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  • 17.04.2014 13:38 - Der Vatikan und Vassula
von Hildegard Maria in Kategorie Allgemein.

Der Vatikan und Vassula – neue Nuancen in der Bewertung des Privatoffenbarungswerkes „Das wahre Leben in Gott“

Immer wieder sieht sich die römisch-katholische Kirche veranlasst, zu so genannten „Privatoffenbarungen“ Stellung zu nehmen, die einen nicht unerheblichen Teil der Gläubigen anzusprechen scheinen. Im Gegensatz zu den protestantischen Kirchen gesteht der Katholizismus zu, dass sich Gott, Jesus oder Maria auch heute noch auf direktem Wege, d.h. in Form von schriftlichen oder mündlichen Kundgaben mitteilen können. Der Begriff „Privatoffenbarung“ weist jedoch schon darauf hin, dass die römisch-katholische Kirche den Inhalt solcher Offenbarungen nicht als allgemein verbindliches Glaubensgut betrachtet, und dies gilt selbst für kirchlich anerkannte Botschaften wie jene von Fatima und Lourdes. Ohnehin ist die Kirche mit der Anerkennung von „Privatoffenbarungen“ sehr zurückhaltend, wenn nicht sogar tendenziell eher ablehnend.
Zu den schon seit einiger Zeit besonders populären Privatoffenbarungsmedien gehört die Griechin Vassula Ryden (*1942). Nach einem laut eigenen Angaben „mondänen" Leben als professionelle Tennisspielerin erfuhr die Ehefrau und Mutter zweier Söhne 1985 durch einen Engel namens Daniel ihr Bekehrungserlebnis, das sie von nun an Gottes Stimme hören und das Gehörte niederschreiben ließ. Diese Kundgaben werden unter dem Titel „Das wahre Leben in Gott" veröffentlicht und sind mittlerweile in 40 Sprachen übersetzt worden.
Der grosse Anklang, den die Kundgaben Frau Rydens auch und vor allem unter Katholiken finden, führte dazu, dass sich auch die vatikanische Glaubenskongregation mit ihnen befasste. In einer so genannten „Notifikation“ kam sie im Oktober 1995 zu dem Schluss, dass die Botschaften Vassula Rydens „im Licht der katholischen Lehre als negativ betrachtet werden müssen. Abgesehen davon, dass der verdächtige Charakter der Art und Weise, mit der diese angeblichen Offenbarungen geschehen, im Auge zu halten ist, ist es geboten, auch einige in ihnen enthaltene doktrinäre Irrtümer hervorzuheben. Unter anderem wird in zweideutiger Ausdrucksweise von den Personen der Heiligsten Dreifaltigkeit gesprochen. Das geht so weit, dass die kennzeichnenden Namen und Funktionen der göttlichen Personen verwechselt werden. In diesen angeblichen Offenbarungen wird eine drohende Periode der Vorherrschaft des Antichristen innerhalb der Kirche angekündigt. In chiliastischer Weise wird ein entscheidendes und glorreiches Eingreifen Gottes prophezeit, der im Begriff sei, auf Erden noch vor der endgültigen Ankunft Christi ein Zeitalter des Friedens und des allgemeinen Wohlergehens zu errichten. Im Übrigen wird in nächster Zukunft eine Kirche erwartet, die eine Art pan-christlicher Gemeinschaft wäre im Gegensatz zur katholischen Lehre. Die Tatsache, dass in den späteren Schriften der Ryden die oben genannten Irrtümer nicht mehr erscheinen, ist ein Zeichen dafür, dass es sich bei den angeblichen ´himmlischen Botschaften´ nur um die Frucht privater Meditationen handelt.
Im Übrigen ruft Frau Ryden, die gewöhnlich an den Sakramenten der katholischen Kirche teilnimmt, obschon sie griechisch-orthodox ist, mancherorts in katholischer Umgebung nicht wenig Verwunderung hervor. Sie scheint sich über jede kirchliche Jurisdiktion und jede kirchenrechtliche Regelung zu stellen und verursacht faktisch eine ökumenische Unordnung, die bei nicht wenigen Autoritäten, Geistlichen und Gläubigen ihrer eigenen Kirche Missfallen hervorruft, da sie sich außerhalb der Disziplin dieser Kirche stellt. In Anbetracht dessen, dass, trotz einiger positiver Aspekte, die Aktivitäten von Vassula Ryden sich negativ auswirken, ersucht diese Kongregation, dass die Bischöfe einschreiten, ihre Gläubigen angemessen informieren und in ihren Diözesen keine Ausbreitung der Ryden´schen Ideen gestatten. Sie fordert schließlich alle Gläubigen auf, die Schriften und die Interventionen von Frau Vassula Ryden nicht als übernatürlich zu betrachten und den Glauben, den der Herr der Kirche anvertraut hat, rein zu bewahren.“ (1)
