23. JANUAR 2020
Kardinal Müller: „Papst Franziskus sollte Benedikt XVI. statt des Atheisten Scalfari zum Berater machen“[u]
„VOLKSFRONT“ ZWISCHEN ÄUSSEREN KIRCHENGEGNERN UND INNEREN SÄKULARISTE 22. Januar 2020
Kardinal Müller: „Die zölibatäre Lebensweise Jesu Christi entspricht innigste dem sakramentalen Priestertum“.
Kardinal Müller: „Die zölibatäre Lebensweise Jesu Christi entspricht innigste dem sakramentalen Priestertum“.
(Rom) Kardinal Gerhard Müller, der ehemalige Präfekt der römischen Glaubenskongregation, veröffentlichte heute eine Lectio magistralis zur Verteidigung des priesterlichen Zölibats und des sakramentalen Priestertums. Darin bezeichnet er den Zölibat als „Bastion des Transzendenten“, die zerstört werden soll und erhebt wortgewaltige Anklage gegen „äußere und innere Kräfte“, die eine menschengemachte Welteinheitsreligion ohne Gott anstreben. Der Wortlaut der Lectio, die heute von Kardinal Müller bei La Nuova Bussola Quotidiana veröffentlicht wurde.
Der Zölibat, die letzte transzendente Bastion, die man einreißen will Von Gerhard Kardinal Müller*
Der Versuch der Medien wegen der Mitarbeit von Benedikt XVI. am Buch von Kardinal Sarah „Aus den Tiefen unserer Herzen“ Verwirrung zu stiften, ist nichts anderes als ein Zeichen der sich in der Öffentlichkeit ausbreitenden Paranoia wegen der angeblichen Koexistenz zweier Päpste. Angeblich, denn in der katholischen Kirche kann es nur einen Papst geben, da „der Bischof von Rom als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen ist“ (Lumen gentium, 23).
Im Beitrag von Benedikt XVI. zum Buch von Kardinal Sarah wollte man eine neue Bestätigung für diese Störung der Wahrnehmung der zwei gegensätzlichen Grundsätze für die Einheit finden. Ebenso offensichtlich ist, dass Papst Franziskus und sein Vorgänger Benedikt XVI. nicht die Urheber dieser krankhaften Polarisierung sind, sondern vielmehr die Opfer einer ideologischen Projektion.
„Benedikt XVI. ist kein Pensionist“ Letztere stellt eine Gefahr für die Einheit der Kirche dar und untergräbt zugleich auch den Primat der römischen Kirche. Alle diese Fakten zeigen nur, dass das psychische Trauma, das durch den Rücktritt von Papst Benedikt Anfang 2013 ausgelöst wurde, im „Glaubenssinn des Gottesvolkes“ (LG 12; 35) noch nicht verheilt ist. Die Gläubigen haben jedoch ein Recht auf ein klares theologisches Urteil über die Koexistenz eines regierenden Papstes und seines nun emeritierten Vorgängers. Dieser außergewöhnliche Vorgang, dass der Papst, Oberhaupt des Bischofskollegiums und der sichtbaren Kirche, deren unsichtbares Oberhaupt Christus selbst ist, vor seinem Tod die Cathedra Petri verlässt, die ihm auf Lebenszeit verliehen wurde, kann niemals nach weltlichen Kriterien verstanden werden im Sinne etwa eines altersbedingten Rechts auf Pensionierung oder im Sinne des populären Wunsches, die Person des eigenen Chefs auszuwechseln. Wenn es auch stimmt, dass das Kirchenrecht diese Möglichkeit abstrakt vorsieht (Can. 332 §2 CIC), fehlen doch bis heute sowohl detaillierte Bestimmungen als auch konkrete Erfahrungen, um den Status dieser Figur zu beschreiben und mehr noch, wie diese in der Praxis zum Wohl der Kirche verwirklicht werden kann.
