13.08.2021
Was der Mauerbau für die Gemeinde St. Michael in Berlin bedeutet hat "Das war natürlich ein starker Einschnitt"
Vor 60 Jahren trennte die Mauer Berlin und ganz Deutschland. Auch die Gemeinde St. Michael in Berlin wurde am 13. August 1961 zwischen den Stadtteilen Mitte und Kreuzberg gespalten. Ein Schicksalstag für beide Teile der Gemeinde.
DOMRADIO.DE: Welche Erinnerungen haben Sie an diesen 13. August 1961 und an die Zeit unmittelbar danach?
Thomas Motter (Vorsitzender des Fördervereins zur Erhaltung der Katholischen Kirche St. Michael, Berlin-Mitte e.V.): Das war natürlich ein starker Einschnitt. An dem Sonntag – das war ja ein Sonntag, der 13. August – durften unter widrigen Umständen die Westberliner noch zu den Gottesdiensten in die Kirche und danach war dann Schluss. E war ja alles zu. Natürlich nicht schon die Mauer, sondern Stacheldrahtverhaue, Grenzsoldaten, Kampftruppen der VEB-Betriebe. So war das an diesem Tag.
Dann gab es nachher für die Gemeinde natürlich große Änderungen. Die beiden Kapläne, die noch da waren, wurden abgezogen, weil ja im Ostteil nur noch ungefähr tausend Mitglieder einer Gemeinde übrig waren und der Rest war in Westberlin in Kreuzberg. Da musste auch der Gemeindeleben neu organisiert werden – auf beiden Seiten. Denn wir hatten ja zwar die große Kirche, aber die in Westberlin hatten eigentlich so gut wie gar nichts. Da musste also schnell Ersatz geschaffen werden. Die sind dann erstmal im Evangelischen Bethanien-Krankenhaus untergekommen, bei den Diakonissinnen. Die hatten eine relativ große Kapelle. So waren die Anfänge.
DOMRADIO.DE: Verlief die Mauer also im Grunde unmittelbar an der Kirche?
Motter: Ja, so ziemlich. Um die 100 Meter entfernt vor den Häusern am Engelbecken, das ja direkt vor der Kirche ist. Das war dann schon alles dicht. Und dann wurde dann an den Tagen danach langsam begonnen, die echte Mauer dann aufzubauen.
DOMRADIO.DE: Ihre Gemeinde wurde dann in einen Ostteil in Mitte und einen Westteil in Kreuzberg geteilt. Wie hat sich das auf das Gemeindeleben ausgewirkt?
Motter: Für uns war es zumindest erst einmal so, dass ja sämtliche Vereine, die wir noch kannten aus der Zeit des Zusammenseins, dann weg waren. So etwas gab es im Osten nicht. Da musste also auch die Jugendarbeit zum Beispiel neu organisiert werden. Das war dann eine andere Struktur als wir die aus dem Westen kannten. Ansonsten hat der Pfarrer natürlich schon versucht, alles einigermaßen aufrecht zu erhalten und es gab auch Gott sei Dank immer Leute, die hier mitgemacht haben.
Ich kann mich erinnern, dass kurzfristig auch wieder Ministranten ausgebildet wurden, damit wir hier wenigstens wieder 10 Ministranten hatten. Es war also schon ein bisschen was zu machen. Und anscheinend war das auch mit dem Geld ein bisschen problematisch, weil wir ja auch durch die Westberliner und die Angehörigen auch immer Westgeld zur Verfügung hatten. Das war natürlich dann auch weg. Aber da kann ich nicht viel mehr zu sagen, denn das war noch für einen Zehnjährigen ein bisschen weit weg.
DOMRADIO.DE: Sie waren auf der Ostseite. Wie hat es sich denn dann später als katholische Gemeinde in der DDR direkt an der Grenze gelebt?
Motter: Ich sage mal: relativ unbehelligt. Was nicht mehr ging, war die große Fronleichnamsprozession um den Michael-Kirchplatz herum. Aber wir konnten zum Beispiel ungefähr 200 Meter vom Pfarrhaus zur Kirche am Palmsonntag durchaus unsere Palmprozession machen. Das war denkbar. Es gab im Pfarrhaus dauch en Religionsunterricht, die Ministrantenstunden, Gruppenstunden. Das war relativ unbehelligt möglich.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben sich in diesen 28 Jahren Trennung zwei völlig verschiedene Gemeindeteile entwickelt. Was hat sich denn nach dem Mauerfall 1989 in St. Michael verändert?
Motter: Erst einmal haben wir uns ja natürlich alle sehr gefreut und auch versucht, doch das eine oder andere zusammen zu machen. Wir haben auch viele Sachen wieder gemeinsam auf die Beine gestellt. Aber die Unterschiede waren doch von beiden Seitenganz schön gravierend. Zumal es in beiden Teilen auch nur ganz wenige, maximal eine Handvoll Leute gab, die noch von vor 1961 da waren. Die anderen, die da waren, die kannten also dieses Gemeinsame so gut wie nicht.
Das hat dann letztendlich nicht so geklappt, wie wir uns das vielleicht gewünscht hätten. Aber wie gesagt, wir haben uns nie aus den Augen verloren. Es waren nie irgendwie große Probleme, die nicht zu lösen waren. Und jetzt sind wir ja wieder vereint unter dem Dach der großen Pfarrei Bernhard Lichtenberg.
DOMRADIO.DE: Das müssen Sie kurz erklären: 60 Jahre später, 13. August 2021. Wie sieht die Gemeinde jetzt aus in Berlin?
Motter: Sie sieht gut aus. In der Mitte von Berlin gibt es eine große Pfarrei, benannt nach Bernhard Lichtenberg, mit 26.000 Gläubigen, die zumindest laut Kartei dazugehören. Es sind vier eigenständige Gemeinden in dieser Pfarrei. Da sind wir auch auf der einen Seite und auf der anderen Seite, Sankt Michael Kreuzberg. Wir haben damit natürlich wieder mehr miteinander zu tun und finden das alle ganz gut, dass wir da wieder einen Weg gefunden haben. Und ich denke, wir werden die Zusammenarbeit jetzt auch zwischen den beiden Michaels-Gemeinden noch mehr intensivieren.
Das Interview führte Carsten Döpp.
(DR)