Der Wind der deutschen “Reformation” – Benedikt XVI. reist nach Deutschland und trifft auf eine „schismatisierende“ Kirche (Rom/Berlin) Es sind noch zwei Wochen bis zur Rede des Papstes vor dem Bundestag in Berlin (vom 22.-25. September wird Benedikt XVI. zum dritten Mal sein Geburtsland besuchen), doch die Debatte in der katholischen Kirche ist bereits intensiv entbrannt.
Vor wenigen Tagen war es der Vorsitzende der deutschen Bischöfe und Erzbischof von Freiburg, Msgr. Robert Zollitsch (73 Jahre, Mitglied der Schönstatt Priesterbewegung, seit dem 12. Februar 2008 an der Spitze des deutschen Episkopats als Nachfolger von Kardinal Karl Lehmann) selbst, der überraschte, als er der Wochenzeitung Die Zeit erklärte, daß es eine Priorität der deutschen Kirche sein müsse, in den nächsten Jahren eine Änderung der Haltung gegenüber den geschiedenen wiederverheirateten Gläubigen zu erreichen, die heute nicht zum Kommunionempfang zugelassen sind. „Es ist eine Frage der Barmherzigkeit, wir werden darüber intensiv sprechen“, so Zollitsch, der es nicht versäumte daran zu erinnern, daß Benedikt XVI. von Bundespräsident Christian Wulff, einem geschiedenen und wiederverheiratetem Katholiken nach Deutschland eingeladen ist. „Für mich ist Wulff ein Katholik, der seinen Glauben lebt und unter seiner persönlichen Situation leidet“, sagte Zollitsch.
Der Druck auf die Kirche, damit sie in verschiedenen Bereichen „Reformen“ durchführt, nicht nur auf dem der wiederverheirateten Geschiedenen, sondern auch beim Zölibat der Priester und der Frauenordination, ist in Deutschland sehr groß. Zollitsch ließ seinen Unmut über das langsame Tempo erkennen, mit dem der Vatikan auf den Wunsch nach „Erneuerung“ reagiere: „Manchmal laufe auch ich Gefahr, die Geduld zu verlieren und denke: warum geht es nicht schneller? Manchmal muß ich mich selbst zur nötigen Geduld anhalten.“
Was geht in Deutschland vor sich: „Apostasie“ oder „Dialogoffenheit“?
Der Vorwurf Zollitschs an Rom ist sehr klar: es gebe Kreise, die „sofort Apostasie riechen, wenn wir in Deutschland auf etwas kontroversere Weise diskutieren“. In Deutschland aber „diskutieren wir die Glaubensfragen auf andere Weise als in Italien. Diese Offenheit zum Dialog, die wir in Deutschland haben, wird in Rom nicht leicht verstanden“. Natürlich gelte das „nicht für den Papst“, aber für „einige Kardinäle“, bemühte sich Zollitsch um eine Präzisierung.
Es handle sich dabei, wie Zollitsch eingestand, um eine Folge der protestantischen Reformation. In Rom werde Deutschland geschnitten, „weil es gerne als Land der Kirchenspaltung betrachtet wird“. Gleichzeitig wüßten aber alle in Rom, wieviel „die Deutschen zählen“, wenn es „ums Geld geht“, spielte der Vorsitzende der Bischofskonferenz auf die Geldzahlungen der deutschen Kirche nach Rom an.
Der Ausritt von Zollitsch blieb dem Vatikan nicht verborgen. Am 1. September wurde Kardinal Joachim Meisner, der Erzbischof von Köln und treuer Freund des Papstes, von diesem in Castel Gandolfo in Privataudienz empfangen. Unmittelbar nach dem Gespräch nahm der Kardinal Stellung zu den Äußerungen Zollitschs. Er reduzierte die Bedeutung von Zollitschs Aussage, indem er klarstellte, daß sein Mitbruder nur in persönlichem Namen gesprochen habe. Gleichzeitig bekräftigte Kardinal Meisner, daß die „Unauflöslichkeit der Ehe ein Wert ist, der für alle gelte, auch für alle Vertreter der Gesellschaft“, ohne Ausnahmen, auch nicht für einen Bundespräsidenten.
