dort eine Antwort finden auf die tiefsten Fragen nach der Wahrheit, die in eurem Herzen und in eurem Verstand wohnen. Das Wort Gottes läßt die Wunder entdecken, die Gott in der Geschichte des Menschen gewirkt hat, und öffnet voll Freude zum Lob und zur Anbetung: »Kommt, laßt uns jubeln vor dem Herrn, … laßt uns niederknien vor dem Herrn, unserm Schöpfer!« (Ps 95,1.6). Insbesondere ist auch die Liturgie der Ort schlechthin, an dem die Freude zum Ausdruck kommt, die die Kirche aus dem Herrn schöpft und der Welt weitergibt. Jeden Sonntag feiern die christlichen Gemeinden in der Eucharistie das zentrale Heilsgeheimnis: den Tod und die Auferstehung Christi.
Das ist ein grundlegender Augenblick für den Weg eines jeden Jüngers des Herrn, in dem sein Liebesopfer vergegenwärtigt wird; es ist der Tag, an dem wir dem auferstandenen Christus begegnen, an dem wir sein Wort hören, mit seinem Leib und seinem Blut genährt werden. Ein Psalm sagt: »Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen« (Ps 118,24). Und in der Osternacht singt die Kirche das Exultet, den Ausdruck der Freude über den Sieg Jesu Christi über Sünde und Tod: »Frohlocket, ihr Chöre der Engel … Lobsinge, du Erde, überstrahlt vom Glanz aus der Höhe … Töne wider, heilige Halle, töne von des Volkes mächtigem Jubel.« Die christliche Freude kommt aus dem Wissen, von einem Gott geliebt zu sein, der Mensch geworden ist, sein Leben für uns hingegeben und das Böse und den Tod überwunden hat; und sie bedeutet, aus der Liebe zu ihm zu leben. Die hl. Theresia vom Kinde Jesu, eine junge Karmelitin, schrieb: »Jesus, dich zu lieben ist meine Freude« (P 45, 21. Januar 1897, vgl. Op. Compl., S. 708).
Die Freude der Liebe
4. Liebe Freunde, die Freude ist eng mit der Liebe verbunden: Es sind zwei voneinander untrennbare Früchte des Heiligen Geistes (vgl. Gal 5,22). Die Liebe bringt Freude hervor, und die Freude ist eine Form der Liebe. Die selige Mutter Teresa von Kalkutta sagte in Anlehnung an die Worte Jesu »Geben ist seliger als nehmen« (Apg 20,35): »Die Freude ist ein Netz der Liebe, mit dem man Seelen fängt. Gott liebt einen fröhlichen Geber. Und wer mit Freude gibt, gibt mehr.« Und der Diener Gottes Paul VI. schrieb: »In Gott selbst ist alles Freude, weil alles Geschenk ist« (Apostolisches Schreiben Gaudete in Domino, 9. Mai 1975).
Mit dem Gedanken an die verschiedenen Bereiche eures Lebens möchte ich euch sagen: Lieben bedeutet Beständigkeit, Treue, den Verpflichtungen treu bleiben. Und das zunächst in den Freundschaften: Unsere Freunde erwarten, daß wir aufrichtig, loyal, treu sind, denn die wahre Liebe ist beharrlich – auch und vor allem in den Schwierigkeiten. Und dasselbe gilt für die Arbeit, für die Studien und für die Dienste, die ihr übernommen habt. Die Treue und die Beharrlichkeit im Guten führen zur Freude, wenn diese auch nicht immer unmittelbar eintritt. Um in die Freude der Liebe einzutreten, sind wir aufgerufen, großherzig zu sein, uns nicht damit zufriedenzugeben, das Minimum zu geben, sondern uns im Leben bis ins Letzte einzusetzen, mit besonderer Aufmerksamkeit gegenüber den Notleidenden. Die Welt braucht kompetente und großherzige Männer und Frauen, die sich in den Dienst des Gemeinwohls stellen. Bemüht euch ernsthaft in Schule und Studium; pflegt eure Begabungen und stellt sie schon jetzt in den Dienst des Nächsten. Sucht nach Wegen, dazu beizutragen, die Gesellschaft gerechter und menschlicher zu machen – dort, wo ihr euch befindet. Euer ganzes Leben soll vom Geist des Dienstes geleitet sein und nicht von der Suche nach Macht, nach materiellem Erfolg und nach Geld.
