21. November – Die heilige Isidora, 4. Jahrhundert
Wenn man im Sommer über Feld und Flur geht, so sieht man unter allen Gewächsen keine, die eine so unscheinbare und geringe Blüte haben wie das Getreide und der Weinstock. Aber keine Pflanze in der Welt ist für die Menschheit kostbarer, als gerade diese zwei, denn aus ihnen kommt Brot und Wein, sie verwandeln sich im Menschen zu Fleisch und Blut, und verwandeln sich auf dem Altar in den lebendigen Leib Jesu Christi. Dass nun der Schöpfer gerade den Pflanzen, die das Kostbarste erzeugen, die kleinste, schier farblose Blüte gegeben hat, wird gewiss seine Bedeutung haben. Diese arme Blüte bedeutet die Demut und bedeutet, dass, wo etwas Kostbares und Herrliches wird, es jedes Mal in Demut anfängt und erscheint.
In Ägypten gibt es eine Gegend, die Thebais heißt. Dort waren in den ersten Jahrhunderten des Christentums eine Menge Klöster und Einsiedler, die ein gottseliges Leben führten. Auch ein Kloster für Frauen befand sich dort, in dem mehr als dreihundert Frauen beisammen wohnten, um Gott zu dienen. Unter diesen lebte eine Frau, namens Isidora, oder wie sie von anderen genannt wird, Amma. Es scheint nun, dass in diesem Kloster mit all seinen Frömmigkeitsübungen eben doch nicht bei allen der wahre, christliche Geist durchgedrungen war. Isidora wurde nämlich hier so verächtlich behandelt, dass die anderen Klosterfrauen nicht einmal mit ihr essen wollten, man hielt sie für halb blödsinnig, für ein ungeschicktes Geschöpf, an dem jeder seine üble Laune auslassen zu dürfen glaubte. Isidora blieb allezeit in der Küche. Sie begnügte sich zu ihrer Nahrung mit dem, was noch in dem Geschirr übrig geblieben war, das sie nach dem Essen der übrigen in der Küche ausspülte. Statt des Schleiers, wie ihn die übrigen Nonnen trugen, hatte Isidora nur einige alte Tuchfetzen um den Kopf gewickelt.
Bei aller verächtlichen Begegnung von anderen hörte man aber die gute Jungfrau niemals murren oder klagen, viel weniger aber hat sie je eine andere im geringsten beleidigt. Allein obschon sie still und geduldig jedem zu Diensten war, wurde sie dennoch oft hart behandelt. Manche Klosterfrauen schimpften sie eine dumme Person, eine Närrin und gaben ihr zuweilen sogar Stöße und Schläge, ja, manche sagten ihr den größten Schimpf ins Gesicht, sie sei vom Teufel besessen.
Zu derselben Zeit lebte nicht sehr weit von dem Kloster ein Einsiedler, mit Namen Pyoter. Der war überaus fromm und berühmt wegen seiner Heiligkeit. Es ist aber der Hochmut eine Sünde, der selbst solche Menschen oft schwer versucht und in große Gefahr bringt, die sonst mit allen anderen Sünden fertig sind, d.h. nicht mehr davon angefochten werden. So scheint auch dieser Einsiedler durch das große Ansehen, das im sein heiliger Wandel bei den Leuten erworben hatte, verleitet worden zu sein, bisweilen mit Wohlgefallen seine eigene Tugendhaftigkeit zu betrachten. Gott aber wollte seinen sonst treuen Diener nicht in der Gefahr zugrunde gehen lassen. Dem Einsiedler wurde deshalb eine Offenbarung zuteil, in der ihm gesagt wurde: „Warum bildest du dir etwas ein? Gehe in das Frauenkloster, dort wirst du eine Jungfrau finden, die ihren Kopf mit schlechten Tüchern eingebunden hat; diese ist besser als du. Denn obwohl sie fortwährend von vielen beschimpft und verhöhnt wird, so hat sie doch ihr Herz niemals von Gott abgewandt; du aber sitzt da in deiner Hütte still und kommst nirgends hin, durchstreichst aber mit Gedanken und Gemüt alle Städte und Länder.“
Pyoter machte sich alsbald auf den Weg und ersuchte die Vorsteher des Klosters um die Erlaubnis, hineingehen zu dürfen. Obwohl es nicht üblich war, dass Männer ein Frauenkloster betraten, wurde dennoch das Begehren des Einsiedlers bewilligt, nicht nur, weil er ein alter Mann war, sondern auch weil man ihm wegen seiner bekannten Heiligkeit großes Vertrauen schenkte. Als Pyoter in das Frauenkloster eingeführt war, begehrte er, dass ihm alle Schwestern des Klosters vorgeführt und gezeigt würden. Das geschah; er schaute sich um, fand aber unter den versammelten Frauen keine einzige, die so aussah, wie sie ihm die Offenbarung bezeichnet hatte. Schließlich sprach er: „Lasst mir sämtliche Schwestern herbeikommen, denn meines Erachtens sind nicht alle gegenwärtig.“ – Sie aber gaben ihm zur Antwort: „Wir haben nicht mehr als noch eine einzige Schwester, die jederzeit in der Küche sich aufhält, die ist aber nicht recht bei Verstand.“ – Der heilige Pyoter erwiderte: „Führt mir auch diese her, damit ich sie ebenfalls sehe.“ – Diesem Befehl nachzukommen, wurde Isidora aus der Küche hereingerufen. Sie wollte aber nicht gehen, wahrscheinlich aus Schüchternheit; da sprachen die Schwestern: „Komme nur herein, denn der Gottesmann Pyoter begehrt dich zu sehen.“