Kardinal Meisner korrigiert Erzbischof Zollitsch
Auch der Apostolische Nuntius in Berlin, Msgr. Jean-Claude Périsset, nahm öffentlich Stellung und erklärte, daß die kirchliche Lehre zu den wiederverheirateten Geschiedenen „eindeutig“ sei. Er warnte deshalb, mit Blick auf den bevorstehenden Besuch des Papstes vor „überzogenen Erwartungen“. Kurzum, eine vornehme Art, um zu sagen, daß der Papst keine wie auch immer geartete „Öffnung“ während seiner Reise in sein Geburtsland bekanntgeben werde. Der Papst komme vielmehr, um die katholische Lehre zu verdeutlichen und zu stärken.
Die Diskussion wird in Deutschland zum Teil sehr hitzig geführt und belegt, daß in der Kirche Deutschlands heute, mehr als in anderen Ländern, starke antirömische Tendenzen vorhanden sind. Die Gründe für diese Romfeindlichkeit erklärte jüngst der katholische Schriftsteller Martin Mosebach, Träger des Georg Büchner-Preises 2007.
Mosebach: „Ursprung des antirömischen Affekts ist Martin Luther“
Mosebach hat keine Zweifel über den Ursprung dieser Abneigung: Martin Luther. „Luthers Reformation institutionalisierte den Bürgerkrieg in meiner Heimat. Der Dreißigjährige Krieg, die Säkularisation, der Kulturkampf, die Los-von-Rom-Bewegung, sind die verschiedenen Etappen dieser Entwicklung , die damals angestoßen wurde und die immer härtere Angriffe aus Wissenschaft und Philosophie gegen die römische Kirche zur Folge hatte.“
Heute sei diese antirömische oder antikatholische Stimmung nicht nur unter Protestanten verbreitet, sondern auch unter Katholiken. „Es gibt heute einen neuen Aspekt, der die aktuelle Situation charakterisiert“, so Mosebach. „Im Großteil Deutschlands gibt es keinen Gegensatz mehr zwischen den verschiedenen christlichen Positionen, zwischen den römischen Katholiken und den antirömischen Protestanten, weil die große Mehrheit der katholischen Theologen und der offiziellen Kirchenvertreter, gerade auch der Laien, zu verbissenen Gegnern Roms geworden sind. Der postkonziliare Katholizismus, der im Gleichklang mit den Protestanten ein Verfechter ökumenischer Werte ist, stellte sich an die Spitze der Rom-Gegner.
„Gegen Rom“-Haltung einziges tragendes Ergebnis der deutschen Ökumene
Man könnte sogar soweit gehen, zu behaupten, daß die neokatholische antirömische Feindseligkeit bisher das einzige wirklich tragende Element der nachkonziliaren ökumenischen Bewegung darstellt. Der Ultramontanismus, einmal typisch für das romtreue Deutschland, ist heute auf eine kleine Minderheit reduziert, die keine Möglichkeit hat, sich öffentlich Gehör zu verschaffen, da sie keinerlei Unterstützung durch die offizielle katholische deutsche Kirche genießt. Selbst wenn es sich um einen exzellenten Theologen handelt, hat er heute keinerlei Perspektiven.“
Benedikt XVI. ist darüber genau informiert. Er weiß um die Gebrechen der deutschen Situation, die er Etappe für Etappe miterlebt hat. Am 13. August empfing er in Castel Gandolfo den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, einen Kardinal und zwei Bischöfe, die im Gefolge des Pädophilieskandals – die Fälle ereigneten sich im Kanisius-Kolleg in Berlin und sind eine noch immer offene Wunde – auf die Einleitung eines „breiten Dialogprozesses“ drängten, der die katholische Kirche in Deutschland „aus der Krise führen“ sollte. Seit den Zeiten der Würzburger Synode (1971-1975) wurde in Deutschland kein synodaler Prozeß mehr eingeleitet.