Was die Großherzigkeit betrifft, so muß ich natürlich auch eine besondere Freude erwähnen: die Freude, die man empfindet, wenn man auf die Berufung antwortet, sein ganzes Leben dem Herrn zu schenken. Liebe Jugendliche, habt keine Angst vor dem Ruf Christi zum Ordensleben, zum monastischen Leben, zum missionarischen Leben oder zum Priestertum. Ihr könnt euch sicher sein, daß er all jene mit Freude erfüllt, die ihm unter diesem Aspekt das Leben weihen und auf seine Einladung antworten, alles zu verlassen, um bei ihm zu sein und sich mit ungeteiltem Herzen dem Dienst an den anderen zu widmen. Eine große Freude behält er ebenso dem Mann und der Frau vor, die sich einander in der Ehe völlig hinschenken, um eine Familie zu gründen und Zeichen der Liebe Christi zu seiner Kirche zu werden.
Ich möchte noch ein drittes Element zum Eintritt in die Freude der Liebe erwähnen: in eurem Leben und im Leben eurer Gemeinden die brüderliche Gemeinschaft wachsen zu lassen. Es gibt eine enge Verbindung zwischen der Gemeinschaft und der Freude. Nicht zufällig schreibt der hl. Paulus seine Ermahnung im Plural: Er wendet sich nicht an jeden einzelnen, sondern er sagt: »Freut euch im Herrn zu jeder Zeit« (Phil 4,4). Nur gemeinsam, indem wir die brüderliche Gemeinschaft leben, können wir diese Freude erfahren. Das Buch der Apostelgeschichte beschreibt die erste christliche Gemeinde so: Sie »brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens« (Apg 2,46). Setzt auch ihr euch dafür ein, daß die christlichen Gemeinden bevorzugte Orte des Miteinander-Teilens, der Aufmerksamkeit und des Sorgetragens füreinander sein können.
Die Freude der Umkehr
5. Liebe Freunde, um die wahre Freude zu leben, muß man auch die Versuchungen erkennen, die sie fernhalten. Die gegenwärtige Kultur verleitet oft dazu, nach unmittelbaren Zielen, Erfüllungen und Vergnügungen zu streben und zieht die Unbeständigkeit der Beharrlichkeit im Einsatz und in der Treue zu den Verpflichtungen vor. Die Botschaften, die auf euch einströmen, drängen euch dazu, in die Logik des Konsums einzutreten, und stellen künstliche Glücksmomente in Aussicht. Die Erfahrung lehrt, daß das Haben sich nicht mit der Freude deckt: Es gibt viele Personen, die zwar materielle Güter im Überfluß haben, aber oft unter Verzweiflung und Traurigkeit leiden und eine Leere im Leben verspüren. Um in der Freude zu bleiben, sind wir aufgerufen, in der Liebe und in der Wahrheit zu leben, in Gott zu leben. Und der Wille Gottes ist, daß wir glücklich sind. Darum hat er uns konkrete Weisungen für unseren Weg gegeben: die Gebote. Wenn wir sie beachten, finden wir den Weg des Lebens und des Glücks. Zwar mögen sie auf den ersten Blick als eine Ansammlung von Verboten erscheinen, gleichsam als Hindernis für die Freiheit, aber wenn wir tiefer, im Licht der Botschaft Christi, über sie nachdenken, dann handelt es sich um eine Gesamtheit von wesentlichen und kostbaren Lebensregeln, die zu einer glücklichen, nach dem Plan Gottes verwirklichten Existenz führen.
