Familie und Beruf Von wegen Vereinbarkeit
Ehe und Familie werden dem Arbeitsleben untergeordnet, und alle finden es modern – warum nur? Familie und Beruf sollen also vereinbar sein, und die Politik soll es richten. Niemand in Deutschland würde dem widersprechen. Dass es diese Vereinbarkeit dennoch nicht gibt, dafür sind schnell Schuldige gefunden: Väter, die keine Familienarbeit leisten. Betriebe, die keine familienfreundlichen Arbeitsverhältnisse wie Teilzeitjobs anbieten. Der Staat, der Betreuungsangebote nicht flächendeckend bereitstellt. Aber wollen wir überhaupt die perfekte Vereinbarkeit? Und um welchen Preis? Die moderne Familie konnte entstehen, weil die private und die ökonomische Sphäre getrennt waren. Die moderne Familie ist nicht wie in Agrarzeiten Wohn- und Arbeitsstätte zugleich. Betrieb und Familie sind getrennt; und die Familienpolitik zielte darauf ab, die Intimität von Eltern und Kindern zu schützen. Darum ging es, als sich die Familie endlich von der Arbeitswelt emanzipierte. Vereinbarkeit mit dem Beruf stand nicht auf dem Zettel. Im Gegenteil: Durch Kindergeld und Freibeträge sollte die Unabhängigkeit der Familie gegenüber der Wirtschaft gestärkt werden. Kinder kosten viel Geld, und deshalb sollten die Belastungen der Familie gegenüber Kinderlosen ausgeglichen werden. Familienarbeit und Erwerbsarbeit folgen unterschiedlichen Lebensmaximen. Wer nicht versteht, dass Arbeit nie Selbstzweck, sondern dass Arbeiten mit und für andere die ursprüngliche Konstante unserer Menschwerdung ist, wird Familienarbeit nicht zu würdigen wissen. Die Familie folgt ihrem eigenen Sinn des Füreinander, der nicht vereinbar ist mit dem Konkurrenzprinzip. Diese Eigenständigkeit der Familie muss verteidigt werden, wenn wir der totalen Verwirtschaftung des Lebens entgehen wollen. Norbert Blüm ist 77 Jahre alt und seit 1950 Mitglied der CDU. Von 1982 bis 1998 war er Arbeits- und Sozial minister in der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl. Doch die Programme zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf drohen die Familie sanft, aber bestimmt unter die Knute der Erwerbsgesellschaft zu stellen. Beide Ehepartner sollen in Lohnarbeit stehen. Der Störfaktor Kind soll möglichst früh der staatlichen Erziehungsarbeit übergeben werden. An die Stelle der Amateure »Mama und Papa« tritt eine professionalisierte Elternschaft namens »Schule«. Die Arbeit der Mütter wird erst dann anerkannt, wenn sie fremden Kindern gilt; das ist das System »Tagesmutter«. Wir könnten die Abschaffung der Elternschaft konsequenterweise bis hin zum staatlichen Brutkasten betreiben. Dann würden auch Schwangerschaft und Mutterschutz die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht länger stören. Die Erwerbsgesellschaft ist imperialistisch und schickt sich an, die Familie zu erobern. Mit dem Programm Kinderhort, Kindertagesstätte, Kindergarten, Ganztagsschule, Ferienbetreuung ist die Kindheit nahezu vollkommen verstaatlicht. Nur noch die Schlafzeit ist fest in Händen der Familie. Wahrscheinlich kommt der aufgeregte Eifer der Schulreformen erst dann zur Ruhe, wenn das ganze Leben – von der Wiege bis zur Rente – in ein staatliches Rundum-Internat gezwängt ist. Und so löst sich die Familie immer weiter auf. Jedes achte Ehepaar in Deutschland lebt in einer Fernbeziehung. Liebe wird zu Telepathie. Es geht von der Sesshaftigkeit, die wir uns über Jahrtausende mühsam angewöhnt hatten, wieder zurück zum Nomadentum. Mit Greencard sogar global. Die Ehe folgt der Platzanweisung, die ihr die Wirtschaft setzt. Flexibel und mobil, am besten auf Abruf, befristet, ausgeliehen arbeitet der moderne Jobhopper. Beide Ehepartner sollen jeweils dort leben, wo sie eine Anstellung finden. So werden Trennwände zwischen Familie und Erwerbsarbeit eingerissen. Der moderne Arbeitnehmer ist mit Handy am Gürtel und Computer auf dem Nachttisch immer im Dienst. Feierabend und Familie sind Nostalgie. Von wegen Vereinbarkeit Seite 2/2: Vereinbarkeit funktioniert nur in einer von Niedriglöhnen und Burn-outs befreiten Berufswelt