In der Welt der Politik sind Antagonisten im Machtkampf üblich. Sobald der Gegner erst einmal überwunden ist, laufen die Dinge weiter, als sei nichts gewesen. So sollte es aber unter den Jüngern Christi nicht sein, weil in der Kirche Gottes alle Brüder sind. Gott allein ist unser Vater. Und nur Sein Sohn Jesus Christus, das menschgewordene Wort (Joh 1,14–18), ist der Meister aller Menschen (Mt 23,10). Bischöfe und Priester sind aufgrund der sakramentalen Weih Diener der Kirche, die vom Heiligen Geist auserwählt werden (Apg 20,28). Sie leiten die Kirche Gottes im Namen und in der Autorität Christi, und Er spricht durch ihren Mund in seiner Eigenschaft als Göttlicher Lehrmeister der Verkündigung (1 Thess 2,13) Er heiligt die Gläubigen in den Sakramenten durch sie. Und Christus ist schließlich der „Wächter und Hirte eurer Seelen“ (1 Petr 2,25), er sorgt sich um das Seelenheil der Menschen, indem er Priester (Bischöfe oder Presbyter) in Seine Kirche beruft, damit sie ihre Hirten sind (1 Petr 5,2f; Apt 20,28). Der Bischof von Rom übt das Amt des Heiligen Petrus aus, der von Jesus, dem Herrn der Kirche, zur Aufgabe des universalen Hirten berufen wurde (Joh 21,15–17). Aber auch die Bischöfe sind Brüder untereinander, obwohl sie als Mitglieder des Bischofskollegiums mit und unter der Autorität des Papstes vereint sind (LG, 23).
Ein noch lebender „Ex“-Papst ist brüderlich mit allen Bischöfen verbunden und untersteht der Lehrautorität und der Jurisdiktion des regierenden Papstes. Das schließt keineswegs aus, dass sein Wort noch großes Gewicht in der Kirche hat aufgrund seiner theologischen und geistlichen Kompetenz wie auch aufgrund seiner Regierungserfahrung sowohl als Bischofs wie auch als Papst.
Das Verhältnis eines jeden emeritierten Bischofs zu seinem Nachfolger muss durch einen Geist der Brüderlichkeit geprägt sein. Ein Wunsch nach weltlichem Prestige und politischen Machtspielen ist ein Gift im Körper der Kirche, dem Leib Christi. Das gilt a fortiori mehr noch für das noch heiklere Verhältnis des amtierenden Papstes zu seinem Vorgänger, der auf die Ausübung des Petrusamtes und auf alle Vorrechte des päpstlichen Primats verzichtet hat, weshalb er mit Sicherheit nicht mehr der Papst ist.
„Die gemeinsame Front der inneren und äußeren Feinde der Kirche“ Was vor allem überrascht, ist, dass jene Kirchenfeinde, die aus den Reihen des altliberalen und marxistischen Neuheidentums stammen, gemeinsame Sache mit dem kircheninternen Säkularismus machen, der vom Wunsch getrieben ist, die Kirche Gottes in eine weltweit aktive, humanitäre Organisation umzuwandeln.
Der militante Atheist Eugenio Scalfari brüstet sich damit, der Freund von Papst Franziskus zu sein. Vereint durch die gemeinsame Idee einer einzigen, planetarischen Religion menschlichen Ursprungs (ohne Dreifaltigkeit und ohne Inkarnation) bietet er ihm seine Zusammenarbeit an. Die Idee einer Volksfront von Gläubigen und Nicht-Gläubigen wird gegen jene propagiert, die Scalfari als Feinde und Gegner in den Reihen der Kardinäle und Bischöfe und der Katholiken („Rechtskonservative“) ausmacht. Darin findet er gleichgesinnte Geister, die dem Kreis jener angehören, die sich selbst als Teil einer „Bergoglianischen Garde“ bezeichnen. Dieses Netzwerk von Linkspopulisten, angetrieben vom bloßen Wunsch nach Macht, pervertiert die potestas plena des Papstes in einen potestas illimitata et absoluta. Darin spiegelt sich offenkundiger Voluntarismus wider: Gemäß ihrer Sichtweise ist alles gut und wahr, weil es der Papst will, und nicht weil der Papst etwas sagt oder tut. Sie widersprechen dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das das Lehramt im Dienst der Offenbarung anerkennt, „indem es nichts lehrt, als was überliefert ist, weil es das Wort Gottes aus göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt und treu auslegt“ (Dei Verbum, 19). Sie entpuppen sich daher als dämonische Gegner des Papsttums, so wie es dogmatisch in den Lehren des Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzils definiert ist. Wenn zwischen Jesus und Seinen Jüngern der Grundsatz des Dienens und der Maßstab der Freundschaft (Joh 15,15) galten, wie kann dann das Verhältnis zwischen dem Papst und seinen Brüdern im Bischofsamt geprägt sein von einem unterwürfigen Opportunismus und einem blinden und irrationalen Gehorsam, der sich außerhalb der Glaubenseinheit und der Vernunft befindet, die der katholischen Theologie innewohnt? Gemäß der liberal-marxistischen Sichtweise wäre ein Papst „auf der Höhe der Zeit“ in dem Maße legitimiert als er die rücksichtslose Agenda der extremen Linken zu Ende führen und einen Einheitsgeist bar jeder Transzendenz fördern würde, ohne Gott und ohne historische Heilsvermittlung durch Christus, dem einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen (1 Tim 2,5).
