CORONAVIRUS16:07 Uhr
Der Arzt, der die Epidemie kommen sah, ist tot Dieses Bild zeigt ein Selfie von Dr. Li Wenliang. Der Mediziner ist in Wuhan an der Lungenerkrankung gestorben. Dieses Bild zeigt ein Selfie von Dr. Li Wenliang. Der Mediziner ist in Wuhan an der Lungenerkrankung gestorben. Bild: -/APTN/dpa
Li Wenliang schlug als Erster Alarm, wurde deshalb von den Behörden mundtot gemacht und ist nun selbst mit 33 Jahren am Coronavirus gestorben.
VON FABIAN KRETSCHMER Der tragische Tod eines jungen Arztes aus Wuhan bringt jetzt viele Chinesen massiv gegen die Staatsführung auf: Li Wenliang hatte als Erster Alarm wegen des neuartigen Virus geschlagen – und war aber von den Behörden zum Schweigen gebracht worden. In der Nacht auf Freitag ist Li Wenliang nun im Zentralkrankenhaus Wuhan gestorben.
Statistisch betrachtet ist der Augenarzt nur einer von bisher 638 bestätigten Virustoten. Für die chinesische Öffentlichkeit jedoch gilt der 33-Jährige als heldenhafter Märtyrer und Gesicht einer seit Wochen anhaltenden Gesundheitskatastrophe. Sein tragisches Ende hat den Zorn der Bevölkerung gegen die rigide Zensur der Regierung in einer Weise entfacht wie seit Jahren nicht mehr.
Li Wenliang musste ein Schuldeingeständnis unterschreiben Ein Rückblick: Ende Dezember hatte Li in seiner Klinik Hinweise auf ein SARS-ähnliches Virus entdeckt, an dem sich auffällig viele Patienten angesteckt hatten. In einer Chatgruppe mit 150 Studenten seiner Fakultät warnte er vor möglichen Gesundheitsrisiken. Nachdem jemand aus der Gruppe jedoch Screenshots der Chatnachrichten online weiterverbreitet hatte, bestellten die Behörden Li Wenliang noch in derselben Nacht ein – und drängten ihn zu einem Schweigegelübde. Mehr noch: Er musste ein Schuldeingeständnis unterschreiben, „die öffentliche Ordnung in ernster Weise bedroht“ und „falsche Angaben“ gemacht zu haben.
Mittlerweile gilt als gesichert: Hätten die Behörden Li Wenliangs alarmierende Botschaft ernst genommen, hätte der Virus womöglich in seinem Frühstadium eingedämmt werden können. Stattdessen verschwieg und verharmloste die Lokalregierung den neuartigen Lungenerreger über mehrere Wochen.
„Wir wissen, dass sie lügen; sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen; und trotzdem lügen sie weiter“, lautete ein populär gewordener Post auf Weibo, dem chinesischen Twitter, nach Li Wenliangs Tod. Dort wurde die traurige Nachricht allein in der Todesnacht über eine Milliarde Mal angeschaut.
Li Wenliang hinterlässt ein Kind und eine schwangere Frau Ende Januar ist der Augenarzt dann endgültig zur einer besonders tragischen Heldenfigur geworden. Er habe sich bei Behandlung einer Patientin mit dem Coronavirus infiziert, schrieb Li auf seinem Webchat-Account. Das dazugehörige Selfie zeigt ihn in Quarantäne auf einer Intensivstation. Außerdem hatte der Mediziner seine eigenen Eltern angesteckt. In Quarantäne wurde er mit Antibiotika und Globulin-Injektionen behandelt. Er berichtete von Atemschwierigkeiten, künstlicher Luftzufuhr und Appetitlosigkeit. In seinem letzten Interview sprach Li noch zuversichtlich über seine weiteren Pläne: „Nachdem ich mich auskuriert habe, möchte ich wieder an die medizinische Front. Die Epidemie breitet sich weiter aus und ich möchte kein Fahnenflüchtiger sein“. Doch dann starb er. Er hinterlässt seine schwangere Frau und ein Kind.
Nach seinem Tod schrieben sich die chinesischen Internetnutzer unter dem Hashtag „Wir wollen Meinungsfreiheit“ den Frust von der Seele – ehe ihre Nachrichten gelöscht wurden. Ein Kommentar lautete: „Ich hoffe, dass wir eines Tages auf die Straße ziehen und Li Wenliangs Plakat vor uns tragen können“. Auch dieser Mobilisierungsversuch wurde natürlich von den Behörden gelöscht.
Außerordentlich ist jedoch, dass selbst die Peking-treuen Staatsmedien auf einmal offen Li Wenliangs lobten und Trauer zeigten. Das Staatsfernsehen forderte beispielsweise einen stärkeren Schutz für Whistleblower. Die Zentralregierung in Peking sah sich gar zu einer Stellungnahme genötigt, die Probleme rund um Wi Lenliangs Tod „gründlich zu untersuchen“. Doch letztlich ist der Wille zur Aufklärung eine Farce: Nur einen Tag vor Li Wenliangs Tod wurden fünf Krankenhausangestellte in der südchinesischen Provinz Yunnan verhaftet, nur weil sie Videoaufnahmen über den Virusausbruch veröffentlicht hatten. Wenig später wurden sämtliche Medienberichte darüber ebenfalls gelöscht.
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