OSTERZEIT 7. WOCHE - DONNERSTAG
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DIE GABEN DES HEILIGEN GEISTES: GOTTESFURCHT
Ängste und Gottesfurcht. Gottesfurcht und Gottesliebe. Ehrfurcht vor dem Schöpfer und seinen Gaben.
I. Es ist heute eine lähmende Furcht im Lebensgefühl vieler Menschen zu spüren. Sie fürchten sich vor vielen Dingen. Aber ist das nicht töricht angesichts der Liebe Gottes, seiner väterlichen Güte, seiner brüderlichen Nähe zu uns in der Menschwerdung?
Man unterscheidet mehrere Arten von Furcht. Da ist einmal die diesseitige, irdische Furcht vor Krankheit, Naturkatastrophen, wirtschaftlichen Debakeln oder gesellschaftlichen Krisen und ihren Auswirkungen im eigenen Leben. Dahinter steht eine einseitige - vielleicht sogar ausschließliche - Hinwendung zum Irdischen, eine Verabsolutierung der Gesundheit, wirtschaftlicher Sicherheit, gesellschaftlicher Anerkennung. Man duckt sich vor allem Ungemach, ja ist, je nachdem, sogar bereit, sich von Christus oder von seiner Kirche abzuwenden, wenn die Treue spürbare, persönliche Nachteile mit sich bringen könnte.
Es gibt dann die sogenannte knechtliche Furcht, die uns zwar von der Sünde fernhält, dies aber lediglich aus Angst vor einem strafenden Gott. Zwar noch unvollkommen, ist sie dennoch ein Anfang der Furcht des Herrn. Sie kann für viele zum Beginn der Bekehrung werden und einer tieferen Liebe zu Christus.
Und schließlich gibt es jene andere Furcht, die eng mit der Liebe zusammenhängt. Die klassische Theologie nennt sie timor filialis, eine der Sohnschaft gemäße Furcht. Über sie schreibt die heilige Theresia von Avila, der Herr habe uns zwei Heilmittel gegeben, um inmitten der vielen Versuchungen und Prüfungen bestehen zu können: »Liebe und Furcht. Die Liebe wird uns antreiben, unsere Schritte zu beschleunigen; die Furcht aber wird bewirken, daß wir aufschauen, wohin wir unsere Füße setzen, um auf einem Weg nicht zu fallen, auf dem es so viele Anlässe zum Straucheln gibt. Denn Wanderer sind wir alle, solange wir hienieden leben.«1
Diese, die heilige Gottesfurcht, ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Der heilige Thomas sieht sie im Gefolge der Weisheitsgabe: »Wenn nämlich der Mensch Gott fürchtet und ihm dient, so zeigt sich damit, daß er das rechte Urteil über die göttlichen Dinge hat.«2
Diese kindliche Furcht ist Menschen eigen, die sich von ihrem Vater beschützt wissen und ihn nicht beleidigen wollen. Von ihren zwei Hauptwirkungen ist eine die unermeßliche Ehrfurcht vor der Majestät Gottes, ein tiefes Gespür für das Heilige, ein grenzenloses Gefallen an seiner väterlichen Güte. Kraft dieser Gabe erkennen heiligmäßige Menschen ihre Nichtigkeit vor Gott. Der selige Josemaría Escrivá fühlte sich als Kind Gottes in Gott geborgen, und gerade aus dieser Überzeugung konnte er sagen: »Ich tauge nichts, ich besitze nichts, ich vermag nichts, ich weiß nichts, ich bin nichts ... nichts!« Diese erste Wirkung der Geistgabe der Furcht besteht auch im Himmel fort.
