OSTERZEIT 6. WOCHE - FREITAG
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DIE GABEN DES HEILIGEN GEISTES: VERSTAND
Licht, das uns in die Heilswahrheiten tiefer eindringen läßt. Wirkungen im Alltag. Ein Weg für alle: Beschaulich inmitten der Welt.
I. Jede Seite der Heiligen Schrift - »Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde= 1 - bezeugt die göttliche Herablassung, uns Licht auf dem irdischen Weg zu ihm zu sein. Im Alten Bund erscheint der Herr als das wahre Licht, das dem Volk Israel den Weg erhellt; ohne dieses Licht gerät es in die Irre. Die großen Führer des Volkes wenden ich immer wieder an Jahwe, denn nur so können sie Israel den Weg weisen und die Not wenden. Mose weiß, daß er ohne die göttliche Unterweisung nicht in der Lage wäre, das Volk ins Verheißene Land zu führen: Laß mich doch deinen Weg wissen!2 bittet er. Nicht minder eindringlich erfleht König David von Gott: Gib mir Einsicht, damit ich deiner Weisung folge und mich an sie halte aus ganzem Herzen.3
Im Neuen Testament scheinen Gottes Licht und Wahrheit unter uns auf. Gott sendet »seinen Sohn, das ewige Wort, das Licht aller Menschen«4. Er ist es, der »durch die Sendung des Geistes der Wahrheit die Offenbarung erfüllt und abschließt und durch göttliches Zeugnis bekräftigt, daß Gott mit uns ist, um uns aus der Finsternis von Sünde und Tod zu befreien und zu ewigem Leben zu erwecken«5. Jesus verheißt den Seinen den Geist der Wahrheit, der die ganze Kirche erleuchten wird. Erst nach Pfingsten erfassen die Apostel ganz, was diese Worte bedeuten. »>Durch die Hilfe des Heiligen Geistes< geschieht es, daß die Kirche >wächst< (vgl. Apg 9,31). Der Heilige Geist ist die Seele dieser Kirche. Er ist es, der den Gläubigen den tiefen Sinn der Lehre Jesu und seines Geheimnisses erklärt. Er ist derjenige, der heute wie in den Anfängen der Kirche in all jenen am Werk ist, die das Evangelium verkünden und sich von ihm ergreifen und führen lassen; er legt ihnen Worte in den Mund, die sie allein niemals finden könnten, und bereitet zugleich die Seele des Hörers auf den Empfang der Frohbotschaft und die Verkündigung des Gottesreiches vor.«6
Der Heilige Geist »vervollkommnet den Glauben ständig durch seine Gaben, um das Verständnis der Offenbarung mehr und mehr zu vertiefen«7. Durch die Gabe des Verstandes läßt er uns immer tiefer in die geoffenbarten Geheimnisse eindringen. Während der Glaube die einfache Zustimmung zum Offenbarungsinhalt ist, »hat der Verstand die Aufgabe, in diesen Offenbarungsinhalt einzudringen. Die Gabe des Verstandes vervollkommnet also unseren Glauben«8. Durch sie wird der Verstand erleuchtet, so daß er mit bis dahin ungeahnter Klarheit den tieferen Sinn der Glaubensgeheimnisse erfassen kann. jeder Betende hat solche Augenblicke erfahren, die von existentieller Bedeutung sein können: Da ist ein Wort, das wir oft gehört und betend betrachtet haben; in einem bestimmten Augenblick »geht es uns auf« und ergreift uns, überwältigt uns, als hätten wir es bis dahin nie richtig erfaßt.
Auch wenn die Geheimnisse des Glaubens in sich verhüllt bleiben - dank der Gabe des Verstandes erhält die Seele eine Klarheit über das, was sie glaubt, die mehr ist als die Klarheit des Natürlichen. Auf Erden ist nur eine unvollkommene Gottesschau möglich: »Wenn wir auch in ihr von Gott nicht sehen, was er ist, so sehen wir doch, was er nicht ist; je vollkommener wir in diesem Leben Gott erkennen, umso mehr werden wir uns klar, daß er alles übersteigt, was nur immer im Intellekt erfaßt wird.«9 Dies gehöre zur Gabe des Verstandes, sagt der heilige Thomas.