Die Herren, die die öffentliche Meinung manipulieren, und die Ideologen dieser Welt (der Civitas terrena) missbrauchen ihre Macht, wenn sie das natürliche Moralgesetz und die Gebote Gottes nicht beachten. Sie usurpieren wiederholt den Platz Gottes und verwandeln sich in Dämonen in menschlicher Verkleidung. Wo Gott aber als einziger Herr anerkannt wird, dort herrschen Gnade und Leben, Freiheit und Liebe. Im Reich Gottes sind die Worte Jesu grundsätzliche Anleitung:
„Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein (…) Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,43–45).
Die sakramentale Weihe (zum Bischof, Priester und Diakon) bleibt gültig und wirksam und mit ihr auch die Verantwortung für die Lehre der Kirche und ihre pastorale Mission. Die alten Gegner von Joseph Ratzinger (als Glaubenspräfekt wie auch als Papst) haben kein Recht gegen ihn eine damnatio memoriae zu verhängen, umso weniger als sich der Großteil von ihnen von seinen Eigenschaften als Kirchenlehrer durch einen bestürzenden theologischen und philosophischen Dilettantismus unterscheidet. Der Beitrag von Benedikt XVI. zum Buch von Kardinal Sarah kann nur von jenen als Akt der Opposition gegen Papst Franziskus diskreditiert werden, die die Kirche Gottes mit einer ideologisch-politischen Organisation verwechseln. Sie wollen nicht verstehen, dass die Glaubensgeheimnisse nur mit dem „Geist Gottes“ erfasst werden können, aber nicht mit dem „Geist der Welt“.
„Der irdisch gesinnte Mensch aber lässt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt“ (1 Kor 2,14).
Am Anfang wollten nicht einmal die Apostel verstehen, dass es Menschen gibt, die freiwillig bereit sind um des Himmelreiches willen auf die Ehe zu verzichten. Zu ihnen sagte Jesus: „
Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“ (Mt 19,12).
Und ihnen dann erklärte:
„Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (Lk 18,29–30; vgl Mt 19,29).
Die Behauptung, dass Benedikt der heimliche Gegner des regierenden Papste sei, und dass die Verteidigung des sakramentalen Priestertums und des Zölibats Teil einer Obstruktionspolitik gegen das erwartete, nachsynodale Schreiben zur Amazonassynode wäre, kann nur im fruchtbaren Boden der theologischen Ignoranz gedeihen. Niemand widerlegt diesen fixen Gedanken brillanter als Papst Franziskus selbst.
Im Vorwort zum Sammelband über die Priesterweihe, anlässlich des 65. Priesterjubiläums von Joseph Ratzinger im Jahr 2016, schreibt Papst Franziskus:
„Jedes Mal, wenn ich die Werke von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. lese, wird mir klar, dass er Theologie auf den Knien betrieben hat und noch immer betreibt: Auf Knien, weil man sieht, dass er nicht nur ein herausragender Theologe und Lehrmeister des Glaubens ist, sondern ein Mann, der wirklich glaubt, der wirklich betet. Man sieht, dass er ein Mann ist, der die Heiligkeit verkörpert, ein Mann des Friedens, ein Mann Gottes.“
Nachdem er die Karikatur des katholischen Priesters als Funktionär und Experte einer Kirche, die einer NGO gleicht, verworfen hat, unterstreicht Papst Franziskus erneut den außergewöhnlichen Status von Joseph Ratzinger als Theologe auf der Cathedra Petri mit folgenden Worten:
„Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat richtungsweisend bekräftigt, dass das theologische Werk von Joseph Ratzinger zuerst und von Benedikt XVI. dann ihn unter die großen Theologen auf dem Stuhl Petri einreiht wie zum Beispiel Papst Leo dem Großen, Heiliger und Kirchenlehrer. (…) Unter diesem Gesichtspunkt und in angemessener Berücksichtigung des Glaubenspräfekten möchte ich hinzufügen, dass er uns vielleicht gerade heute, als emeritierter Papst, auf offensichtliche Weise eine seiner größten Lektionen der ‚Theologie auf den Knien‘ erteilt.“
„Der mit Christus verbundene Priester ist kein Funktionär.“ Der Beitrag von Benedikt XVI. zum Buch von Kardinal Sarah bietet eine hermeneutische, christologisch-pneumatologische Vertiefung der Einheit von Altem und Neuem Testament, einer Einheit, die auf der göttlichen Offenbarung seiner selbst in der Geschichte gründet. Er bietet damit eine Hilfe, um die theologische und geistliche Krise des Priesterstandes zu überwinden, dem „eine immer wichtigere Aufgabe (…) im Bereich der Erneuerung der Kirche Christi“ zukommt (Presbyterorum Ordinis, 1). Der Priester ist kein Firmenfunktionär, der religiös-soziale Dienstleistungen anbietet. Er ist ebenso wenig ein Vertreter einer autonomen Gemeinschaft, die vor Gott ihre eigenen Rechte geltend machen könnte, anstatt „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk (…) von oben, vom Vater der Gestirne“ zu empfangen (Jak 1,17). Durch die heilige Weihe wird er vielmehr Jesus Christus gleichgemacht, dem Hohepriester und Mittler des Neuen Bundes, dem göttlichen Meister und Guten Hirten, der sein eigenes Leben für die Schafe der Herde Gottes hingibt (LG, 29; PO, 2).
