Geheimdienstthriller in der EU: Russischen Spionen auf der Spur
Von
Marie Illner
Aktualisiert am 01. Mai 2021, 13:06 Uhr
In Tschechien und Bulgarien explodieren Munitionslager. Die Waffen sind für die Lieferung in die Ukraine, nach Georgien und Syrien vorgesehen.
Zeitgleich mit den Explosionen halten sich russische Geheimagenten im Land auf – zwei davon sind bereits aus der Skripal-Affäre bekannt.
Prag und Sofia glauben nicht an Zufälle. Die Geheimdienstaffäre hat längst eine diplomatische Krise ins Rollen gebracht.
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Es ist Stoff für einen Kinofilm: Stimmen die Vorwürfe der tschechischen und bulgarischen Regierung, so könnte sich mitten in Europa ein echter Geheimdienstthriller abgespielt haben – mit russischen Spionen als Hauptakteuren, die ausgerechnet aus der Skripal-Affäre bestens bekannt sind.
Konkret lässt ein Vorfall aus dem Jahr 2014 derzeit die russisch-tschechischen Beziehungen frösteln wie nie zuvor seit dem Zusammenbruch des Sozialismus. Damals explodierte ein Munitionslager im tschechischen Vrbetice, einem Dorf im Osten der Republik. Rauchwolken stiegen meterhoch in den Himmel, dutzende Menschen mussten evakuiert werden, zwei Mitarbeiter des Waffenlagers kamen ums Leben. Laut dem betroffenen Unternehmen "Imex Group" hätte die Munition nicht von allein in die Luft gehen können.
Aktion des GRU
Der Vorwurf der tschechischen Regierung nun nach jahrelangen Untersuchungen: schuld sollen zwei russische Geheimdienstoffiziere sein, die unter den Namen "Ruslan Boshirow" und "Alexander Petrow" gesucht werden und für den russischen Militärgeheimdienst GRU arbeiten. Ihnen wird vorgeworfen, fünf Tage vor der Explosion, am 11. Oktober, als Geschäftsreisende nach Tschechien gekommen zu sein und am Tag der Explosion (16.) wieder ausgereist zu sein. Sie sollen einen Besuch bei der Rüstungsfirma "Imex Group", der die Waffenlager gehörten, als Grund ihrer Einreise genannt haben.
Ihre Decknamen "Ruslan Tabarow" und "Nikolaj Popa" allerdings: Scheinidentitäten. Die präsentierten Ausweise, ausgestellt in Tadschikistan und der Republik Moldau: Vermutlich gefälscht. Die Waffenbestände, die in Vrbetice lagerten, gehörten dem bulgarischen Unternehmer Emilian Gebrew, der Waffen in die Ukraine, nach Georgien und Syrien verkauft. Moskau dürfte das nicht gefallen, es handelt sich um Gegner Russlands.
Ausweisung von Diplomaten
Es gebe den "begründeten Verdacht auf die Beteiligung russischer Agenten des Militärgeheimdienstes GRU an der Explosion des Munitionslagers in Vrbetice im Jahr 2014" erklärte der tschechische Regierungschef Andrej Babis auf einer Pressekonferenz im April (17.) und sprach von "eindeutigen Beweise unserer Sicherheitsorgane". Als Reaktion ließ Babis 18 russische Diplomaten und weitere Mitarbeiter der russischen Botschaft in Prag ausweisen.
Selbst Staatspräsident Milos Zeman, eigentlich bekannt für seinen pro-russischen Kurs, kommentierte die Vorgänge in ungewohnter Schärfe. "Kein souveränes Land kann es zulassen, dass zwei Agenten eines ausländischen Staates einen Terroranschlag auf seinem Gebiet verüben", sagte Zeman im Fernsehen. Auch Senatspräsident Milos Vystrcil, Mitglied der Demokratischen Bürgerpartei ODS und damit politischer Gegner von Babis, sprach von "Staatsterrorismus".
Verbindungen zur Skripal-Affäre
Was die ganze Affäre aber noch heißer macht: Die Männer, die auf den Fahndungsfotos der tschechischen Behörden zu sehen sind, sind bereits als "Ruslan Boshirow" und "Alexander Petrow" prominent in Erscheinung getreten. Sie sollen in den Anschlag auf den Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia verwickelt gewesen sein, die 2018 in London mit dem Nervengift Nowitschock vergiftet wurden.