In diesem Licht, das die übernatürlichen Wahrheiten heller aufleuchten läßt und eine Art Intuition ermöglicht, erfaßt die Seele dann eine große Freude, die wie eine Ahnung der seligen Gottesschau in der Vollendung ist.
Was können wir tun, um diese besondere Gabe des Heiligen Geistes in uns zu entfalten? Gott zugewandt das Herz läutern. Dann sehen wir die Schöpfung gleichsam von Gott her, an seiner alles durchdringenden Sicht teilhabend. Wir beten den Schöpfer und Allmächtigen in Ehrfurcht an, lieben ihn kindlich und verstehen es, die geschaffenen Dinge richtig einzuschätzen. Und in dem Maße, in dem unsere Liebe wächst, erhellt sich der Verstand mit der Klarheit, die von Gott kommt.
Der Wunsch nach Klarheit verlangt zuallererst innere Reinigung. Unter den vielen Wegen dahin müssen wir immer wieder den sakramentalen Weg der Beichte gehen. Prüfen wir, ob wir sie regelmäßig genug empfangen, ob wir uns um eine Geiwssenserforschung im Lichte Gottes bemühen, ob wir den Heiligen Geist um eine Liebe bitten, die uns auch die kleinen Sünden und Fehler bereuen läßt.
II. In einer Katechese über den Heiligen Geist sagt Cyrill von Jerusalem im 4. Jahrhundert: »Wenn einer im Finstern war und dann plötzlich die Sonne erblickt, dann werden seine leiblichen Augen hell, und er sieht deutlich, was er früher nicht sehen konnte. So ist es auch mit dem, der des Heiligen Geistes gewürdigt wird: Seine Seele wird hell, und er schaut über alle menschliche Möglichkeit hinaus, was er (von sich aus) nicht wissen konnte.«10 Die Gabe des Verstandes läßt uns in den innersten Sinn der geoffenbarten Wahrheiten eindringen. Die heilige Theresia von Avila nimmt einen Vergleich zu Hilfe: »Es ist, als würde einer, der nie gelernt und sich nie um Lesenlernen bemüht hat, feststellen, daß er ein Wissen besitzt, dessen Wie und Woher er sich nicht erklären kann, denn er hat sich ja niemals um dieses Wissen bemüht, ja nicht einmal um das Lernen des Alphabets. Ein solcher Vergleich lehrt uns etwas über diese himmlische Gabe, denn die Seele sieht in einem Augenblick das Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und weitere hohe Geheimnisse mit einer solchen Klarheit, daß sie es mit jedem Theologen aufnehmen würde bei der Diskussion über solche Wahrheiten.«11
Die Gabe des Verstandes führt zum Erfassen des tieferen Sinnes der Heiligen Schrift, des Lebens aus der Gnade, der Gegenwart Christi in den Sakramenten, besonders seiner realen Gegenwart in der Eucharistie. Sie vermittelt uns eine Art Instinkt für das Wirken Gottes in der Welt. In ihrem Licht erkennen wir Konturen der Dinge, die uns sonst entgehen würden. Die Dreifaltigkeit, die Menschwerdung, die Erlösung, die Kirche bleiben geheimnisvoll - jedoch werden sie zugleich zu äußerst lebendigen Wirklichkeiten, aus denen wir leben. Sie befruchten die Arbeit, das Familienleben, die gesellschaftlichen Kontakte - das Gebet wird einfacher, tiefer.
Wer den Eingebungen des Heiligen Geistes zu folgen bereit ist, läutert sich, hält den Glauben wach, entdeckt Gott durch die Dinge der Schöpfung und die Ereignisse des Lebens. Anders, wer in der Lauheit lebt: er vernimmt den Anruf der Gnade nicht, seine Seele bleibt taub gegenüber den göttlichen Eingebungen, sein Glaubenssinn verflüchtigt sich und das Gespür für die Pläne Gottes stumpft ab. Die Gabe des Verstandes hingegen läßt uns Gott inmitten unserer alltäglichen Aufgaben und in den gewöhnlichen wie außergewöhnlichen Ereignissen des Lebens gewahren: in Freude und Schmerz, bei Arbeit wie Entspannung.