Aus dieser conformitas cum Christo folgt auch die Tatsache, dass die zölibatäre Lebensweise von Christus auf das Engste dem sakramentalen Priestertum entspricht. Jesus selbst sprach von den Jüngern, die enthaltsam leben und aus freier Entscheidung auf die Ehe und eine eigene Familie verzichten als jenen, die das kommende Reich bezeugen und für das Heil der Menschen arbeiten (Mt 19,12; 1 Kor 7,32). Der Zölibat ist zwar nicht kategorisch von der Natur des Priestertums verlangt, er entspricht aber auf innigste Weise dem Wesen dieses Sakraments, da es Christus repräsentiert, das Haupt der Kirche, mit der Autorität, die aus dem Auftrag und der ganz Gott geweihten Lebensweise herrührt (vgl. PO, 16). Aus diesem Grund stellen die Dispensen vom Zölibatsgesetz, wie sie sich auf unterschiedliche Weise in der Ost- und in der Westkirche entwickelt haben, Ausnahmen und nicht die Regel des priesterlichen Zölibats dar. Die Kirche muss grundsätzlich auf ein zölibatäres Priestertum abzielen. Ausgehend von den biblischen Ursprüngen und in Folge der Pflicht zur Enthaltsamkeit in der Ehe für die verheirateten Kleriker nahm die Praxis Form an, Bischöfe, Priester und Diakone nur aus dem Kreis jener Kandidaten zu weihen, die von Anfang an versprechen, als Zölibatäre zu leben.
In der Ostkirche wurde durch einen Bruch mit der Tradition der frühen Kirche – und sicher nicht nach ihrem Vorbild – von der Zweiten Trullanischen Synode (691/692), die bezeichnenderweise im Kaiserpalast und nicht in einer Kirche stattfand, Priestern und Diakonen erlaubt, ein Eheleben zu führen. In der lateinischen Kirche hingegen wurden später nur mehr zölibatäre Männer geweiht, die bereits zuvor versprochen hatten, ein zölibatäres Leben zu führen. In den Kirchen des Ostens wurde den verheirateten Klerikern, aber nicht den Bischöfen, erlaubt, im Ehestand zu bleiben vorausgesetzt, sie enthalten sich für eine bestimmte Zeit vor der Zelebration der Göttlichen Liturgie und heiraten nicht mehr, sollte ihre Ehefrau sterben. Diese Bestimmung gilt auch für jene katholischen Kleriker, die eine Dispens von der Verpflichtung zum Zölibats (LG, 29) erhalten haben. Die katholische Kirche akzeptiert dieses Praxis in den unierten Ostkirche im Namen des höheren Wohls der Einheit und gewährt seit Pius XII., und was die Anglikaner betrifft seit Benedikt XVI., dass jene Geistlichen, die aus anderen Konfessionen zur vollen Einheit mit der Kirche zurückkehren und bereits verheiratet sind, von der Zölibatspflicht dispensiert werden, falls sie zu Priestern geweiht werden.