Die investigative Rechercheplattform "Bellingcat" und das Magazin "The Insider" identifizierten die beiden Männer damals als die GRU-Offiziere "Alexander Mishkin" und "Anatoly Chepiga".
Sie sollen für die Spezialeinheit 29155 des Geheimdienstes arbeiten. Der GRU wird beispielsweise auch mit einem Destabilisierungsversuch in Moldau, einem Putschversuch in Montenegro und Cyberhacking-Aktionen in den Niederlanden in Verbindung gebracht.
Ermittlungen in Bulgarien
Im Zusammenhang mit der Explosion des Waffenlagers gibt es auffällige Parallelen zum Skripal-Attentat, die kaum an einen Zufall glauben lassen: Denn im Jahr nach dem Vorfall in Vrbetice wurde auf den bulgarischen Waffenhändler Gebrew, seinen Sohn und einen seiner Mitarbeiter ein Giftattentat verübt – ausgerechnet mit dem Nervengift Nowitschock. Die drei Bulgaren überlebten. Das Gift soll sich an Gebrews Autogriff befunden haben, fast wie im Fall Skripal: Damals wurde der Haustürgriff des ehemaligen Agenten mit dem Kampfstoff bestrichen.
Die tschechischen Behörden sind vor diesen Hintergründen nicht die einzigen, die russische Spione in Zusammenhang mit Explosionen im eigenen Land bringen. Auch in Bulgarien kam es zwischen 2011 und 2020 zu mehreren Explosionen in Munitionslagern – zeitgleich mit dem Aufenthalt von sechs russischen Staatsbürgern. Die bulgarischen Behörden prüfen deshalb nun ebenfalls Zusammenhänge. Denn die zerstörten Waffen sollten ebenfalls an Gegner Moskaus - nach Georgien und in die Ukraine - geliefert werden, teilte die Sprecherin des Chefanklägers Iwan Geschew am Mittwoch (28.) in Sofia mit.
Angekündigte Vergeltung
Sie sprach von einer "begründeten Vermutung", dass die Explosionen auch im Zusammenhang mit dem Versuch, Gebrew, seinen Sohn und seinen Mitarbeiter zu vergiften, stehen. Deshalb wurde bereits gegen drei russische Staatsbürger Anklage erhoben.
Moskau weist derweil wie gewohnt die Vorwürfe zurück und spricht von einer "antirussischen Aktion" der Tschechen, um den USA zu gefallen. In der Antwort des russischen Außenministeriums in Reaktion auf die Diplomaten-Ausweisung war von einem "feindseligen Schritt" die Rede. "Wir werden Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, die die Urheber dieser Provokationen zwingen, ihre volle Verantwortung für die Zerstörung der Grundlage der normalen Beziehungen zwischen unseren Ländern zu verstehen", kündigte Moskau an.
Teure Konsequenzen für Moskau
Russland könnte das nun schwer belastete Verhältnis zu Tschechien teuer zu stehen kommen: Nicht nur dürfte Russland weitere Unterstützer in der EU verlieren, auch der Einkauf russischer Impfstoffe steht auf der Kippe. Zudem wurde die russische Firma "Rosatim" von einem Milliardenauftrag ausgeschlossen. Eigentlich hatte sie beste Aussichten, an einem tschechischen Atomkraftwerk beteiligt zu werden.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow versuchte außerdem den Spieß umzudrehen: Er rief die EU mit Blick auf die Explosionen von Waffenlagern auf, den Waffenhandel in ihrem Gebiet besser zu kontrollieren. "Die EU sollte mal auf die Fragen antworten, die wir gestellt haben und die sich darum drehen, inwieweit die EU ihre Mitglieder hinsichtlich der Einhaltung von Verpflichtungen gemäß verschiedener Dokumente im Bereich des Waffenhandels kontrolliert", sagte er der Agentur "Intefax" zufolge in Moskau.
Verwendete Quellen:
Prosecutor’s Office of the Republic of Bulgaria: Statement of the spokesperson of the Prosecutor General, the Specialized Prosecutor's Office and SANS regarding pre-trial proceedings concerning national security of the country
Tagesschau.de: Russische Agenten und ihre Spuren
Ceska televize: Babiš kündigte an, dass russische Agenten an der Explosion in Vrbicetice beteiligt waren
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