III. Zur Erlangung und Entfaltung dieser Gabe ist ein lebendiger und schlichter Glaube notwendig: Gib mir Einsicht, damit ich deine Gebote lerne.12 Dazu brauchen wir innere Sammlung. Es gibt eine Überreizung der äußeren Sinne, die sie unmöglich macht: »Es ist geradezu Symbol, daß das moderne Haus weithin die Wand aufgibt: der Mensch lebt, indem er drinnen ist, unmittelbar draußen und meint, dadurch werde er frei. In Wahrheit verdunstet die innere Welt. Und als ob das noch nicht genug wäre, wird die äußere noch ausdrücklich hereingeholt. Wir kennen ja die Wohnungen, in denen es nie ruhig wird, weil immerfort das Radio lärmt oder der Fernsehapparat in die Stunden, während derer der Mensch bei sich selbst sein sollte, die Sensation des Weltgeschehens hereinträgt.«13
Zurückhaltung hierin trägt zur Lauterkeit des Herzens bei, und nur jene, die ein reines Herz haben, werden Gott schauen.14 »Wer mit dieser Herzensreinheit nur das sexuelle Gebiet meint, dem ist nie zum Bewußtsein gekommen, was es um die Gottesschau für eine Bewandtnis hat. Rein ist der, der jenseits der Dinge, jenseits des Geschöpflichen steht, der auf dem Weg der (...) Verneinung, der Versagung und Verleugnung, sowohl der intellektuellen (es gibt auch eine solche!) als auch der ethischen, die Verwandtschaft, die connaturalitas, wie Thomas sagt, zu dem Göttlichen hergestellt hat und in die caligo Dei, in das Dunkel Gottes eingegangen ist und nunmehr Gott erlebt und schaut in dem, was Gott nicht ist.«15 Deshalb ist es nötig, auch die inneren Sinne, Phantasie und Gedächtnis, mehr auf Gott auszurichten.
Paulus lehrt uns, daß die Unreinheit, die Anhänglichkeit an irdische Güter, die Willfährigkeit gegenüber dem Begehren des Leibes abstumpfend auf den Geist wirken: Der irdisch gesinnte Mensch aber läßt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann.16 Anders ist es mit dem geisterfüllten Menschen, der in der Gnade Gottes lebt und den Heiligen Geist in Verstand, Willen und Gemüt wirken läßt. Seine saubere, nüchterne, entsagungsfreudige Art zu leben macht aus seinem Inneren eine würdige Stätte, in die der Heilige Geist mit dem Gefolge seiner Gaben einziehen kann.
Dann nimmt der Heilige Geist von der Seele Besitz »und man läßt der Vertrautheit mit Gott freien Lauf, ist bei ihm, schaut auf ihn, beständig und mühelos. Wir leben dann wie Gefangene, gleichsam in Ketten. Während wir, bei all unseren Fehlern und Unzulänglichkeiten, so vollkommen wie möglich die Aufgaben und Pflichten unseres Standes erfüllen, sehnt sich unsere Seele nach Befreiung. Sie drängt zu Gott hin, angezogen von ihm wie das Eisen vom Magneten. Wir beginnen Jesus auf eindringlichere Weise zu lieben, in seliger Bestürzung.«17
Am Ende unseres Gebetes bitten wir die Mutter Gottes - sie besaß die Fülle des Glaubens und die Gaben des Heiligen Geistes -, uns zu lehren, besonders jetzt - während der Tage der Vorbereitung auf das Pfingstfest - für alle Anregungen des Geistes empfänglich zu sein.
1 II.Vat.Konz., Konst. Dei Verbum, 9. - 2 Ex 33,13. - 3 Ps 119,34. - 4 II.Vat.Konz., a.a.O., 4. - 5 ebd. - 6 Paul VI., Apost. Schreiben Evangelii nuntiandi, 8.12.75, 75. - 7 II.Vat.Konz., a.a.O., 5. - 8 R.Graber, Die Gaben des Heiligen Geistes, Regensburg 1936, S.129. - 9 Thomas von Aquin, Summa Theologica, II-II,8,7c. - 10 Cyrill von Jerusalem, Katechese 16. - 11 Theresia von Avila, Leben, 27,8-9. - 12 Ps 119,73. - 13 R.Guardini, Tugenden, Mainz/Paderborn 1987, S.149. - 14 vgl. Mt 5,8. - 15 R.Graber, a.a.O., S.136-137. - 16 1 Kor 2,14. - 17 J.Escrivá, Freunde Gottes, 296.
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