Als sie nun dem berühmten Einsiedler vorgeführt wurde und er die schlechten Tücher um ihren Kopf sah, warf er sich ihr zu Füßen und sprach: „Ich bitte, gib mir den Segen.“ – Die Jungfrau war über dieses Benehmen erschrocken und warf sich selbst auf die Erde nieder und sprach: „Vielmehr, Herr, gib du mir den Segen.“ – Hierüber verwunderten sich alle Schwestern und sagten: „Heiliger Vater, tue dir doch selbst keine solche Schmach an, denn diese Person ist ganz töricht.“ Pyoter versetzte hingegen: „Ihr vielmehr seid nicht gescheit, meine Schwestern, diese ist meine und eure Meisterin und ich bitte Gott, ihr am Tage des Gerichtes in den Verdiensten gleich befunden zu werden.“
Als die geistlichen Jungfrauen das aus dem Mund eines Mannes, der wegen seiner Heiligkeit so berühmt war, vernommen hatten, waren sie überaus erstaunt, besonders die, die mit der demütigen Jungfrau bisher so übel umgegangen waren. Auf einmal hatte sich, wie man im Sprichwort sagt, das Blatt gewendet. Isidora, die erst noch allgemein verachtete Klosterschwester, wurde jetzt von den anderen Nonnen mit den größten Ehrenbezeugungen behandelt. Die sie vorher für eine verächtliche Kreatur angesehen hatten, lagen jetzt vor ihren Füßen und baten sie um Verzeihung wegen der ihr zugefügten Schmach und Beleidigungen. Ja, die Bußfertigkeit und Reue war so groß, dass sie öffentlich bekannten, was sie gegen Isidora gesündigt hätten. Die eine sagte, dass sie die gottselige Jungfrau mit Spülwasser übergossen habe, die andere bekannte, wie sie ihr öfters Backenstreiche gegeben habe, die dritte beweinte herzlich, dass sie dieser unschuldigen Tochter manchmal aus Mutwillen scharfen Senf in die Nase gesteckt habe, andere bekannten offenherzig andere Arten von Quälereien und Lieblosigkeiten, die sie ihr zugefügt hatten.
Endlich, nachdem der heilige Pyoter sein Gebet für alle diese Klosterjungfrauen verrichtet hatte, ging er wieder fort, seiner Zelle zu, bereichert mit einem neuen Schatz der himmlischen Weisheit, die er von einer um Christi willen törichten Jungfrau erlernt und gewonnen hat. Allein bei dieser Sache war niemanden übler zu Mute, als der heiligen Isidora selbst. Sie war des Ruhmes und der Ehre, die ihr in dem Kloster jetzt angetan wurde, nicht gewohnt. In ihrer Demut konnte sie die vielfältigen Entschuldigungen, das immerwährende „um Verzeihung bitten“ nicht ertragen. Damals aber waren die Klostersatzungen anders als jetzt, und es war nicht verboten, wozu Isidora sich nun entschloss. Damit sie nämlich ruhig in verborgener Demut und Vergessenheit leben könnte und ihre Tugend bei den vielen Ehrerweisungen nicht in Gefahr komme, hat sie sich heimlich davongemacht. Wo sie aber hingekommen ist, oder wie sie später gestorben ist, hat bis jetzt kein Mensch erfahren.
Wenn du für einfältig oder dumm von anderen gehalten wirst und darum manchmal Spottreden und verächtliche Begegnungen erleiden musst, so sei nicht betrübt darüber, viel weniger lasse Zorn und Gehässigkeit im Herzen aufkommen. Gerade, wenn du von der Welt so recht gering geachtet wirst und dabei fromm und brav lebst, giltst du desto mehr bei Gott. Denke nur zuweilen an die heilige Isidora und sei auch so still und willig und gut, wenn dich andere hochmütig behandeln. Wer aber mit Geistigbehinderten, Taubstummen, Körperbehinderten oder sonst von der Natur geringer ausgestatteten Menschen zu tun hat, der möge sie ja nicht geringschätzen. Vielleicht ist manches unter diesen scheinbar einfältigen Menschen, das mehr wert vor Gott ist wegen seiner Unschuld, Demut und Gutmütigkeit, als alle wir vermeintlich gescheiten und vornehmeren Leute. Vergiss ja die geringe Blüte des Getreides und der Rebe nicht. Die schöne blühende Rose gibt eine armselige Hagebutte als Frucht und die prächtig blühende Tulpe gibt gar keine Frucht.
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