Teile des katholischen deutschen Establishments wollen zweites „Würzburg“
Würzburg ist der deutschen Kirche aber keineswegs gut bekommen. Die Versammlung erzeugte so laute „liberale“ Reformerwartungen, die zwangsläufig im Nichts endeten, aber einen ungünstigen Beigeschmack hinterließen und im Untergrund als antirömische Strömung weiterwirkten. Ein einfacher Theologe namens Joseph Ratzinger verließ damals die Synodenversammlung, als er erkannte, daß sie in die falsche Richtung drängte und ein Gegenwirken sinnlos war.
Über die neue „Synode“ recte „Dialogprozeß/Gesprächsprozeß“ (der zwar nicht so genannt wird, aber offensichtlich ähnlich angelegt zu sein scheint), der am 8. und 9. Juni in Mannheim begonnen wurde, berichteten im vergangenen August Erzbischof Zollitsch, der Münchner Kardinal Reinhard Marx sowie die Bischöfe Franz-Josef Overbeck von Essen und Franz-Josef Bode von Osnabrück dem Papst. Nach der Audienz sprachen die vier deutschen Prälaten gegenüber der Presse von einer „herzlichen“ Begegnung. In der offiziellen Pressemitteilung der Bischofskonferenz lautete das Ganze dann so: „Der Heilige Vater hat sich sehr interessiert an diesem Prozess gezeigt, der wichtige Impulse für den Weg der Kirche in die Zukunft geben soll. Er hat den Gesprächsprozess als geistlichen Weg der Erneuerung gewürdigt und die deutschen Bischöfe ermutigt, in diese Richtung weiter zu gehen. Insbesondere hat der Heilige Vater den Zusammenhang mit dem 50. Jubiläum des II. Vatikanischen Konzils positiv unterstrichen.“
Benedikt XVI.: Dialogprozeß Ausdruck eines schwachen Episkopats, der sich Zeitgeist anpassen will
In Wirklichkeit hieß der Papst die Einberufung von Mannheim und den „Dialogprozeß“ keineswegs gut und zeigte sich gegenüber Mitarbeitern besorgt über die Entwicklung in Deutschland. „Mannheim ist für Benedikt XVI. das sichtbare Zeichen eines schwachen Episkopats, der zu sehr darauf abzielt, sich den Wünschen und Vorstellungen der Welt anzupassen“, schrieb dazu der Vatikanist Paolo Rodari. Die sofortige Reaktion von Kardinal Meisner und des Apostolischen Nuntius Périsset nach der Stellungnahme von Zollitsch zu den wiederverheirateten Geschiedenen zeigen, wie Rom diese Tendenz in der deutschen Kirche wirklich bewertet und welche Haltung der Heilige Stuhl dazu einnimmt.
Zollitsch von zwei Mitarbeitern „fehlgesteuert“?
Guido Horst, der Chefredakteur des Vatican Magazins und Rom-Korrespondent der Tagespost sagte der Tageszeitung Il Foglio: „In Deutschland verstehen viele einfache Gläubige nicht, warum Zollitsch immer die Forderung nach Reformen im Mund führt. Der zudem, auf dem Papier, nicht als Vertreter einer offen progressiven Position wie sein Vorgänger Karl Lehmann gilt. Im Gegenteil, er stellt im deutschen Episkopat eher eine amorphe Figur dar. Einige Kardinäle und Bischöfe (in Rom und in Deutschland) sind der Meinung, daß Zollitsch unter dem Einfluß von zwei seiner Mitarbeiter liberaler und progressiver geworden sei, durch den Jesuiten Hans Langendörfer, Sekretär der deutschen Bischofskonferenz, und durch Matthias Kopp, den Sprecher derselben.“
Das veranlaßte den Journalisten Alexander Kissler, Kulturredakteur und Kirchenexperte des Wochenmagazins Focus nach dem Zollitsch-Interview über die wiederverheirateten Geschiedenen sogar zur spitzen Frage: „Oder sang sich da am Ende eine Weise aus, die andere ihm auf- und vorgesetzt hatten? Las er recht und schlecht vom Blatte ab, das ihm von interessierter Seite routiniert gereicht wurde? Bauchredner verfahren ähnlich mit ihren Puppen.“
