OSTERZEIT 7. WOCHE. MONTAG
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DIE GABEN DES HEILIGEN GEISTES: RAT
Die Gabe des Rates und die Tugend der Klugheit. Hilfreich zur Formung des Gewissens. Geistliches Gespräch.
I. Beliebigkeit der Lebensentwürfe scheint zu einem Merkmal unserer pluralistischen Gesellschaft geworden zu sein. Selbst Menschen, die klug handeln wollen, geraten nicht selten ins Dickicht der rasch wechselnden Deutungen und Wertungen. Anderen ist es gleichgültig, nach welchen Grundsätzen sie leben, wenn es nur ohne Zumutungen abgeht. Sie ersetzen die Kardinaltugenden, die das Leben wie Angeln die Tür tragen, durch die Kunst der Anpassung. Dies mag den Gleichgültigen befriedigen, den Klugen muß es beunruhigen. Denn er weiß, daß nicht alle Ratschläge gleichwertig sein können, wenn das Leben einen objektiven Sinn haben soll. Um nicht auf Holzwege, Irrwege oder in Sackgassen zu geraten, braucht der Mensch einen verläßlichen Anhaltspunkt. Im Alten Testament findet sich das Wort Gottes: Ich unterweise dich und zeige dir den Weg, den du gehen sollst. Ich will dir raten; über dir wacht mein Auge.1
Als Jesus, der sich uns als Weg, Wahrheit und Leben2 zu erkennen gibt, die Seinen auf Situationen vorbereiten muß, die sie - menschlich gesehen - überfordern würden, sagt er ihnen: Wenn man euch vor Gericht stellt, macht euch keine Sorge, wie und was ihr reden sollt, denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr reden sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden.3 Viele Glaubenszeugen haben im Verlauf der Jahrhunderte diese Verheißung des Herrn an sich erfahren. Märtyrerakten aus der christlichen Frühzeit zeigen uns einfache Menschen, manchmal sogar Kinder, die in der Extremsituation des Martyriums weise und gelassen reagieren. Der Heilige Geist wirkt in ihnen. Sie sind darauf vorbereitet, weil sie sich ihm lange vorher in den alltäglichen Situationen geöffnet hatten; und so dürfen wir hoffen, daß der Helfer im Alltag des Glaubens uns auch in der Not des Glaubens, wenn Gott sie zuläßt, beistehen wird.
Worin besteht die Gabe des Rates? Sie vervollkommnet die natürlich-übernatürliche Tugend der Klugheit, die zur Anwendung der geeigneten Mittel gemäß der jeweiligen Situation befähigt. Da die Klugheit unser ganzes Leben umfaßt, ist der Heilige Geist in der Gabe des Rates Licht und ständiges Prinzip all unserer Handlungen; nicht nur in lebenswichtigen Entscheidungen, sondern auch in den normalen Alltagssituationen, die unseren Lebensweg ausmachen. Auch in ihnen ist der Heilige Geist der beste Ratgeber und weiseste Lehrer. Gott erteilt die Gabe des Rates denen, die sich ihr öffnen. Sie ist wie ein übernatürlicher Instinkt, der uns rasch und richtig erkennen läßt, was am besten zur Ehre Gottes gereicht. Liebe, Frieden, Opfer, Pflichterfüllung, Treue in den kleinen Dingen: der Beistand gibt uns ein, wie wir es verwirklichen können.
Das eigene geistliche Leben ist das erste Wirkungsfeld dieser Gabe. In der Seele, die in der Gnade Gottes lebt, wirkt der Heilige Geist auf eine stille, sanfte, starke Art als weiser, liebevoller, einfühlsamer Lehrer, der die Seele erleuchtet. Von daher kommen die Entschlüsse, die ein Leben verändern, die am Ursprung seiner Neuausrichtung auf Gott hin stehen.
Dies erfordert, Gott ganz angehören und dem Wirken seiner Gnade keine Grenzen setzen zu wollen; außerdem die Bereitschaft, Gott, den unendlich Liebenswürdigen, um seiner selbst willen zu lieben, sowohl, wenn es leicht fällt, wie auch, wenn wir uns trocken oder kalt fühlen. Ihn selbstlos lieben: nicht um der Tugend, um der Gnade oder um des Besitzes willen, sondern einfach, weil er unendlich liebenswert ist. Und auch dann, wenn er zu uns sagt: erbitte von mir, was du willst, bitten wir ihn um nichts - nur um immer mehr Liebe. Und mit der Liebe Gottes kommt alles, was das Herz eines Menschen beglücken kann.