Da sich Vassula Ryden und ihre Anhänger immer als besonders kirchentreu eingestuft haben, war die Enttäuschung über das harsche Urteil aus Rom verständlicherweise sehr gross, und Frau Ryden zeigte sich konsequenterweise nicht bereit, die Angelegenheit damit einfach auf sich zu beruhen zu lassen. Im Juli 2000 wandte sie sich an Kardinal Ratzinger und erreichte, dass sich die Glaubenskongregation nochmals mit ihren Offenbarungen beschäftigte und deshalb Frau Ryden im April 2002 aufforderte, zu den strittigen Punkten klärend Stellung zu nehmen. Der Vatikan bat insbesondere um Ausführungen zum Charakter ihrer Offenbarungen, ihrer Sicht des Papsttums und der christlichen Einheit, den Aussagen zur Trinität, Protologie und Eschatologie sowie zu den organisatorischen Strukturen ihrer Anhängerschaft. (2) Vassula Ryden antwortete in einem sehr ausführlichen Schreiben zwei Monate später (26. Juni 2002). Es ist insofern sehr aufschlussreich, als es nicht nur Einblicke in den Offenbarungsvorgang als solchen und die Aktivitäten der Bewegung „Wahres Leben in Gott“ gewährt, sondern ganz offensichtlich unter Mitwirkung eines oder mehrerer versierter katholischer Theologen abgefasst wurde.
Auf die Frage nach dem Charakter ihrer Kundgaben, antwortete Frau Ryden ganz im Sinne des römisch-katholischen Privatoffenbarungsverständnisses, dass sie nichts neues, über die Bibel Hinausgehendes verkünde: „Ich erwarte nicht von den Lesern vom WLIG [Wahren Leben in Gott], dass sie die Botschaften für wichtiger halten als die Heilige Schrift (…).“ Ihr Werk füge „dem Glaubensgut nichts hinzu.“ Sie empfange „diese Mitteilungen (…) auf zwei Arten. (…) 1. Durch das Aufkommen innerer Worte, d.h. Einsprechungen. Die Worte, die ich vernehme, sind wesenhaft und viel deutlicher, als wenn ich sie über die Ohren hören würde“, 2. „durch ein Licht des Verständnisses in meinem Verstand, ohne irgendein gesprochenes Wort. Es ist, wie wenn Gott Seinen Gedanken in meinen überträgt. (…) Später wurde mir hier in Rom gesagt, dass die heilige Birgitta von Schweden ihre Botschaften auf ähnliche Weise niederschrieb.“
Auf die Frage nach ihrer Stellung zum Papsttum antwortete sie: „Mein Ruf ist es, die Bedeutung des Papstes zu bekräftigen und seinen Stuhl gegen all jene zu verteidigen, die dazu neigen, ihm nicht zu gehorchen und sich gegen ihn aufzulehnen, und zugleich soll ich die Errichtung und Stärkung der inneren Struktur der Einheit anregen. (…) Die Mehrheit von uns ist dieser Trennung [in verschiedene Konfessionen] überdrüssig, weil sie nicht dem Gesetz der Liebe unseres Herrn entspricht.“ Sie selbst sei zwar griechisch-orthodox und „ihrer Kirche voll verpflichtet“, dennoch sehe sie sich als berechtigt an, die römisch-katholische Eucharistie zu empfangen, wie dies durch das Dekret „Orientalium Ecclesiarum“ des Zweiten Vatikanischen Konzils ermöglicht werde.
