Iwan Iljin: Er hat’s erfunden
In der Schweiz verherrlichte Iwan Iljin Russland, die Kirche und den Faschismus. Heute inspiriert er das Denken und Handeln Wladimir Putins.
Von Sascha Buchbinder
Aktualisiert am 17. März 2022, 13:54 Uhr
68 Kommentare
Aus der ZEIT Nr. 12/2022
Iwan Iljin: 2005 wurden die sterblichen Überreste von Iwan Iljin von der Schweiz nach Moskau überführt. Dort erwies ihm Wladimir Putin die letzte Ehre.
2005 wurden die sterblichen Überreste von Iwan Iljin von der Schweiz nach Moskau überführt. Dort erwies ihm Wladimir Putin die letzte Ehre. © Interfoto
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Die Schweiz: saubere Luft, Bergkräuter und von Berglern erfundene, gesunde Bonbons. Niemals könnte in den reinen Alpen Böses ersonnen werden. Von wegen. Es ist das Jahr 1938, als ein russischer Philosoph während eines Urlaubs ein Aufenthaltsgesuch für die Schweiz stellt, sich in Zollikon bei Zürich niederlässt und dort fortan seine kruden Theorien zu Papier bringt. Heute gilt Iwan Iljin als einer der wichtigsten Vordenker für den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Iwan Iljin
Der russische Philosoph Iwan Iljin (1883–1954) wuchs in Moskau auf. Ab 1922 lebte er im Exil, zuerst in Berlin, dann in Zollikon bei Zürich. Nach dem Ende des Kalten Krieges findet sein faschistisches Gedankengut neuen Zuspruch. Der russische Präsident Wladimir Putin bezieht sich seit 2005 in Reden auf ihn. Vor der Annexion der Krim stattete er seine Beamten mit Iljins Aufsatzband Unsere Aufgaben aus.
Iljin kommt 1883 in einer adligen russischen Familie zur Welt und wächst in Moskau auf. Er studiert Rechtswissenschaften und Philosophie und begeistert sich als Student zunächst für den Anarchismus. Iljin bewundert Hegel: 1918 erscheint seine Dissertation Die Philosophie Hegels als kontemplative Gotteslehre. Sein Denken erscheint darin als ein wilder Mix religiöser Überzeugungen plus Kant, Hegel, Husserl und Freud. Seine Zeit und die russische Gesellschaft erscheinen ihm furchtbar pervers.
Noch in Russland liest Iwan Iljin die Texte des 13 Jahre älteren Wladimir Iljitsch, der als Lenin in die Weltgeschichte eingehen wird. Begegnet sind sich die beiden nie, aber Iljin rezensiert Lenins Texte wohlwollend. Auch dieser entwickelte seine politischen Theorien im Schweizer Exil in Zürich, bevor er 1917, als die Februarrevolution ausbrach, nach Russland zurückkehrte.
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Beide berufen sich auf Hegel. 1918 sind sie sich einig: Die Mittelklasse muss zerstört werden, weil ihr Bedürfnis nach persönlichem Wohlstand und persönlicher Freiheit der klassenlosen Gesellschaft im Weg stehe. Als Marxist sieht Lenin die Konflikte zwischen den Klassen als den Motor der Geschichte. Die Bolschewiki sollten als revolutionäre Avantgarde das Proletariat im Kampf gegen die Bourgeoisie anführen und befreien.
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 12/2022. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.
Iwan Iljin, inzwischen Rechtsprofessor an der Moskauer Universität, glaubt nie an das Gute im Menschen. Der Individualismus ist für ihn satanisch. Russlands Aufgabe sieht er in einer göttlichen Totalität, sein historischer Auftrag wäre es demnach, die verpfuschte Schöpfungsgeschichte zu retten.
Das klingt wirr. Und das ist auch der Tscheka, der Geheimpolizei der Bolschewiken, in den 1920er-Jahren suspekt. Iljin wird mehrfach verhaftet, zuletzt sogar zum Tode verurteilt. Der Historiker Timothy Snyder zeichnet in seinem Aufsatz God is a Russian nach, wie Lenin zugunsten seines Rezensenten bei der Tscheka interveniert. Mit Erfolg. Iljin wird nicht hingerichtet, aber er muss ins Exil. Zusammen mit 160 anderen Intellektuellen wird er 1922 auf dem "Philosophenschiff" nach Deutschland abgeschoben.
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Avatarbild von zukunftcom
zukunftcom #1 — vor 4 Tagen
83
Danke für den Beitrag. Andere Perspektiven sind der Grund, warum ich die Zeit lese.
Avatarbild von Son of Ückendorf
Son of Ückendorf #1.1 — vor 4 Tagen
12
So geht es mir auch, danke ZEIT.
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r.schewietzek #2 — vor 4 Tagen
40
Heiliger Bimbam.
Der Mann war offenkundig wirr im Geiste.
sandor123 #2.1 — vor 4 Tagen
26
Würde mich nicht wundern, wenn seine Schriften in Kubitscheks rechtsradikalem Antaios-Verlag erschienen.
sonneundmond #3 — vor 4 Tagen
4
Man lese auch:
Michail Jurjews Buch „The Third Empire: Russia That Should Be“ (St. Petersburg, Limbus Press: K. Tublin Publishing House, 2006
sonneundmond #3.1 — vor 4 Tagen
5
Achja und Alexander Dugin, dieser mit Kontakten zu griechischen Politikern.
„ Im Januar 2015 wurden über 700 gehackte E-Mails bekannt, darunter E-Mails von Dugin. Sie gelten als Indizien dafür, in welch engem Kontakt russische Ideologen wie Dugin (und Oligarchen wie Konstantin Malofejew) mit wichtigen griechischen Politikern stehen.[33] Die griechische Außenpolitik wird seit der Eskalation der Ukrainekrise und der griechischen Parlamentswahl im Januar 2015 mit folgender Bildung des Kabinetts Alexis Tsipras intensiv beobachtet“
Wikipedia
Was macht Griechenland eigentlich gerade so?
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mikelbraun #4 — vor 4 Tagen
6
Iwan Iljin hatte großen Einfluss auf viele russische Schriftsteller und Intellektuelle des 20. Jahrhunderts, darunter auch Alexander Solschenizyn. Seine Philosophie und Spiritualität hat nichts mit Faschismus zu tun.
humboldt_redivivus #4.1 — vor 4 Tagen
51
Da ich den Artikel ganz anders verstanden habe, würde mich interessieren, warum Ihrer Meinung nach das nicht faschistisch genannt werden soll?
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