„Angriff auf das sakramentale Priestertum“ Eine Abschaffung des priesterlichen Zölibats nach dem Modell der protestantischen und anglikanischen Gemeinschaften des 16. Jahrhunderts wäre, kurzum, ein Angriff gegen die Natur des Priestertums und ein Akt der Verachtung der gesamten katholischen Tradition. Wer will die Verantwortung vor Gott und Seiner heiligen Kirche übernehmen für die katastrophalen Folgen für die Spiritualität und die Theologie des katholischen Priestertums? Millionen von Priestern seit der Gründung der Kirche würden sich auf das innigste verletzt fühlen durch die Behauptung, ihr existentielles Opfer für das Reich Gottes und die Kirche habe sich nur auf eine äußere, rechtliche Disziplin gestützt, die nichts mit dem Priestertum und dem Lebensmodell des Zölibats um des Himmelreichs willen zu tun habe. Die Knappheit an Priestern (an Zahl und Qualität) in westlichen Staaten, die einst christlich waren, ist nicht einer Knappheit an Berufungen durch Gott geschuldet, sondern einem Mangel in unserem Leben gegenüber dem Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes und Retter der ganzen Welt.
Wir erleben nicht nur eine Diskussion, sondern eine verbissene Schlacht gegen den Zölibat und auch gegen das sakramentale Priestertum. Die protestantischen Reformatoren des 16. Jahrhunderts hielten das Kirchenamt nur für eine religiöse Funktion innerhalb der christlichen Gemeinschaft, und so beraubten sie es des sakramentalen Charakters. Wenn die Priesterweihe nicht mehr einer inneren Angleichung an Christus, dem Göttlichen Meister, dem Guten Hirten und Hohepriester des Neuen Bundes, entspricht, dann geht auch das Verständnis für die innige Verbindung mit dem Zölibat um des Himmelreiches willen verloren, das im Evangelium verwurzelt ist (Mt 19,12; 1 Kor 7,32).
Im Zuge der Polemik der protestantischen Reformation und aufgrund einer immanentistischen Sichtweise des Menschen, die ihnen eigen ist, sahen die französischen Aufklärer im priesterlichen Zölibat und in den Ordensgelübden nur eine Form der Repression des sexuellen Instinkts, die zu Neurosen und Perversionen führen könnte, ähnlich jener späteren These, die von der Tiefenpsychologie vertreten wurde, die Sexualität als eine mechanische Befriedigung der Instinkte betrachtet, die, falls „unterdrückt“, Neurosen und Perversionen verursachen würde.
In der gegenwärtigen Diktatur des Relativismus wird die Betonung einer sakramentalen Autorität, die von einer höheren Göttlichen Autorität herrührt, als ein klerikaler Machthunger wahrgenommen, und das zölibatäre Lebensmodell wie eine öffentliche Anklage gegen eine Sichtweise, die die Sexualität zu einer egoistischen Lustgewinnung reduziert. Der priesterliche Zölibat erscheint wie eine letzte Bastion einer radikal transzendenten Ausrichtung des Menschen und der Hoffnung auf eine zukünftige Welt im Jenseits, die jedoch laut den atheistischen Grundsätzen eine gefährliche Illusion sei. Die katholische Kirche wird deshalb auf verbissene Weise angefeindet, weil sie eine ideologische Alternative zum radikalen Immanentismus der Macht- und Wirtschaftselite darstellt, die eine absolute Kontrolle über den Geist und den Körper der darbenden Massen der Menschheit anstrebt.
Man verkleidet sich in einem therapeutischen Gestus als Philanthropen, die nichts anderes machen würden, als den armen Priestern und Ordensleuten einen Gefallen zu tun, indem sie sie aus dem Käfig einer unterdrückten Sexualität befreien. Diese Wohltäter der Menschheit merken in ihrer triumphierenden Ignoranz aber nicht, wie sehr sie die Würde aller Christen beleidigen, die in ihrem auf Gott ausgerichteten Gewissen die Unauflöslichkeit der Ehe ernstnehmen oder die Enthaltsamkeit des Zölibats mit Hilfe der Gnade treu einhalten. Genau dort, wo diese gläubigen Christen im Innersten ihres Gewissens vor Gott die wichtigsten Entscheidungen treffen, wollen jene, die eine übernatürliche Berufung des Menschen leugnen, sie überzeugen, in den begrenzten Horizont einer zum Tod verurteilten Existenz einzutreten, so als würde der lebendige Gott nicht existieren (Gaudium et spes, 21).
„Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar. Denn sie haben Gott erkannt, ihn aber nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt. (…) Sie behaupteten, weise zu sein, und wurden zu Toren. Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen und fliegende, vierfüßige und kriechende Tiere darstellen“ (Röm 1,20–23).