Protestanten erteilen Katholiken vor Papstbesuch „Ratschläge“ für eine protestantisierte Kirche
Die Antwort auf Kisslers Frage ist nicht leicht zu geben. Fest steht, daß es sicher nicht leicht ist, den deutschen Episkopat zu führen. Nicht zuletzt weil der protestantische Einfluß, direkt und indirekt stark ist, weil bestimmte weiterentwickelte protestantische Denkweisen sich allgemein in der öffentlichen Meinung verankert haben, stark ist. Die Monatszeitschrift Chrismon der EKD, die in Millionenauflage mehreren deutschen Tages- und Wochenzeitung kostenlos beigelegt wird, erteilt keineswegs zufällig genau in der September-Ausgabe zum Papstbesuch den deutschen Katholiken Ratschläge. Chefredakteur Arnd Brummer fordert die Katholiken mit Nachdruck auf, von Rom „Reformen“ einzufordern. Das protestantische Monatsblatt schreibt, daß die Katholiken sich ein Beispiel an der protestantischen Kirche nehmen sollten, die „die Kultur des Widerspruchs pflegt“, und dadurch ihre Überlegenheit beweise, gegenüber einer „Haltung von Schafen, die hinter einem Hirten herlaufen, der beansprucht, als einziger zu wissen, wo es lang gehe“. Ein ebenso harter wie unverschämter Angriff, der allerdings die sonst gerne abgestrittene antirömische Haltung des deutschen Protestantismus offenlegt.
Die Forderung nach „Reformen“ erreichte im vergangenen Februar ihren Höhepunkt, als Judith Könemann, eine Münsteraner Religionspädagogin gemeinsam mit acht weiteren Unterzeichnern, einen Appell für eine grundlegende Änderung der katholischen Kirche (der Titel lautete „Kirche 2011: eine notwendige Wende“) veröffentlichte. 143 bundesdeutsche, österreichische und Schweizer Theologen schlossen sich bereitwillig an, später erhöhte sich die Zahl auf mehr als 200. Die Forderungen waren allerdings altbekannt und wenig originell: Aufhebung des Zölibats, Frauenordination, Mitbestimmung bei der Bischofswahl, Ende des „moralischen Rigorismus“.
Unorigineller Theologenappell und das Schweigen der Bischöfe
Mehr Aufsehen als der Appell, der bestenfalls das Gewicht eines unter vielen der zurückliegenden 40 Jahre hatte, erregten die Bischöfe: Keiner von ihnen nahm zum Appell Stellung. Keiner antwortete und erklärte den katholischen Standpunkt. Die einzige Reaktion kam von Papst Benedikt XVI. selbst, der wenige Tage nach der Veröffentlichung des Appells, bei der Weihe von fünf Bischöfen im Petersdom in seiner italienisch gehaltenen Predigt, die Figur des Bischofs und dessen Aufgaben in den Mittelpunkt stellte. Die schriftliche Fassung der Predigt wurde sofort vom Presseamt des Heiligen Stuhls verbreitet und zwar nur in deutscher Fassung. Damit waren die Adressaten klar „benannt“.
Die Antwort Papst Benedikts XVI.
Der Papst unterstrich in einer Predigt, daß die Bischöfe dazu berufen seien, dem Zeitgeist gerade nicht nachzugeben: „die Beständigkeit, die Beharrlichkeit gehört zum Wesen des Christseins, und sie ist grundlegend für den Auftrag der Hirten, der Arbeiter im Erntefeld des Herrn. Der Hirte darf kein Schilfrohr sein, das sich mit dem Winde dreht, kein Diener des Zeitgeistes. Die Unerschrockenheit, der Mut zum Widerspruch gegen die Strömungen des Augenblicks gehört wesentlich zum Auftrag des Hirten. Nicht Schilfrohr darf er sein, sondern – nach dem Bild des ersten Psalms – wie ein Baum, der tiefe Wurzeln hat und darauf festgegründet steht. Das hat nichts mit Starrheit oder Unbeweglichkeit zu tun. Nur wo Beständigkeit ist, ist auch Wachstum.“
Text: Palazzo Apostolico/Giuseppe Nardi
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