Die zweite Wirkung zeigt sich im irdischen Leben: Sie besteht in der Abscheu vor der Sünde und in tiefer Reue, wenn wir einmal gesündigt haben. Im Lichte des Glaubens und der anderen Gaben erfaßt die Seele etwas von der Erhabenheit Gottes, vom unendlichen Abstand zwischen ihm und sich und von dem Abgrund, den die Sünde zwischen Mensch und Gott aufreißt. Dann erkennt sie mit instinkthafter Sicherheit, daß an der Wurzel aller sittlichen Übel die Sünde steht. Als Folge verabscheut sie selbst die kleinen Sünden und geht energisch gegen Anzeichen der Lauheit an. Und vielleicht ruft sie einmal angesichts der eigenen Gleichgültigkeit und der unbegreiflichen Größe Gottes und seiner Hinwendung zu uns im leidenden Christus erschrocken und entschlossen aus: »Ich will die Lauheit nicht! >Confige timore tuo carnes meas!< Gib mir, mein Gott, eine kindliche Furcht, die mich aufrüttelt!«3
II. »In unserer Zeit, die dem Menschen die Heils- und Sündenangst genommen und ihn so angeblich frei von Furcht gemacht hat, wuchern diese neuen Ängste und nehmen vielfach schon die Form kollektiver Psychosen an: Furcht vor der Geißel der großen Krankheiten, die den Menschen zerstören; Angst vor den Folgen unserer technischen Macht; Angst vor der Leere und der Sinnlosigkeit des Daseins. (...) All diese Ängste sind Masken der Furcht vor dem Tod, des Erschreckens vor der Endlichkeit unseres Seins. Solche Art von Furcht und Erschrecken stellt sich ein, nachdem man dem Unendlichen statt mit Liebe mit Angst begegnet war und diese Angst durch seine Leugnung glaubte abgeschüttelt zu haben. Aber die Furcht vor der Endlichkeit ist erschreckender und trostloser, als die abgeworfene Furcht vor dem Unendlichen je sein könnte, in der immer das Geheimnis des Trostes verborgen auf uns wartet.«4
Liebe und Furcht sollen unseren Weg abstecken, und zwar so, daß die Liebe die Furcht trägt - so wird sie heilig: die heilige Gottesfurcht. »Durch die eigentliche Gottesfreundschaft, die das Höchste Gut um Seiner selbst willen bejaht, wird die >knechtliche< Furcht umgeformt und hinaufgestaltet« in die >der Sohnschaft gemäße< Furcht. Sie »blickt hin auf die Schuld als Schuld« und »wächst - als wirkliches Sich-fürchten - in dem gleichen Maße, in dem die Gottesfreundschaft sich verwirklicht.«5
Es ist die Liebe dessen, der seinen Vater aus ganzer Seele liebt und sich um nichts in der Welt von ihm trennen möchte. Es ist die Liebe dessen, der begreift, wie unendlich groß der Abstand zwischen Gott und ihm ist, und wie eng er gleichzeitig mit Gott verbunden ist durch die Gotteskindschaft. Vertrauter Umgang und ehrfürchtige Anbetung wachsen dann zusammen. Und umgekehrt: Wenn die heilige Gottesfurcht abnimmt, schwindet das Gespür für die Sünde und man fällt leicht in die Lauheit, der Sinn für die Macht und Majestät Gottes und für die ihm geschuldete Anbetung schwindet.
Nicht selten pervertiert dann die Nähe zum transzendenten Gott zu einer Art Kumpelhaftigkeit. Wir ziehen so Gott zu uns herab. Aber der eigentliche Weg ist der, uns zu vergöttlichen, indem wir uns auf ihn zubewegen.
Furcht und Liebe lassen in uns die Bereitschaft wachsen, »der Sünde, sowohl im allgemeinen als auch in der konkreten Situation, zu widerstehen. Herz und Verstand müssen aufrichtig und heftig die schwere Sünde verabscheuen und auch gegenüber der vorsätzlichen läßlichen Sünde muß der Widerwille in uns tief verwurzelt sein, denn sie läßt uns zwar die göttliche Gnade nicht verlieren, erschwert aber ihren Weg zu uns.«6
Es scheint, daß heute viele Menschen den Sinn für die heilige Gottesfurcht verloren haben. Sie vergessen, wer Gott ist und wer wir sind, sie verabsolutieren die göttliche Barmherzigkeit und vergessen die göttliche Gerechtigkeit. Dagegen kann es nützlich sein, das Endziel unseres Lebens immer wieder zu betrachten und die letzten Dinge zu bedenken; dies vor dem Hintergrund, daß der Heilige Geist in unserer Seele wohnt. Von da her begreifen wir, was Johannes, der Apostel und Evangelist, uns mit dem Wort sagen will: Wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht vollendet.7
III. In seiner Enzyklika Redemptor hominis betrachtet Papst Johannes Paul II. die Ängste des heutigen Menschen: »Der Mensch von heute scheint immer wieder von dem bedroht zu sein, was er selbst produziert, das heißt vom Ergebnis der Arbeit seiner Hände und noch mehr vom Ergebnis der Arbeit seines Verstandes und seiner Willensentscheidung (...); allzu oft und nicht selten unvorhersehbar wenden sich diese Früchte, wenigstens teilweise, in einer konsequenten Folge von Wirkungen indirekt gegen den Menschen selbst. (...) Der Mensch scheint oft keine andere Bedeutung seiner natürlichen Umwelt wahrzunehmen, als allein jene, die den Zwecken eines unmittelbaren Gebrauchs und Verbrauchs dient.(...) Diese Fragen müssen sich die Christen stellen, eben weil Jesus Christus sie so umfassend für das Problem des Menschen empfänglich gemacht hat.(...) Die Kirche, die aus einem eschatologischen Glauben lebt, betrachtet diese Besorgnis des Menschen um seine Menschlichkeit, um die Zukunft der Menschen auf Erden und damit auch um die Richtung von Entwicklung und Fortschritt als ein wesentliches Element ihrer Sendung.«8
Es gibt also Ängste, die gerechtfertigt sind. Und doch ruft der Papst: »Brüder und Schwestern! Habt keine Angst, Christus aufzunehmen und seine Herrschergewalt anzuerkennen! (...) Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!«9
Nur der Blick auf Christus schärft das Gespür für die Würde des Menschen und für seine Aufgabe, Herr und Hüter, nicht Ausbeuter und skrupelloser Zerstörer der Natur zu sein.10 Die Sünde ist der Nährboden aller beängstigenden Entwicklungen. Alle Ängste wurzeln in ihr, im Verlust oder Nachlassen der Gottesfurcht, der Ehrfurcht vor dem Schöpfer und seinem Werk. Das aber heißt: die einzig wirkliche Furcht des Menschen sollte Furcht vor der Sünde, Angst davor sein, die Versöhnung mit Gott nicht ernst genug zu nehmen.