Wie oft stellen wir dagegen fest, daß es zu Enttäuschung, Traurigkeit, und Niedergeschlagenheit führt, wenn man beim Aufbauen Gott und seinen Willen außer Acht läßt. Die Erfahrung der Sünde als Weigerung, ihm nachzufolgen, als Verletzung seiner Freundschaft, bringt einen Schatten in unser Herz. Wenn der christliche Weg auch manchmal nicht einfach ist und das Bemühen um die Treue zur Liebe des Herrn Hindernissen begegnet oder das Fallen mit einschließt, so verläßt uns Gott in seiner Barmherzigkeit nicht, sondern bietet uns stets die Möglichkeit an, zu ihm zurückzukehren, uns mit ihm zu versöhnen, die Freude seiner Liebe zu erfahren, die vergibt und wieder annimmt.
Liebe Jugendliche, empfangt oft das Sakrament der Buße und der Versöhnung! Es ist das Sakrament der wiedergefundenen Freude. Bittet den Heiligen Geist um das Licht, eure Sünde zu erkennen, und um die Fähigkeit, Gott um Vergebung zu bitten, indem ihr mit Beständigkeit, innerem Frieden und Vertrauen dieses Sakrament empfangt. Der Herr wird euch immer seine Arme öffnen, er wird euch läutern und euch in seine Freude eintreten lassen: Im Himmel wird Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt (vgl. Lk 15,7).
Die Freude in den Prüfungen
6. Am Ende könnte in unserem Herzen jedoch die Frage bleiben, ob es wirklich möglich ist, in der Freude zu leben auch inmitten der vielen Prüfungen des Lebens, besonders der schmerzlichsten und geheimnisvollsten, ob die Nachfolge des Herrn, das Vertrauen auf ihn wirklich immer Glück schenken.
Die Antwort können einige Erfahrungen junger Menschen, wie ihr es seid, geben, denn sie haben gerade in Christus das Licht gefunden, das Kraft und Hoffnung schenken kann, auch in den schwierigsten Situationen. Der sel. Pier Giorgio Frassati (1901–1925) hat in seinem Leben, obgleich es nur kurz war, viele Prüfungen erfahren.
Eine davon, die sein Gefühlsleben betraf, hatte ihn tief verletzt. In dieser Situation schrieb er an seine Schwester: »Du fragst mich, ob ich fröhlich bin: Wie sollte ich es nicht sein? Solange mein Glaube mir Kraft gibt, werde ich immer fröhlich sein… Das Ziel, für das wir geschaffen wurden, weist uns den Weg, der zwar mit vielen Dornen übersät, aber kein trauriger Weg ist: Er ist Fröhlichkeit auch in den Schmerzen« (Brief an seine Schwester Luciana, Turin, 14. Februar 1925). Und der sel. Johannes Paul II. wies auf sein Vorbild hin und sagte: »Er war ein junger Mann von mitreißender Freude, einer Freude, die viele Schwierigkeiten seines Lebens überwand« (Ansprache an die Jugendlichen, Turin, 13. April 1980).
Die uns zeitlich näherstehende junge Frau Chiara Badano (1971–1990), die vor kurzem seliggesprochen wurde, hat erfahren, wie der Schmerz von der Liebe verwandelt werden kann und wie die Freude ihm auf geheimnisvolle Weise innewohnt. Im Alter von 18 Jahren, in einem Augenblick, in dem sie unter dem Krebs besonders zu leiden hatten, hatte Chiara zum Heiligen Geist gebetet und Fürsprache gehalten für die Jugendlichen ihrer Bewegung. Außer um die eigene Heilung hatte sie Gott gebeten, mit seinem Geist all diese Jugendlichen zu erleuchten, ihnen Weisheit und Licht zu schenken: »Es war wirklich ein Augenblick Gottes: körperlich litt ich sehr, aber die Seele sang« (Brief an Chiara Lubich, Sassello, 20. Dezember 1989). Der Schlüssel ihres Friedens und ihrer Freude war das völlige Vertrauen in den Herrn und die Annahme auch der Krankheit als geheimnisvoller Ausdruck seines Willens zu ihrem Wohl und zum Wohl aller. Oft wiederholte sie: »Wenn du es willst, Jesus, dann will auch ich es.«
Dies sind zwei einfache Zeugnisse von vielen, die zeigen, daß der wahre Christ nie verzweifelt und traurig ist, auch angesichts der härtesten Prüfungen. Außerdem zeigen sie, daß die christliche Freude keine Flucht aus der Wirklichkeit ist, sondern eine übernatürliche Kraft, um den täglichen Schwierigkeiten zu begegnen und sie zu leben. Wir wissen, daß der gekreuzigte und auferstandene Christus bei uns ist; er ist der Freund, der stets treu ist. Wenn wir an seinen Leiden teilhaben, haben wir auch teil an seiner Herrlichkeit. Mit ihm und in ihm wird das Leiden in Liebe verwandelt. Und dort findet man die Freude (vgl. Kol 1,24).