Zu ihrem Trinitätsverständnis führte Frau Ryden aus: „Von Anfang an habe ich nie den Vater, den Sohn und den heiligen Geist miteinander vermischt. (…) Wenn ich Jesus an einer Stelle ´Vater´ nannte, dann aufgrund der väterlichen Art, in der Er zu mir sprach. (…) Manchmal ist es Gott Vater, der spricht, und jedem Leser, der die Heilige Schrift kennt, ist klar, dass es tatsächlich der Vater ist, der spricht, da Er Worte gebraucht wie ´Mein Sohn Jesus´ usw. Dann kann es vorkommen, dass mich später am gleichen Tag Christus ruft, die Botschaft fortzusetzen, und Er spricht.“ Was die Protologie betrifft, grenzt sich Vassula Ryden scharf von der Reinkarnation und dem New Age-Gedanken ab, die Jesus in einer Kundgabe an sie als „Lehren Satans“ bezeichnet habe. Und wenn in den Kundgaben Ausdrücke wie „Neuer Himmel“, „Neue Erde“ oder „Zweites Pfingsten“ fielen, so seien diese nicht eschatologisch, sondern „metaphorisch zu verstehen“.
Zum Schluss kommt Frau Ryden auf die Organisierung ihrer Anhänger zu sprechen: „Das Wahre Leben in Gott ist keine Bewegung, noch hat es eine Geschäftsstelle.“ Es gebe in mittlerweile 60 Ländern Gebetsgruppen, außerdem existieren in mehreren Staaten unter dem Namen „Beth Myriam“ auf Spendenbasis finanzierte Einrichtungen für Bedürftige wie etwa Waisenhäuser. „Wenn es in manchen Ländern Vereine vom ´Wahren Leben in Gott´ gibt, dann lediglich aufgrund rechtlicher Umstände im Zusammenhang mit der Förderung der Evangelisation und dem Druck der Bücher. (…) Doch ich dachte nie daran, eine Bewegung zu gründen.“
Offenbar gelang es Frau Ryden, mit ihrer theologisch sehr fundierten Stellungnahme die Verantwortlichen im Vatikan dazu zu bewegen, von ihrer ablehnenden Haltung abzurücken; jedenfalls versandte Kardinal Ratzinger am 10. Juli 2004 an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen von Frankreich, der Schweiz, Uruguay, den Philippinen und Kanada ein Schreiben, in dem Vassula Rydens Erläuterungen als „hilfreiche Darstellungen“ bezeichnet wurden. Hatte die Notifikation von 1995 die Bischöfe noch dazu aufgefordert, gegen die Aktivitäten der Anhänger des „Wahren Lebens in Gott“ Stellung zu beziehen und einzuschreiten, hieß es nun: „Was die Teilnahme an den von Frau Ryden organisierten ökumenischen Gebetsgruppen betrifft, so sollten die katholischen Gläubigen dazu angehalten werden, den Anordnungen der Diözesanbischöfe Folge zu leisten“ – wobei nicht näher ausgeführt wurde, wie diese Anordnungen auszusehen haben, es also offenbar nun den Bischöfen freigestellt ist, welche Position sie Vassula Ryden gegenüber beziehen.
Es versteht sich von selbst, dass der Kurswechsel des Vatikans propagandistische Verwertung findet, und dies nicht nur seitens klerikaler Vassula Ryden-Anhänger, unter denen sich auch hochrangige Würdenträger wie der philippinische Erzbischof Ramon C. Arguelles befinden. Offenbar trifft Frau Ryden, der von eher liberaler Seite vorgeworfen werde, sie sei „katholischer als die Katholiken“ mit ihren kirchenpolitisch wie theologisch absolut „romtreuen“ Aussagen auch auf den Führungsebenen der römisch-katholischen Kirche zunehmend auf Interesse und Zustimmung. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie trotz der wohlwollenderen Haltung der Glaubenskongregation natürlich nach wie vor sehr weit von einer kirchlichen Anerkennung der Kundgaben entfernt ist, die ohnehin erst nach Frau Rydens Tod bzw. einem Ende ihrer Privatoffenbarungen erfolgen könnte. Insofern ist auch die neue Tonlage alles andere als eine Einverständniserklärung des Vatikans, auch wenn sie von den Anhängern des „Wahren Lebens in Gott“ zukünftig sicher als eine solche dargestellt werden dürfte.

(1) Text der Notifikation in L’Osservatore Romano (deutsche Ausgabe), 44/1995.
(2) Siehe dazu die Dokumentsammlung „Wahres Leben in Gott – Klärungen mit der Kongregation der Glaubenslehre“, o.O. 2004. Von dort auch alle weiteren Zitate.

Christian Ruch

Quelle: Infosekten, 21.09.2005



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