Die Christus-Schule
Von Pfarrer Robert Mäder Das Gleichnis des Sämanns ist nicht nur das Gleichnis des Priesters, sondern auch das Gleichnis des Lehrers. Jeder Lehrer ist ein Sämann, der ausgeht, um zu säen, sei es, daß er seinen Samen aus den Kornkammern des Herrn oder aus den Magazinen der Hölle nimmt. Je nach dem ist der Beruf des Lehrers etwas vom göttlichsten oder teuflischsten, das ein Mensch tun kann. Der Lehrer, der nicht als Sämann der Wahrheit, sondern der Lüge wirkt, ist ein Satan! Wenn es genug Mühlsteine auf der Welt gäbe, sollte man sie diesen Verführern nach evangelischem Rat an den Hals hängen, um sie in die Tiefe des Meeres zu versenken. Denn ein schlechter Sämann, sei er Lehrer oder Priester oder Schriftsteller, ist ein nationales Unglück, ein Vergifter der Quellen der öffentlichen Wohlfahrt. Das Volk, das solche Menschen noch auf Staatskosten anstellt, um seine Jugend zu unterrichten, hat den letzten Rest gesunden Sinnes verloren. Mag es noch so sehr mit seiner demokratischen Weisheit prahlen.
Das Vorbild jedes Sämannes, sei er Priester, Erzieher oder Schriftsteller, ist Christus der Lehrer, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Für jeden, der zum Volk und besonders zur Jugend geht, gilt Johannes 10: »Wer nicht durch die Tür in den Schafstall geht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und Räuber. Wer aber durch die Tür eingeht, der ist Hirt der Schafe.« Die Tür zur Schule ist, wie die Tür zur Kirche, Christus. Christus ist der Lehrer! Die moderne Schule hat Christus hinausgeworfen. Sie wollte nicht, daß diese über sie herrsche. Die Säuberung der Schulzimmer von den Kruzifixen war nur das äußere Zeichen dieser antichristlichen Pädagogik. Der Anfang aller politischen Weisheit besteht nun darin, daß die Regierungen und die Völker wieder das Kruzifix im Triumph in die Lehrerseminare und in die Schulen zurückführen. Christus wieder der Lehrer der Lehrer! Ohne ihn könnt ihr nichts tun! Alle anderen Lehrer haben nur insoweit das Recht, sich Lehrer zu nennen, als sie zuvor Schüler dieses Lehrers geworden.
Christus ist der einzige Lehrer der Menschheit und darum auch der Lehrer der Jugend, und zwar im vollen Sinn des Wortes. Andere mögen diesen Titel nach dieser oder jener Richtung und mehr oder weniger in Anspruch nehmen. Lehrer ohne Einschränkung ist nur einer. Dieser Lehrer weiß alles. Er ist das Licht der Welt, der alle erleuchtet, die in diese Welt kommen. Christus kennt Gott. Denn es steht geschrieben: Niemand kennt den Vater außer der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will (Mt 11). Christus kennt die Welt. Die Welt ist durch ihn gemacht worden, und ohne ihn ist nichts gemacht von allem, was gemacht worden. Christus kennt den Menschen, den Menschen wie er sein soll und den Menschen wie er ist; den Menschen, der aus der Hand des Schöpfers hervorging, mit seinen natürlichen und übernatürlichen Aufgaben und Kräften, und den gefallenen Menschen mit seinen schlimmen Neigungen. Christus der größte Theologe und der größte Psychologe und darum der größte Pädagoge, der beste Gotteskenner und Menschenkenner und darum der beste Erzieher! Über Christus hinaus kann es deswegen in der Erziehungskunst keinen wesentlichen Fortschritt geben. Christus, die ewige Weisheit, schuf nichts Halbes. Man kommt allein mit dem Evangelium an allen Orten und zu allen Zeiten aus, weil es die Schule der Vollkommenheit ist.
Christus ist der Lehrer des Menschengeschlechtes, weil er das, was der Mensch sein und tun soll, nicht nur vorsagt, sondern vorlebt. Wir werden nicht so sehr erzogen durch das, was wir hören als durch das, was wir sehen. Nach dem alten Sprichwort: Worte bewegen, Beispiele reißen hin. Das erste, was ein Erzieher zu beachten hat, ist, daß er selber ausführt, was er von anderen fordert. Niemand kann andere gläubig, fromm, gehorsam, demütig, barmherzig machen, wenn er es nicht selber ist. Große Erzieher müssen immer zuerst selber große Menschen werden. Die besten Erzieher müssen naturgemäß die Heiligen sein, deren Leben allen zuruft: Macht’s nach! Aber das unerreichte Ideal der Erzieher aller Zeiten bleibt derjenige, den niemand einer Sünde beschuldigen konnte, Christus, der Allerheiligste. Wenn andere etwas von einem Lehrer an sich haben, er hat alles, weil er die Tugend mit dem göttlichen Anschauungsunterricht seines Lebens vorträgt. Ein Hauptgrund unserer erzieherischen Mißerfolge: Wir haben zwar viele Vorsager, aber wenig heilige Vormacher, die ihre Pädagogik im Leben Jesu studiert haben.
