1. September – Der heilige Ägidius
Ägidius heißt auf französisch Gilles. Die Franzosen sagen aber nicht Gilles, sondern Schill. Als es einmal in Köln am Rhein eine Zeit gab, da es zum vornehmen Ton gehörte, französisch zu sprechen, den Kölnern die feine französische Aussprache trotz aller Mühe aber nicht recht gelang, da wurde aus dem Schill ein Schääl.
Über zwölfhundert Jahre ist es her, da ritt einmal, wie die Legende erzählt, der Gotenkönig Wamba auf die Jagd. Es war in einem großen Wald in Südfrankreich . Plötzlich sichtete der königliche Jäger einen prachtvollen Hirsch. Sofort hetzte er mit seiner kläffenden Meute über Berg und Tal hinter dem Tier her, bis sich der Hirsch vor einer Felsenhöhle niederwarf. Da sirrte im gleichen Augenblick des Königs Pfeil klingend durch die Luft.
Als sich dann Wamba der Höhle näherte, zeigte sich für ihn ein unerwartetes Bild. Da lag der Hirsch zitternd und schutzsuchend zu Füßen eines alten Mannes mit wallendem weißen Bart. Von dem Pfeil war das Tier nicht getroffen, sondern der alte Mann. Bei diesem Anblick erschrak der König. Während der Hirsch ins Dickicht flüchtete, untersuchte der unglückliche Schütze die Wunde, die er verursacht hatte. Gottlob, dass es nur eine Fleischwunde von geringfügiger Art war.
Darüber kamen die beiden, der König und der Einsiedler, denn ein solcher war der alte Mann, ins Gespräch. Bald stellte der König staunend fest, dass der andere ein gebildeter und tiefsinniger Mann war. Kurz entschlossen bat Wamba den alten Mann, die Einsiedelei aufzugeben und ihm als Ratgeber auf sein Schloss zu folgen. Doch er schüttelte verneinend den Kopf, schaute den König an und sagte ihm folgende schwerwiegende Worte:
„König Wamba! Wenn du wünschst, dass ich dir diene, so nimm von mir diesen Rat: Geh hin und bekenne die Sünde, die du bisher im Beichtstuhl verschwiegen hast, dann wird dein Herz endlich jene Ruhe finden, die du schon lange vergeblich suchst.“
Da erschrak der König zum zweitenmal an diesem Tag. So hatte noch keiner in seiner Seele gelesen. Tief beschämt verneigte er sich vor dem, der ihm die Wahrheit ins Gesicht geworfen hatte, entfernte sich schweigend, tat wie ihm gesagt und fand die Ruhe des Herzens zurück. Dieser Einsiedler aber war der heilige Ägidius.
In einem fremden Land war der heilige Ägidius in Frankreich, denn in Griechenlands vornehmer Hauptstadt Athen war er geboren. Ein liebes Herz besaß er schon als Junge, denn als er einmal ohne Mantel heimkam und man ihn nach dem Kleidungsstück fragte, sagte er so nebenbei, als sei es die natürlichste Sache der Welt, er habe den Mantel einem Armen geschenkt, der ihn auf der Straße um ein Almosen in Christi Namen angesprochen habe.
Nach dem frühen Tod seiner Eltern verteilte er sein nicht geringes Erbe unter die Armen. Weil er den Ruhm und die Ehre scheute, die ihm wegen seiner guten Taten überall hin folgten, verließ er heimlich die Heimat und begab sich nach Frankreich. Dort wollte er als unbekannter Einsiedler ein heiliges Leben führen.
Nach dem Zusammentreffen mit dem König Wamba änderte sich für Ägidius allerdings die Lage. Viele Jünger sammelten sich um ihn und ein Kloster entstand, das der Heilige als Abt bis an sein Lebensende im Jahr 725 leitete. Nach seinem Tod wuchs um das Kloster herum eine Stadt, und seine Grabstätte gehörte viele Jahrhunderte hindurch zu den besuchtesten Wallfahrtsorten der Christenheit.
Der heilige Ägidius war „Gottes und der Menschen Liebling, und sein Andenken ist gesegnet“. Zwei alte deutsche Städte, Nürnberg und Osnabrück, verehren ihn als Schutzherrn. Auch ist er, der wegen seiner vielseitigen Hilfe zu den Vierzehn Heiligen Nothelfern gehört, der Patron der Hirten, der Viehhändler und Bettler. Gegen Krebs, Aussatz und Pest wird er angerufen, ebenso in Gewissensängsten. Ganz besonders soll man sich an ihn wenden um die Gnade einer guten heiligen Beichte dann, wenn man versucht ist, eine Sünde, die gebeichtet werden muss, aus falscher Scham zu verschweigen.
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