Vor 1300 Jahren erklärte der byzantinische Kaiser Leo III. den heiligen Bildern den Krieg. Beinahe die ganze frühchristliche Kunst des Ostens wurde zerstört. Wenige Ikonen gelangten nach Rom. Von Paul Badde
Rom (kath.net/DieWelt)
Der "Krieg der Karikaturen", der vor sechs Jahren die Welt erschütterte, war in Wirklichkeit nur eine Karikatur früherer Bilderstürme. Der einzig wahre Bilderstreit, der den Namen verdient, hat vor 1300 Jahren hingegen Rasereien hervor gebracht, denen Tausende zum Opfer fielen, jedoch aus der Hand von Christen, nicht von Muslimen. Kern des Konflikts war die Frage, ob es Bilder geben dürfe, die Gott und seine Mutter abbilden, oder gar alle beide.
Unzählige Ikonen wurden in diesem Kulturkampf zerhackt und verbrannt, ihre leidenschaftlichsten Verehrer verbannt, gefoltert, ermordet. Viele dieser Opfer werden in der orthodoxen Welt als Märtyrer verehrt. Berüchtigt bleibt im Osten deshalb bis heute auch noch Kaiser Leo III. (685-741) "der Syrer (oder Isaurier)", der um das Jahr 730 befahl, alle Ikonen im Byzantinischen Reich zu zerstören, um den christlichen Kult "zu reinigen". Er nahm sich dabei womöglich eine lokale Bilderverfolgung bei muslimischen Nachbarn zum Vorbild.
Mit diesem Vorhaben kamen Leo und die nachfolgenden Kaiser, die den Bildersturm erneuerten, ziemlich weit. Im Osten haben deshalb nur ganz wenige Ikonen und Wandmalereien aus frühbyzantinischer Zeit überlebt. Legenden sprechen davon, dass sich einige von ihnen in diesem mörderischen Streit im Meer – wo Salzwasser sie unterwegs halb zerfraß – selbst auf den Weg nach Rom gemacht haben sollen.
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Rettung im Katharina-Kloster des Sinai
Tatsache ist, dass die ältesten frühchristlichen Ikonen fast nur im Katharina-Kloster im Sinai überlebt haben (wo sie die Welt des Islam quasi mit einem territorialen Riegel durch die Wüste vor den Rasereien der Byzantiner schützte) und eben tatsächlich in Rom, wohin einige der prominentesten von ihnen auf bisher noch ungeklärte Weise gelangt sind. Rom ist einer der wenigen Orte neben dem Sinai, wo sich Ikonen erhalten haben, die lange vor dem Bildersturm der Ostkirche entstanden sind.
Die älteste dieser geretteten Ikonen, die noch nie in einem säkularen Rahmen zu sehen war, ist nun unter anderen kostbaren Bildern in einer spektakulären Ausstellung im Palazzo Venezia zu besichtigen. Es ist die so genannte Lukas-Ikone – oder "Advocata" – die sich seit dem Jahr 1221 im Kloster der ersten Dominikanerinnen befindet.
Domenico de Guzman hatte sie persönlich am 28. Februar aus der nahen Kirche Santa Maria in Tempulo hierhin getragen. Auf welchen Wegen sie dort hin gelangt war, ist ungewiss. Nach Rom kam sie wohl schon Jahrhunderte vorher. Es ist jene archaische Darstellung Marias, die in Russland "Rimskaja" oder "Liddskaja" (Die Römische oder Lyddische) genannt wird.
"Ihre Gesichtsfarbe war die eines Weizenkorns"
In Lydda, dem heutigen Lod beim Ben-Gurion-Airport zwischen Jerusalem und Tel Aviv, soll überhaupt das erste Bild Marias aufgetaucht sein, wie es in einem Brief dreier Patriarchen an Kaiser Theophilos aus dem Jahr 833 heißt. "Sie war von mittlerer Größe", heißt es in einem anderen Schreiben Bischof Epiphanios’ aus Zypern, aus dem 5. Jahrhundert, und "ihre Gesichtsfarbe war die eines Weizenkorns". Sie habe Augen aus Bernstein, dunkle Brauen, Pupillen wie Oliven, eine schlanke Nase und einen rosenfarbenen Mund. Gesehen haben kann er sie selbst nicht mehr; gesehen haben könnte er allerdings dieses Bild und den seelenberuhigenden Blick dieser Augen. Es passt auf die Beschreibung wie ein Ei in einen Eierbecher.