II. Die Gabe des Rates geht mit der natürlichen Klugheit Hand in Hand: die notwendigen Informationen einzuholen, die möglichen Konsequenzen einer Handlung abzuwägen, auf frühere Erfahrungen zurückzugreifen, aufrichtig um Rat zu bitten. Oft überkommt uns angesichts der Vielfalt möglicher Lösungen ein Gefühl der Hilflosigkeit: »Daher bedarf der Mensch beim Suchen des Rates der Leitung durch Gott, der alles begreift«4, sagt der heilige Thomas.
Durch die Gabe Gottes erleuchtet, kann die Klugheit die Wahl der Mittel, den erhaltenen Rat, den einzuschlagenden Weg rascher und sicherer bewerten. Es gibt Fälle, in denen eine Entscheidung oder eine Antwort unaufschiebbar ist und die Umstände eine unmittelbare Reaktion verlangen wie im Evangelium, als die Pharisäer Jesus hinterhältig die Frage stellen, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Der Herr ließ sich die Steuermünze zeigen und fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! Als sie das hörten, waren sie sehr überrascht, wandten sich um und gingen weg.5
Die Gabe des Rates umfaßt alles, »was auf das Ziel des ewigen Lebens hingeordnet ist, sei es nun heilsnotwendig oder nicht«6. Sie hilft bei der Formung eines unverbildeten Gewissens, das keine Selbstrechtfertigung gegenüber Sünden und Fehlern zuläßt, sondern das Versagen ungeschminkt anerkennt und es ehrlich bereut. Dank dieser Gabe vermag das Gewissen die sittlichen Normen richtig, gemäß dem Willen Gottes, und nicht nach fragwürdigen menschlichen Rücksichten anzuwenden. Direkt oder durch den Rat anderer Menschen macht uns der Heilige Geist auf Wege aufmerksam, die vielleicht quer zum Zeitgeist verlaufen, und er ermuntert uns, sie entschlossen zu gehen.
Die Gabe des Rates ist keine außergewöhnliche göttliche Inspiration. Sie umfaßt alle unsere Handlungen und fügt sich in den normalen Alltag ein. Und so ist sie durchaus vereinbar mit Momenten des Schwankens und innerer Ungewißheit. »Die Unsicherheit steigt aus den Untiefen unseres eigenen Wesens auf und wenn der Geist des Rates sie nicht behebt, so verfolgt er damit einen heilspädagogischen Zweck. Er hält sich zunächst an das große Gesetz, wonach das göttliche Wirken stets auch die Zweitursachen berücksichtigt; auf diese Weise will der Heilige Geist uns veranlassen, zur endgültigen Entscheidung auch andere Menschen, besonders die Kirche, um Rat anzugehen (...). Wir dürfen nie außer acht lassen, daß es auch in den Gaben des Heiligen Geistes eine Entwicklung vom Unvollkommeneren zum Vollkommeneren gibt. Das Gefühl unserer eigenen Unzulänglichkeit soll uns zu immer innigerem Gebet um die göttliche Erleuchtung in der Gabe des Rates anspornen. Es soll uns aber auch zu Bewußtsein gebracht werden, daß wir selbst uns disponieren müssen für ein möglichst fruchtbares Wirken dieser Gabe.«7
Dazu gehört, um es zu wiederholen, in vielen Fällen andere Menschen um Rat zu bitten, besonders aber, in Demut den Rat der Kirche zu befolgen. Gerade die Heiligen haben sich immer als sehr fügsam gegenüber ihren Vorgesetzten gezeigt und waren davon überzeugt, daß der Gehorsam der königliche Weg ist, der am sichersten zur Heiligkeit führt. Auch dies ist Werk des Heiligen Geistes: sich kindlich den legitimen Vertretern der Kirche zu unterwerfen gemäß dem Wort des Herrn: Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat.8