Christus ist der Lehrer der Menschheit, weil er uns nicht nur Wahrheiten, sondern auch Kräfte in die Seele legt. Wahrheiten allein genügen nicht, da die Erziehung nicht nur den Verstand zu erleuchten, sondern auch den durch die Erbsünde geschwächten Willen zu stärken hat. Das kann nicht durch leere Worte geschehen, und wären sie noch so großartig, wie „Appell an Heldentum“, „Ritterlichkeit“, „Selbstregierung“, „Menschenwürde“. Der Sturm der Leidenschaften reißt solche Kartenhäuser ein. Es ist Glaubenssatz und Erfahrungstatsache, daß eine Erziehung mit rein natürlichen Mitteln unmöglich ist. Das Ausschlaggebende am Erziehungswerk ist der heilige Geist, oder was auf dasselbe herauskommt, die übernatürliche Dynamik der Gnade, die durch das Opfer, das Sakrament und das Gebet vermittelt wird. Wer ohne das Opfer, das Sakrament und das Gebet erziehen will, bleibt ein unfruchtbarer, wenn auch vielleicht gutmeinender Schwätzer. Die Gnadenlehre ist die Seele der Erziehungslehre. Wer das nicht weiß, ist kein Erzieher, wenn er auch katholischer Lehrer ist.
Christus ist der Lehrer der Menschheit, weil niemand wie er die Erziehung als das Eine Notwendige betont hat. Er kam, um den neuen, nach Gottes Ebenbild und Gleichnis umgewandelten übernatürlichen Menschen zu schaffen, der Erbe des Himmels werden soll. Diesem erzieherischen Zweck seines Erlösungswerkes dient alles, sein Leben, seine Predigt, sein Leiden und Sterben, die Gründung der Kirche. Alles an Christus wirkt pädagogisch. Was aber mit dem Einen Notwendigen keine Beziehung hat, dem bringt Christus auch kein besonders Interesse entgegen. Trotzdem er der Allwissende ist und alle Gesetze der Natur offen vor seinen Augen liegen, sagt er kein Wort davon. Keine einzige naturwissenschaftliche Entdeckung oder Erfindung hängt mit der öffentlichen Wirksamkeit des Erlösers zusammen. Technik und Industrie empfing von ihm direkt nicht die leiseste Förderung. Trotzdem er die ewige Schönheit ist, schuf er kein Kunstwerk, weder in der Bildhauerei noch in der Malerei, noch in der Dichtkunst, noch in der Musik. Trotzdem er die ewige Liebe, tat er direkt nichts für die sogenannte Sozialreform, für die Medizin und Volksgesundheitspflege. Trotzdem er der Freund der Kinder, tat er, so viel wir wissen, nichts für Primar- und Volksschulbildung. Und das deswegen, weil alle diese Dinge nicht zu den Notwendigkeiten gehören.
Christus aber kam, um das zu lehren, was sein muß: den Glauben, die Hoffnung, die Liebe, die Geduld, die Keuschheit, die Wahrhaftigkeit, die Gerechtigkeit. Der beste Lehrer ist derjenige, der das Notwendige in den Vordergrund und das nebensächliche und Überflüssige in den Hintergrund stellt. Jetzt macht man es umgekehrt.
Christus ist der Lehrer der Menschheit, weil im Vergleich zu ihm alle Lehrer nur Lernende sind. Laßt euch nicht Lehrer nennen. Denn einer ist euer Lehrer. Ihr aber seid Brüder. Auch laßt euch nicht Meister nennen, weil einer euer Meister ist, Christus (Mt 23). So steht es geschrieben. So ist es. Auch heute. Die moderne Schulweisheit will nicht mehr zu den Füßen Jesu sitzen. Zitiert sie, so zitiert sie nicht ein Wort Gottes, sondern Worte der Menschen Rousseau, Pestalozzi und wie die „Großen“ alle unter den kleinen Menschen heißen. Wir leugnen nicht, daß Menschen in der Erziehungskunst Wahres und Gutes schreiben können, aber das Wahre und Gute, das wirklich wahr und gut ist, hat alles schon der gesagt, der vor 1900 Jahren als Sämann ausging, um zu säen. Was die Gelehrten vermögen, das besteht nur darin, daß sie die Lehren Jesu neu formulieren, applizieren, systematisieren. Im übrigen haben wir auch in der Pädagogik keinen anderen zu erwarten. Der Messias der Schule ist schon gekommen. Wir haben nichts zu tun, als ihn zu hören und zu verkünden. Der Same ist das Wort Gottes.
Die Welt wimmelt heute von Fragen und Problemen. Die Frage der Fragen ist aber die: Wollt ihr Christus, den der Geist der Glaubenslosigkeit einer vermaterialisierten Zeit und eure Feigheit aus der Schule verbannt, wieder in dieselbe zurückführen? Soll Christus der Lehrer wieder der Erzieher eurer Lehrer und eurer Kinder werden? Es handelt sich dabei für uns nicht nur um das Kruzifix in der Schule, es handelt sich um die Persönlichkeit, den Geist, das Wort, die Gnade Christi, seine Herrschaft über die Seelen und die Herzen. Alles, was wir sonst tun, wird nutzlos sein, wenn wir dieses eine vergessen. Nicht der soziale Kampf ums Brot und Geld ändert das Angesicht der Erde, sondern der Kampf um die Schule Christi. Wenn der göttliche Sämann nicht ausgeht, um zu säen, ist alles umsonst.
Quelle: »Die Schildwache«, Basel, Jahrgang 1922.
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