Den Flüchtlingsbooten entgegen....aus Stuttgarter Nachrichten.
Von Sandra Hintermayr 01. Februar 2016 - 10:45 Uhr
Die private Initiative Sea-Watch leistet auf dem Mittelmeer Nothilfe für Flüchtlingsboote in Seenot. Im Bild zu sehen ist der Skipper Ingo Werth auf der „Sea-Watch II“.
Foto: dpa
Zwei Schülerinnen des Seminarkurses am Königin-Charlotte-Gymnasium interviewen einen Seenotretter von Sea-Watch. Die private Organisation hält auf dem Mittelmeer nach Flüchtlingsbooten in Seenot Ausschau.
Möhringen - Das Thema „Menschen auf der Flucht“ beschäftigt die Schüler der Jahrgangsstufe 1 des Königin-Charlotte-Gymnasiums das ganze Jahr. Es ist Thema ihres Seminarkurses. Im Rahmen dessen haben bereits mehrere Flüchtlinge die Schule besucht und von ihren Erlebnissen auf dem Weg nach Deutschland berichtet, am vergangenen Freitag war Klaus Stramm von der privaten Seenotretter-Initiative Sea-Watch zu Gast. „Die Schüler haben alles selbst organisiert“, sagt die Lehrerin Julia Wachter, die den Seminarkurs zusammen mit ihrem Kollegen Dominik Braun leitet.
Die Schülerinnen Julia Lansche und Lena Günther befragten Klaus Stramm zur Tätigkeit von Sea-Watch und zu seinen Erlebnissen mit den Seenotrettern. „Wie sind Sie zu Sea-Watch gekommen?“, wollte Lena Günther von dem Vorruheständler aus Metzingen wissen. „Ich bin Anfang 2015 zufällig auf Sea-Watch gestoßen. Ich segle seit Jahren, deswegen dachte ich ‚du musst raus aufs Meer und dort helfen‘“, antwortete Stramm.
Die Boote sind oft in einem bedenklichen Zustand
Im August war er als Unteroffizier mit den Seenotrettern unterwegs. Er ist bei einem der sieben Einsätze, die Sea-Watch im Jahr 2015 auf dem Mittelmeer gefahren hat, dabei gewesen. Zwölf Tage ununterbrochen auf See, immer Ausschau haltend nach Flüchtlingsbooten. „Die Boote sind teilweise in bedenklichem Zustand, da stehen 120 Menschen auf einer Fläche von zwei mal zehn, zwölf Metern“, sagte der 63-Jährige. „Sie müssen stehen, denn zum Sitzen ist kein Platz.“ Einige der Menschen seien bereits mehrere Tage auf See gewesen, „orientierungslos, mit ausgefallenem Bootsmotor der Strömung ausgesetzt, bei 40 Grad Hitze, ohne Schatten, ohne Essen, ohne Trinken, ohne Toilette“, erzählte Stramm. „Die Leute stehen tagelang in ihrem eigenen Urin, vermischt mit Meerwasser und Benzin.“
„Wenn wir nur einen Menschen retten können, ist unsere Mission erfüllt“, sagt Klaus Stramm von Sea-Watch. Foto: Sandra Hintermayr
In einem Boot hätten sie, nachdem alle Flüchtlinge auf ein Rettungsboot der italienischen Küstenwache übergeben wurden, zwei Leichen entdeckt. Ein junger Mann und eine schwangere Frau. Das nehme einen natürlich mit, so Stramm. „Aber wenn wir auch nur einen Menschen retten können, ist unsere Mission erfüllt.“ Während der Einsätze zwischen der libyschen Küste und Lampedusa haben die Aktivisten von Sea-Watch hunderte Menschen vor dem Ertrinken bewahrt. Inzwischen hat Sea-Watch ein zweites Einsatzgebiet: die Ägäis vor der griechischen Insel Lesbos.
Die größte Herausforderung: die Menschen ruhig halten
Weil Sea-Watch selbst nicht über Boote verfügt, die groß genug sind, die Menschen aufzunehmen, kooperiert die Organisation mit anderen vor Ort; mit Ärzte ohne Grenzen ebenso wie mit der italienischen Küstenwache, die die Flüchtlinge einsammelt und an Land bringt.
Die Arbeit von Sea-Watch besteht darin, die Flüchtlingsboote zu lokalisieren, Kontakt zu den Menschen aufzunehmen und wenn nötig erste ärztliche Hilfe zu leisten. „Die größte Herausforderung ist es, die Leute ruhig zu halten, bis die rettenden Boote eingetroffen sind“, sagte Stramm. Das könne je nach Standort auch mal Stunden dauern. In dieser Zeit verteilen die Seenotretter Schwimmwesten und Trinkwasser an die Flüchtlinge.
Eine Italienerin betete für die Seenotretter
Den Vorwurf, durch das Einsammeln der Flüchtlinge auf See würden noch mehr Menschen den Weg übers Mittelmeer antreten, wies Stramm entschieden zurück. „Die Menschen sind schon geflüchtet, bevor es die Seenotretter gab“, sagte der Metzinger. Er sieht es als seine humanitäre Pflicht an, den Menschen zu helfen.
„Gibt es ein Erlebnis, das Sie besonders geprägt hat?“, fragte Julia Lansche den Seenotretter. „Vor unserer Abfahrt in Lampedusa kam eine italienische Dame an unseren Steg und betete für uns. Als wir wieder kamen, war sie wieder da und dankte uns für unseren Einsatz. Das berührt mich noch heute“, so Stramm. Er möchte in diesem Jahr auf jeden Fall wieder in See stehen, um Menschen zu retten. Denn, so sagte er: „Wenn niemand auf dem Mittelmeer nach Flüchtlingsbooten in Seenot Ausschau hält, gibt es nur noch mehr Tote.“
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