»Wer Gott liebt, weiß, daß es nur eine wirkliche Bedrohung für den Menschen gibt, die Gefahr, Gott zu verlieren.«11
Wir erfahren so, was es heißt, in Gott, unserem Vater und Schöpfer, geborgen zu sein, in der Gotteskindschaft zu ruhen. Es macht uns stark und mutig: Weder unerwartete Hindernisse noch voraussehbare Anfechtungen eines verweltlichten Milieus, noch eine ungewisse Zukunft bringen uns aus dem Gleichgewicht, wenn wir im Herzen die heilige Gottesfurcht hegen, die uns - zusammen mit der Liebe - Gott nahe sein läßt.
Starkmut und Gottesfurcht: Der Herr nuanciert das Fürchtet euch nicht mit einem Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele ins Verderben stürzen kann12. Im Gefolge der Gottesfurcht steht das Bemühen um eine Loslösung von den irdischen Dingen und, daraus hervorgehend, die wachsame Sorge, die Gelegenheit zur Sünde zu meiden. Beleidigt nicht den Heiligen Geist Gottes13, schreibt der heilige Paulus.
Die Gabe der Furcht findet in der Demut einen guten Nährboden, denn sie hält in uns das Bewußtsein unserer Gefährdung wach und unterstellt den Willen treu und liebend Gott. Der Hochmut dagegen mißachtet die Gottesfurcht.
Außer mit der Demut ist die Gabe der Gottesfurcht mit den Tugenden von Zucht und Maß verwandt, denn die häufigste Ursache für die Sünde liegt gerade im ungeordneten Streben nach dem, was uns die Sinne diktieren. Die Gabe der Gottesfurcht läutert das Herz und richtet es ganz auf Gott aus.
Die Gottesfurcht ist die Gabe, die uns in ganz besonderem Maße für den Kampf gegen die Sünde rüstet. Sie bündelt die Einsichten aller anderen Gaben: Das Licht der Gaben von Weisheit und Verstand, das der Seele die Größe Gottes und die wahre Bedeutung der Sünde zeigt; die Anregungen der Gabe des Rates, die den Weg zur Befolgung der Pläne Gottes ebnen; die Kraft der Gabe des Starkmutes, die uns im Kampf gegen das Böse wachhält.
Bitten wir den Heiligen Geist um die Liebe und um die heilige Furcht Gottes. Sie sind - mit Worten der heiligen Theresia von Avila - »zwei feste Burgen, von denen aus man die Welt und die bösen Geister bekämpft.«14
1 Theresia von Avila, Weg der Vollkommenheit, 40,1. - 2 Thomas von Aquin, Summa Theologica, II-II,45,1,ad3. - 3 J.Escrivá, Der Weg, Nr.326. - 4 J.Kard.Ratzinger, Auf Christus schauen, Freiburg 1989, S.84-85. - 5 J.Pieper, Über die Hoffnung, Leipzig 1935, S.87-88. - 6 J.Escrivá, Freunde Gottes, 243. - 7 1 Joh 4,18. - 8 Johannes Paul II., Enz. Redemptor hominis, 4.3.1979, 15. - 9 Johannes Paul II., Homilie bei der Übernahme des obersten Hirtenamtes, 22.10.1978. - 10 vgl. ebd. - 11 J.Kard.Ratzinger, a.a.O., S.85. - 12 Mt 10,28. - 13 Eph 4,30. - 14 Theresia von Avila, a.a.O., 40,2.
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