Das Lindenholz ist – wie von einem Wasserschaden – an den Ecken ruiniert und so brüchig, dass sich das Alter nicht mehr bestimmen lässt. Würmer haben die Tafel schwer zerfressen. Sie ist etwa eine Elle breit, anderthalb Ellen hoch. Vom Original des Porträts ist nur ein Fragment geblieben: allein das Gesicht. Eine spätere Punzierung in Gold rahmt das Antlitz ein. Haarrisse durchziehen die Kornfeldfarbe der Haut und die korallroten Lippen. Ihre Hände sind – zum Schutz vor Küssen – mit Gold überzogen und weisen nach rechts, wie zu einem Weg.
Es gibt eine ganze Reihe vornehmer byzantinischer Ikonen in Rom, von der majestätischen Madonna der linken Seitenkapelle von Santa Maria in Trastevere bis zu der Madonna in der Sakristei des Pantheon, oder der "Madonna del Sorbo" aus Campagnano, die auch hier präsentiert werden. Doch die "Advocata" ist eindeutig vorbyzantinisch.
Je älter, desto ausdrucksstärker
Sie ist außerdem, "enkaustisch" gemalt, wie die berühmte Pantokrator-Ikone aus dem Katharinen-Kloster im Sinai – das heißt mit heißem Wachs und Mastix, deren Mixtur am Ende der Antike für immer verloren ging. Am ehesten gleicht sie manchen Mumienporträts in Wachs auf Holz aus einem Kanon von rund 800 Exemplaren, die Anfang des letzten Jahrhunderts in Fayum und anderen Oasen Ägyptens in mehreren Expeditionen aus dem Boden gefördert wurden, die aus den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. (bis zum Jahr 394) stammen, je älter, desto ausdrucksstärker.
Den ältesten von ihnen – aus dem 1. Jahrhundert! – ist die "Advocata" am nächsten verwandt. So beseelt wie in ihrem brunnentiefen Blick scheint kein Mensch aus der Tiefe der Zeit auf uns zuzukommen. Doch obwohl die Maltechnik altägyptisch ist, scheint der Malstil syrisch, vor allem in der vollmondrunden Darstellung des Gesichts, wie sie aus Mosaiken von Antiochia bekannt ist. Von dort stammte auch der Evangelist Lukas.
Das heißt natürlich nichts. Dass Lukas die Madonna auch gemalt und nicht nur beschrieben haben soll, zieht sich gleichwohl als Motiv durch die Kunstgeschichte bis zur Renaissance. Er habe sie zu Lebzeiten Marias (und nach dem Tod ihres Sohnes) auf dem Zionsberg getroffen, hieß es lange in dieser Tradition. Und er entstammte dem hellenistischen Kulturraum, in dem die Porträtkunst – im Gegensatz zum jüdischen Raum – auch in der Antike schon weit verbreitet war.
Die Ur-Ikone von Konstantinopel
Im Mittelalter wurde der Evangelist jedenfalls zum Schutzpatron der Malergilde. Der Flame Rogier van der Weyden hat die klassische Szene in vier Meisterwerken aufgegriffen, die sich heute in Boston, Brügge, Sankt Petersburg und München finden: der Evangelist vor einer Staffelei, dahinter ein Fenster, vor ihm die Madonna, die dem Maler Modell sitzt. Und hier haben wir jedenfalls das Original vor uns, egal, wer es gemalt hat, in klassischer Nüchternheit: Maria, allein, leicht abgewandt, mit zwei nach rechts weisenden Händen.
Dieser "hinweisende" Bildtypus wurde später "Hodegetria" genannt, das heißt die "Wegweisende". In Konstantinopel stand dieser Ur-Ikone die Chalkopatreia-Basilika zur Verfügung, die der Pracht des Markusdoms von Venedig nicht nachstand. Seit dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 kam bei allen Folge-Ikonen dieses Bildmotivs dann auch noch ein Sohn auf ihrem Schoß dazu, weil damals dogmatisch festgelegt wurde, dass Maria nicht nur als Mutter Jesu, sondern als Mutter Gottes und "Gottesgebärerin" zu begreifen sei.