Die niederträchtige Anklage behauptet, dass jene finsteren Reaktionäre in der Kirche, die den sakramentalen Zölibat, eine weltfremde Sexualmoral – so erscheint sie in den Augen der Ankläger – und einen menschenfeindlichen Zölibat verteidigen, damit die notwendige Modernisierung der katholischen Kirche und ihre Anpassung an die moderne Welt verzögern oder sogar behindern würden. Sie tolerieren bestenfalls noch eine Kirche ohne Gott, ohne das Kreuz Christi und ohne die Hoffnung auf das ewige Leben. Diese „Kirche des dogmatischen Indifferentismus und des moralischen Relativismus“, die auch Atheisten und Nicht-Gläubige umfassen könnte, darf über das Klima, die Überbevölkerung und die Migranten sprechen; sie hat aber zur Abtreibung, zur Selbstverstümmelung, die unter dem Stichwort Geschlechtsumwandlung läuft, zur Euthanasie und zum tadelnswerten Charakter einer sexuellen Verbindung außerhalb der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau zu schweigen. Sie müsste die sexuelle Revolution absolut akzeptieren, da es sich um einen Akt der Befreiung von der Ablehnung des Körpers durch die katholische Sexualmoral handle. Auf diese Weise würde sie ein Zeichen der Reue für die traditionelle Ablehnung des Körpers senden, die aus dem manichäischen Erbe des Heiligen Augustinus stamme.
„Ein Berater für den Papst“ Trotz aller dieser Schmeicheleien halten die gläubigen Katholiken an der wohlbemessenen Überzeugung fest, daß statt des Atheisten Scalfari, der weder an Gott glaubt noch imstande ist, das „Mysterium der heiligen Kirche“ (LG, 5) zu begreifen, Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) ein unendlich kompetenterer Berater für den Stellvertreter Christi, Nachfolger des Petrus und Oberhirte der Weltkirche, wäre. Das gilt sowohl für seine theologischen Qualitäten und seine geistliche Intuition im Geheimnis der Liebe Gottes, wie auch für seine Erfahrung in der Verantwortung als Papst, allein vor Gott, für die Weltkirche, einer Verantwortung, die Benedikt als einziger unter allen noch lebenden Menschen auf Erden mit Papst Franziskus teilt.
Was Papst Franziskus in dem Vorwort zum Buch über das Priestertum seines Vorgängers schreibt, sollte von allen „Wissenden und Mächtigen dieser Welt“ (1 Kor 2,6) gelesen werden, bevor sie ihre paranoischen Phantasien über Papstgegner, Kardinäle im Krieg untereinander und bevorstehende Schismen in alle vier Himmelsrichtungen posaunen:
„[Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.] verkörpert jene ständige Beziehung zum Herrn Jesus, ohne die nichts mehr wahr ist, alles zur Routine wird, die Priester fast zu hauptamtlichen Angestellten, die Bischöfe zu Bürokraten und die Kirche nicht mehr Kirche Christi, sondern unser Produkt, eine letztlich überflüssige NGO.“
Franziskus fährt fort, indem er sich am 28. Juli 2016 an die in der Sala Celementina zur Buchpräsentation versammelten Kardinäle, Bischöfe und Priester wandte, nicht wie zu Untergebenen, denen man kommandiert, sondern wie man zu Freunden spricht:
„Liebe Mitbrüder! Ich wage zu sagen, wenn einer von Ihnen jemals Zweifel am Zentrum Ihres Dienstes, seiner Bedeutung, seiner Nützlichkeit hat, wenn Sie jemals Zweifel daran haben, was die Menschen wirklich von uns erwarten, dann meditieren Sie gründlich über diese Seiten Sie uns angeboten werden: weil sie von uns vor allem das erwarten, was Sie in diesem Buch beschrieben und bezeugt finden: dass wir ihnen Jesus Christus bringen und sie zu ihm führen, zu dem frischen und lebendigen Wasser, nach dem sie mehr als alles andere dürsten. das nur er schenken kann und das kein Ersatz jemals ersetzen kann; dass wir sie zu vollem und wahren Glückseligkeit führen; wenn nichts mehr sie befriedigt, dass wir sie dazu bringen, ihren innersten Traum zu verwirklichen, den keine Macht jemals versprechen und erfüllen kann!“
*Der Text ist eine Übersetzung des italienischen Textes, der heute von Kardinal Müller bei der katholischen Internetzeitung La Nuova Bussola Quotidiana veröffentlicht wurde. https://katholisches.info/2020/01/22/kar...berater-machen/ Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
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