Ausgerechnet die linke Arbeiterbewegung will auch die letzte Frau in die von ihr als repressiv bekämpfte Leistungsgesellschaft integrieren. Offenbar sollen Frauen zusammen mit den Männern erst unterdrückt werden, um sich sodann leichter zusammen mit diesen aus dem Elend zu befreien. Das ist eine Dialektik von der spitzfindigsten Art. Auf der anderen Seite sah die feministische Bewegung von jeher die Hausarbeit als Mittel größter Unterdrückung. Sie erkennt in der Fabrikarbeiterin, die in einer Schicht am Fließband 2000 Schrauben anzieht, immer noch mehr Emanzipation als in der Arbeit der Mutter. Warum sollten die Frauen an den Fließbändern eine freiere Entscheidung getroffen haben als jene, die als Mütter zuhause arbeiten? Heute wird der Prototyp Frau verehrt, der mühelos Familie und Beruf vereinbaren kann. Die siebenfache Mutter mit Kinderfrau und Reitlehrer eignet sich jedoch nicht zur Ikone, vor der die gerade zur Pflegerin umgeschulte ehemalige Schlecker-Mitarbeiterin mit Ehemann im Niedriglohnsektor und drei Kindern im Grundschulalter niederknien soll. Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert nur in einer von Niedriglöhnen und Burn-outs befreiten Berufswelt. Wenn ordentlich Geld verdient wird, muss die Familienzone nicht auf gnädige Häppchen und organisatorisches Entgegenkommen der Wirtschaft hoffen. Doch die optimal Vereinbarten, das sind Leiharbeiter, befristet Beschäftigte, auf Abruf Tätige, die erst gar keine Familie gegründet haben, um arbeiten zu können. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine Große Koalition des vermeintlichen Fortschritts mit enormem Fleiß die Ehe und die Familie zermürbt, auf dass die ungebremste neoliberale Verwirtschaftung das ganze Leben in seinen Strudel reißt. Dabei vergessen einige, dass Familienarbeit nicht nur Mutter-, sondern auch Vaterarbeit ist. Von der feministischen Bewegung ist keine Lebenshilfe für Ehe und Familie zu erwarten. Hausfrauen und Mütter gehörten nie zur Klientel der modernen Frauenbewegung. Mehr alleinstehende Frauen im Alter sind das traurige Ergebnis dieser Art der Emanzipation von der Familie. Doch die Idee der Ehe ist nach wie vor eine starke kulturelle Kraft. Selbst brutale Kollektivierungen haben sie nie gänzlich auslöschen können. Französische wie russische Revolution versuchten vergebens, Ehe und Familie kaputt zu machen. Die Maoisten waren die Letzten in der Reihe der großen Familienzerstörer. Bisher sind diese Modernisierer mit ihren gewaltsamen Versuchen gescheitert. Werden nun neoliberale Softies auf leisen Sohlen schaffen, was den Gewaltsystemen misslungen ist? Es könnte sein, dass mit der Familie auch freiheitliche Traditionen zugrunde gerichtet werden. Mit der Verteidigung der Familie wird Privatheit verteidigt. Denn die private Sphäre ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen Emanzipation von der Allzuständigkeit der Macht. Die Partnerschaft zwischen zwei Menschen ist die eigentliche Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Das Private musste Wirtschaft, Gesellschaft und Staat abgerungen werden. Soll das jetzt hergegeben werden? Soll die Ehe zur Dependance der Wirtschaft und die Kindheit zum staatlichen Fürsorgeobjekt werden? Die staatliche Familienpolitik hat inzwischen eine Art von Modernität erreicht, in der niemand recht weiß, welche Funktion die Familie im Zusammenleben der Menschen spielen soll. In vielen Fällen sind Betriebe längst ins Familienleben hineingewachsen. Die so bewunderte Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit wird jedoch von einer stillen Traurigkeit erfasst, die aus dem Verlust der Familienwelt entsteht. Wir müssen unsere Hoffnung auf die Verfassung und das Verfassungsgericht setzen, dass sie Ehe und Familie notfalls auch gegen den Zeitgeist verteidigen werden. Doch dafür müssen wir uns Gedanken machen, wie wir eine gute Gesellschaft gestalten wollen, in der ein gelungenes Leben möglich ist. Nur – wo bleibt bei alldem meine CDU
http://www.zeit.de/2012/42/Ehe-Familie-Karriere
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