Auch deshalb weisen Darstellungen der Madonna ohne den Sohn durchweg in früheste Zeiten zurück – oder eben auf spätere Kopien dieses ältesten Originals. Die Bildmutter aber fällt noch immer durch ihre Fremdheit unter allen Ikonen des Westens völlig aus dem Rahmen, und durch ihren offensichtlichen Vorbild-Charakter für eine ganze Schule späterer Kopien, besonders in Rom. Auch davon legt die Ausstellung in beredten Bildern Zeugnis ab.
Mutter Gottes auf dem Forum Romanum
Nirgendwo lässt sich nun jedenfalls besser sehen, dass die "Advocata" das Original ist und alle ähnlichen Bilder mit dem gleichen Motiv spätere Kopien. Von den "Anwältinnen" Roms und des Latiums wurden in dieser Ausstellung noch vier weitere hoch verehrte Tafeln aus dem Mittelalter versammelt, vom Ara Coeli (aus dem 11. Jahrhundert), aus San Alessio (die so genannte "Edessa Madonna", aus dem 13. Jahrhundert), aus Santa Maria della Concezione am Campo Marzio (die "Aghiosorritissa", 13. Jahrhundert) und aus Santa Maria Maggiore in Tivoli (die "Madonna delle Grazie" (13. Jahrhundert). Nicht vertreten sind die römischen Kopien aus Santa Susanna, Santa Maria in Lata, Domenico e Sisto oder San Lorenzo in Damaso.
Zwischen all diesen Kopien und der "Advocata" selbst liegen auf jeden Fall Lichtjahre, und auch zwischen ihr und der "Madonna Antiqua" aus der Sakristei der Kirche Santa Maria Nova – mitten im Forum Romanum – aus dem 6. Jahrhundert, die auch hier ausgestellt ist. Auch sie ist in Wachs gemalt, jedoch auf Leinwand und nicht auf Holz wie das Original, und die "Madonna Antiqua" hat ein Kind im Arm. Seit den 50er-Jahren galt sie dennoch lange Zeit als ältestes Marienbild Roms, vielleicht auch, weil sie relativ primitiv gemalt ist, wenn der Ausdruck bei einer Madonna gestattet ist.
Das Verdienst dieser Ausstellung "Wundertätiger Bilder" (Tavole Miracolose) ist jedenfalls außergewöhnlich, auch wenn sie einige Missverständnisse gleich mit präsentiert, wie ein unnötig abgedimmtes numinoses Dämmerzwielicht obwohl die Ikonen in ihren Heimatkirchen, aus denen sie im Zuge dieser kurzfristigen Musealisierung entliehen wurden, meist in strahlendem Licht dargeboten werden.
Am Ende siegte das Bild
Weil sich alle Besitzer dieser Tafeln so schwer von ihnen trennen konnten, dauert die Ausstellung nur wenige Wochen. Danach kann die "Advocata" zum Beispiel wieder nur morgens um halb sieben zur Frühmesse im Monastero di S. Maria del Rosario (Via Cadlolo Alberto 51) besucht und besichtigt werden, doch hinter den Gittern der Klausur. Im Zusammenspiel vieler ihrer Nachfolgerinnen wird sie vielleicht nie wieder zu sehen sein. Allein dies macht es lohnenswert, in diesen Tagen ein Ticket nach Rom zu buchen.
Hier können alle Besucher auf höchst sinnliche Weise erfahren, dass in dem erbitterten Bilderstreit der Ostkirche schließlich die Überzeugung der Darstellbarkeit Gottes und seiner Mutter gesiegt hat. Das Hauptargument der hartnäckigen Verteidiger der Ikonen blieb immer gleich. Christen haben ein Bild Gottes, sagen sie. In Jesus von Nazareth habe er sein Gesicht gezeigt. Es ist das christliche Alleinstellungsmerkmal zwischen den Buchreligionen. Am Anfang war das Wort – doch mit der Geburt Jesu durch Maria kam zu diesem Anfang noch ein entscheidendes Bild dazu.
"Tavole Miracolose" – bis zum 15. Dezember, Palazzo Venezia, Via del Plebiscito 118; Katalog 25 Euro