Zeugen der Freude
7. Liebe Freunde, abschließend möchte ich euch aufrufen, Missionare der Freude zu sein. Man kann nicht glücklich sein, wenn die anderen es nicht sind: Die Freude muß also geteilt werden. Geht und teilt den anderen Jugendlichen eure Freude darüber mit, jenen kostbaren Schatz gefunden zu haben, der Jesus selbst ist. Wir können die Freude des Glaubens nicht für uns behalten: Damit sie bei uns bleibt, müssen wir sie weitergeben. Der hl. Johannes sagt: »Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt… Wir schreiben dies, damit unsere Freude vollkommen ist« (1 Joh 1,3–4).
Manchmal wird ein Bild vom Christentum als Lebensentwurf gezeichnet, der unsere Freiheit unterdrückt und unserem Wunsch nach Glück und Freude entgegensteht. Aber das entspricht nicht der Wahrheit! Die Christen sind wirklich glückliche Männer und Frauen, weil sie wissen, daß sie nie allein sind, sondern immer von Gottes Händen getragen werden! Es ist vor allem eure Aufgabe, die Aufgabe der jungen Jünger Christi, der Welt zu zeigen, daß der Glaube Glück und wahre, vollkommene und dauerhafte Freude mit sich bringt. Und wenn die Lebensweise der Christen zuweilen müde und gelangweilt zu sein scheint, dann bezeugt ihr als erste das freudige und glückliche Antlitz des Glaubens. Das Evangelium ist die »frohe Botschaft«, daß Gott uns liebt und daß ein jeder von uns für ihn wichtig ist. Zeigt der Welt, daß es wirklich so ist!
Seid also begeisterte Missionare der Neuevangelisierung! Bringt den Leidenden, den Suchenden die Freude, die Jesus schenken will. Bringt sie in eure Familien, in eure Schulen und Universitäten, an eure Arbeitsplätze und in euren Freundeskreis, dort wo ihr lebt. Ihr werdet sehen, daß sie ansteckend ist. Und ihr werdet das Hundertfache empfangen: Die Freude über euer eigenes Heil, die Freude, die Barmherzigkeit Gottes in den Herzen wirken zu sehen. Am Tag eurer endgültigen Begegnung mit dem Herrn wird er zu euch sagen können: »Du bist ein tüchtiger und treuer Diener…Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!« (Mt 25,21).
Die Jungfrau Maria möge euch auf diesem Weg begleiten. Sie hat den Herrn in sich aufgenommen und hat ihn verkündigt mit einem Lob-und Freudengesang, dem »Magnifikat«: »Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter« (Lk 1,46–47). Maria hat in ganzer Fülle auf die Liebe Gottes geantwortet, indem sie ihm sein Leben geweiht hat in einem demütigen und allumfassenden Dienst. Sie wird »Ursache unserer Freude« genannt, weil sie uns Jesus geschenkt hat. Möge sie euch einführen in jene Freude, die euch niemand nehmen kann!
Aus dem Vatikan, am 15. März 2012
BENEDICTUS PP. XVI