Filmrezension: Hannah Arendt
Von Dr. José García
BERLIN, 11. Januar 2013 (ZENIT.org, textezumfilm) - „Hannah Arendt“ beginnt mit der Entführung Adolf Eichmanns in Argentinien, wo ihn der israelische Geheimdienst im Mai 1960 aufgespürt hatte. Erst dann erscheint eine nachdenkliche Hannah Arendt (Barbara Sukowa) auf der Leinwand. Damit wird dem Zuschauer klar: Margarethe von Trottas Film ist keine Filmbiografie. Er konzentriert sich vielmehr – bis auf einige, allerdings durchaus verzichtbare Rückblenden aus Arendts Jugendzeit und insbesondere aus ihrer Beziehung zu Martin Heidegger – auf vier Jahre im Leben der Politikwissenschaftlerin und Philosophin im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess und dessen Folgen. In den Prozess-Szenen, die Hannah Arendt im Pressesaal erlebt, beeindruckt vor allem die Montage von schwarz-weißen Originalaufnahmen des echten Eichmann-Prozesses. Der Film stellt Arendts Formulierung „von der furchtbaren Banalität des Bösen“ in den Mittelpunkt, mit der die Philosophin eine wahre Entrüstungswelle auslöste. Denn jüdische Organisationen sahen darin eine Verharmlosung des Holocausts.
Margarethe von Trotta zeigt jedoch Hannah Arendt nicht nur als Denkerin und diskussionsfreudige, sondern auch als liebende Frau. Für „Hannah Arendt“ spielt eine wichtige Rolle sowohl Arendts Beziehung zu ihrem Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg) als auch zu ihrer besten Freundin Mary McCarthy (Janet McTeer), ihrem in Jerusalem wohnenden väterlichen Freund Kurt Blumenfeld (Michael Degen) sowie zu ihrer treuen Sekretärin Lotte Köhler (Julia Jentsch). Dass sich nach der Veröffentlichung ihrer Artikelserie über den Eichmann-Prozess ihr ehemaliger Studienfreund Hans Jonas (Ulrich Noethen) von ihr abwendet, schmerzt Hannah Arendt besonders. Geradlinig, ohne filmische Schnörkel inszeniert, stehen im Mittelpunkt von „Hannah Arendt“ die Schauspieler, allen voran Barbara Sukowa, der es eine authentische Darstellung der Politikwissenschaftlerin und Denkerin gelingt.
Interview mit Regisseurin Margarethe von Trotta und Hauptdarstellerin Barbara Sukowa
Ihr Film konzentriert sich auf den Eichmann-Prozess. War dies von Anfang an so geplant?
Margarethe von Trotta: Wir hatten zunächst über eine Filmbiografie nachgedacht – von Arendts erster Begegnung mit Heidegger bis zu ihrem Tod. Hannah Arendt hatte ein bewegtes Leben: Sie emigrierte 1933 nach Paris, wurde aber nach dem Einmarsch der Deutschen ins Internierungslager Gurs gebracht. Gott sei Dank konnte sie fliehen, denn die anderen Lagerinsassen wurden nach Auschwitz deportiert. Sie kam 1941 zusammen mit ihrem Mann Heinrich Blücher nach New York... Es wäre ein ziemlicher Ritt von einer Station zur nächsten geworden. Deshalb haben wir uns gefragt, was das Wichtigste für Deutschland ist. Und das ist nun einmal der Eichmann-Prozess. Die Gegenüberstellung Eichmann und Arendt ist ein Duell, ohne dass es Eichmann allerdings bewusst wird, dass er dadurch auf ewig mit dem Begriff der „Banalität des Bösen“ – so der Titel des daraus erwachsenen, Arendts bekanntesten Buchs – verbunden bleiben wird.
Wie kamen Sie zur Entscheidung, Eichmann nicht durch einen Schauspieler darstellen zu lassen?
Margarethe von Trotta: Das war mir ganz wichtig. Wenn ein Schauspieler ihn dargestellt hätte, hätte man nur darauf geschaut, wie gut er es macht. Dadurch wäre die Mittelmäßigkeit des Mannes nicht so zum Vorschein gekommen. Das ist nur mit der echten Gestalt möglich.
Was für ein Gefühl hatten Sie, Frau Sukowa, als Margarethe von Trotta Ihnen diese Rolle anbot?
Barbara Sukowa: Erstmal Furcht – aus verschiedenen Gründen. Hannah Arendt ist eine intellektuelle Gigantin. Wie kann das Denken im Film so dargestellt werden, dass es nicht langweilig wird? Darüber hinaus ist sie eine Frau, bei der man das Gefühl hat, dass sie viel intelligenter, viel gebildeter als man selbst ist. Die andere Furcht: Das sind zwei deutsche Frauen, die über eine deutsche Jüdin einen Film insbesondere über den Eichmann-Prozess machen wollen. Und der ist immer noch kontrovers.
Allerdings ist es für Sie nichts Neues, eine große Frau zu spielen. Sie hatten ja vor einigen Jahren etwa Hildegard von Bingen dargestellt.
Barbara Sukowa: Der Unterschied besteht darin, dass noch viele Leute Hannah Arendt kennen. Wie Hildegard von Bingen eigentlich war, ist viel schwerer nachzuprüfen. Über Hannah Arendt gibt es auch Filmmaterial, etwa das Interview mit Günter Gaus von 1964. Anfangs wollte ich viel mehr ihre Art und ihre Manierismen nachmachen. Wir haben uns aber anders entschieden, damit dies nicht von ihr ablenkt. In dem Film geht es nicht um schauspielerische Fragen, sondern darum, was Hannah Arendt denkt, was sie wollte.
Im Film zeigen Sie auch, dass Hannah Arendt wegen ihrer Kritik an den jüdischen Leadern angegriffen wurde. Was meinte sie damit?
Margarethe von Trotta: Sie stellte klar, dass sie nicht alle Leader meinte. Sie sagt auch, dass Widerstand nicht möglich war. Wenn aber einige jüdische Leader nicht so sehr kooperiert hätten, sich nicht wie preußische Untertanen verhalten hätten, hätten sie eventuell einige Menschen retten können. Das Beeindruckendste an ihrer Darstellung besteht darin, dass sie es mit dem moralischen Kollaps im Totalitarismus erklärt, der nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer traf.
Haben Sie sich auch anlässlich des Filmes mit Ahrendts Theorien auseinandergesetzt?
Barbara Sukowa: Ich habe mich mein ganzes erwachsenes Leben mit der Nazizeit auseinandergesetzt – das liegt an meiner Generation. Aber ich habe sehr viel von Hannah Arendt gelesen. Um das Denken darzustellen, muss ich natürlich wissen, worüber sie denkt. Ich habe auch versucht, das zu lesen, was sie gelesen hat. Ihre Idee über die Banalität finde ich sehr brillant. Wer das Buch gelesen hat, lernte die Nazis und die deutsche Bevölkerung der Zeit anders zu sehen. Sie hat gesagt, dass Eichmann unfähig war zu denken. Sie meint damit aber eher das Gewissen, dass Eichmann den Vorgang des Denkens und damit das Gewissen aufgegeben hatte. Hätte er in diesem Sinn gedacht, hätte er nicht weiterleben können. In diesem Film geht es um die Frage: Wie können Menschen mit bestimmten Dingen leben? Der Film handelt aber auch davon, wie man sich anhand der heutigen Informationsflut ein Urteil bilden kann: Wie bekommt man Urteilskraft?