III. Auch wenn die Gabe des Rates zuerst zur Heiligung des Einzelnen gegeben wird, so hat sie doch auch eine soziale Bedeutung. »Wenn wir an das Pfingstereignis denken, dürfen wir nie nur an die denken, die in dieser Stunde vom Heiligen Geist ergriffen wurden. Wir müssen auch an die denken, die zusammenliefen, um zu sehen, was da geschehen war. Sie sahen - zum ersten Mal in ihrem Leben - geisterfüllte Menschen. Sie hörten - zum ersten Mal in ihrem Leben - einen geisterfüllten Menschen sprechen. Das Wort des Petrus traf sie ins Herz. Reinhold Schneider sagt dazu: Das ist das Merkmal des echten, von oben gekommenen Wortes, daß es durch das Herz geht und bewegt zu der Frage: >Was sollen wir tun?<; daß es unerbittlich danach drängt, in die Wirklichkeit des Lebens einzugehen (...). Ein Wort, das nicht zu der Frage drängt: >Was sollen wir tun?<, ist die Stimme nicht wert.«9
Wir alle können in bestimmten Situationen zu Ratgebern anderer Menschen werden. An manche ergeht aufgrund von Stellung oder Amt der besondere Ruf zum Seelenführer, die Aufgabe, »in der Seele die Dispositionen für eine möglichst weite Aufnahme der Gaben des Heiligen Geistes mithelfen zu schaffen, vor allem für ein intensives Wirken der Gabe des Rates. Der Seelenführer muß die Seele hinführen zum eigentlichen Seelenführer, zum Heiligen Geist. Ist diese Aufgabe erfüllt, dann hat der Seelenführer seinen Platz zu räumen.«10
Oft und deutlich spricht der Heilige Geist zu uns durch die Ratschläge, die wir im geistlichen Gespräch erhalten. Wir sollten sie mit der Freude eines Menschen empfangen, der den Weg neu entdeckt - dankbar gegenüber Gott und jenem, der in seinem Namen spricht, und mit dem Vorsatz, sie zu verwirklichen.
Wir brauchen die Gabe des Rates im Alltag: für uns selbst wie für unsere Freunde in ihren geistlichen und irdischen Angelegenheiten. Die klassische Theologie bringt diese Gabe in Zusammenhang mit der Seligspreisung der Barmherzigen. Denn man muß barmherzig sein, um einen verständigen Rat geben zu können - einen hilfreichen Rat, der nicht entmutigt, sondern in Milde voranbringt.
Heute erbitten wir vom Heiligen Geist die nötige Fügsamkeit gegenüber seinen Eingebungen. Er möge uns vor der Anhänglichkeit an das eigene Urteil, vor der Unfähigkeit, sich belehren zu lassen, vor mangelnder Demut und überstürztem Handeln bewahren. Das gelingt uns am besten, wenn wir uns daran gewöhnen, die wichtigen Entscheidungen unseres Lebens im Gebet zu bedenken und reifen zu lassen: »Fasse keinen Entschluß, ohne die Angelegenheit vor Gott erwogen zu haben«11, ist der Rat des seligen Josemaria Escrivá. Dazu gehört die Bereitschaft, die eigenen Kriterien hinantzustellen und in bestimmten Situationen den Rat eines Erfahrenen einzuholen: »Deshalb gehen wir zu einem Ratgeber, aber nicht zu einem beliebigen, sondern zu dem, der mit uns die Fähigkeit und den aufrichtigen Wunsch teilt, Gott zu lieben und ihm treu zu folgen. Es genügt nicht einfach, daß wir uns einen Rat holen, sondern wir müssen auch darauf achten, daß der gesuchte Ratgeber uneigennützig handelt und Geradheit besitzt. (...) Unter unseren Bekannten treffen wir manchmal Menschen, die abwägend, objektiv und uneigennützig entscheiden; fast instinktiv verlassen wir uns auf sie, weil sie sich in ihrer stillen, bescheidenen Art immer gut und rechtschaffen verhalten.«12
Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.13 Wenn wir bemüht sind, jeden Tag unseres Lebens dem Herrn zu folgen, wird uns das Licht des Heiligen Geistes nicht fehlen. Unsere Liebe Frau vom Guten Rat wird uns die nötige Gnade dazu erlangen.
1 Ps 32,8. - 2 vgl. Joh 14,6. - 3 Mt 10,19-20. - 4 Thomas von Aquin, Summa Theologica, II-II,52,1,ad 1. - 5 Mt 22,20-22. - 6 Thomas von Aquin, a.a.O., II-II,52,4,ad 2. - 7 R.Graber, Die Gaben des Heiligen Geistes, Regensburg 1936, S.127. - 8 Lk 10,16. - 9 H.Mockenhaupt/L.Scheffczyk, Der Heilige Geist in Kirche und Welt, Leutesdorf 1988, S.10. - 10 R.Graber, a.a.O., S.123. - 11 J.Escrivá, Der Weg, Nr.266. - 12 J.Escrivá, Freunde Gottes, 86-88. - 13 Joh 8,12.
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