Lehrer und Hirte Von Pfarrer Robert Mäder Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; der Weg als Hirte, die Wahrheit als Lehrer, das Leben als Priester. Drei Ämter, aber ein Christus, ganz in jedem. Wo der Lehrer, da der Hirte, wo der Hirte, da der Priester, überall und immer. Was Gott verbunden, soll der Mensch nicht trennen.
Der Zeit des Spezialistentums war es vorbehalten, diese heilige Dreieinigkeit wie alles andere auseinanderzureißen. Es gibt heute solche, die Lehrer sind, ohne Hirte, und Hirten, ohne Priester sein zu wollen. Sie wollen von Christus nur die Wahrheit ohne den Weg, nur den Weg ohne das Leben. Daher zum großen Teil die Mißerfolge. Wir müssen, was wir sind, überall und immer und ganz sein, wo wir gehen oder stehen, Priester und Hirten und Lehrer. Gnadenspender, Wahrheitsverkünder und Wegweiser zugleich – wie Christus.
Das, was Unglück ist im geistlichen Stand, ist es auch im Elternberuf und Lehrerstand. Ich rede nicht von den schlechten Lehrern und den schlechten Eltern. Ich rede von den halbguten und deswegen halbschlechten, die etwas tun wollen, aber nicht das Ganze. Sie sind vielleicht ziemlich brave Menschen, aber weil sie nur gute Lehrer sein wollen, bringen sie es nie zum Verständnis jener Christusworte: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte gibt sein Leben hin für seine Schafe. Und darum bringen sie es auch trotz aller Anstrengungen zu nichts.
Der rechte Vater und die rechte Mutter, und das gleiche gilt vom Stellvertreter des Vaters und der Mutter, der rechte Lehrer und die rechte Lehrerin, muß nicht nur Wahrheitsverkünder, sondern wie Christus auch Wegweiser sein, etwas vom guten Hirten und Priester an sich haben. Sonst soll man nicht zu den Kindern gehen. Man wird so leicht nur Mietling. Und vom Mietling zum Verräter gehen viele und kurze Pfade.
Wir wollen eine neue Welt aufbauen helfen. Alles, was Hände hat, soll dran helfen. Die neue Welt soll dem gehören, der sie schuf und erlöste. Die neue Welt darf nicht nur katholische Kirchen haben. Das hat auch die jetzige. Die neue Welt wird nicht nur Kirchen haben. Sie wird ein einziger unermeßlicher Tempel sein, vom Anfang der Sonne bis zum Niedergang, von Nord zum Süd. In der neuen Welt, die wir erbeten, wird man nicht nur vor den Altären, sondern auf allen Straßen, in allen Häusern, in allen Werkstätten dem einen wahren Gott dienen und dem, den er gesandt hat.
In der neuen Welt wird es auch neue Schulen geben. Ich sage neue, nicht nur Flickwerke der alten, neue Schulen mit neuen Fundamenten, neuem Geist und neuen Lehrern. In der neuen Schulen werden die Lehrer wieder Hirten und „Priester“ sein, die ihr Leben hingeben für die Schafe. Sie werden erziehen und beten, nicht nur unterrichten. Und die Schüler, die sie erziehen, werden nicht nur Leser, Rechner und Schreiber sein, sondern Menschen, Christen, das neue Geschlecht der neuen Zeit.
Die neuen Lehrer der neuen Zeit, und dazu rechne ich nicht bloß die Lehrer in der Schule, sondern auch die Lehrer und Lehrerinnen in der Familie, die Eltern, müssen also im Gegensatz zu den Lehrern der absterbenden Gegenwart, den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit im Hirtenamt, nicht im Lehramt sehen. Die heutige Schule, die gottlose und, bis zu einem gewissen Grad von ihr angesteckt, auch manche katholische Schule, geht fast einseitig darauf hinaus, möglichst viele Kenntnisse in den Geistern der Kinder aufzuspeichern. Das Christentum haßt die Wissenschaft nicht, es fördert sie, aber es lehrt uns auch, die Wissenschaft nicht überschätzen.
Das Christentum unterscheidet zwischen dem, was man wissen muß und dem, was man nicht notwendig wissen muß um selig zu werden. Die Religion will nicht einseitig und über die Fassungskraft des Menschen hinaus sich an den Verstand wenden. Sie sieht nicht ihre Aufgabe erschöpft mit der Ausübung des Lehramtes. Sie will nicht bloß unterrichten, sondern auch erziehen.
Neben dem Lehrer, der sagt, was man glauben soll, muß sofort der Hirte stehen, der sagt, was man tun soll. Und wenn auch die Zahl der geoffenbarten Glaubenswahrheiten größer ist als fünf und wenn wir auch verpflichtet sind, uns immer mehr im Glauben unterrichten zu lassen, so weit es unsere geistigen Fähigkeiten zulassen, so hat die Kirche doch niemals dem Unterricht und dem religiösen Wissen allein, mag es noch so erhaben und vollständig sein, das Anrecht auf das Himmelreich zuerkannt. Nicht der Hörer des Gotteswortes wird selig werden, sondern der Befolger und Vollbringer. Das Lehramt ist der Anfang alles Guten – das Hirtenamt aber erst wird das Saatkorn zur Reife bringen.
Wenn der Grundsatz: Nicht nur Lehrer, sondern auch Hirte, nicht nur Unterrichter, sondern auch Erzieher schon in der Religion gilt, so gilt er noch viel mehr gegenüber den weltlichen Kenntnissen. Es ist kein Zweifel und es muß selbst auf die Gefahr hin, eine Majestätsbeleidigung gegenüber der modernen Bildung zu begehen, offen herausgesagt werden, es ist kein Zweifel, daß den Kindern heute viel zu viel überflüssiger Ballast an Kenntnissen aufgeladen wird, und daß sie zu lang in die Schule gehen. Man lernt viel und liest viel, aber man weiß wenig und man kann noch weniger. Wenn man lesen, schreiben und etwas rechnen kann, weiß man für gewöhnliche Verhältnisse genug. Die meisten braven und brauchbaren Menschen, die vor dem Zeitalter der Presse gelebt haben, konnten weder das eine noch das andere. Trotzdem sie Analphabeten waren, d. h. nie lesen und schreiben gelernt, waren sie nützliche Glieder der menschlichen Gesellschaft, und was die Hauptsache ist: Sie erreichten ihr Ziel.
Wir sind schließlich nicht auf Erden, um lesen, schreiben und rechnen zu lernen, wohl aber um zu beten, zu gehorchen, zu lieben, zu arbeiten, zu leiden, mit einem Worte: unsere Pflicht zu erfüllen, oder, was auf das gleiche herauskommt, die zehn Gebote zu halten. Was das Lesen anbetrifft, sind wahrscheinlich seit Erfindung der Buchdruckerkunst mehr Leute um den Glauben, um die Unschuld und um den Himmel gekommen als damals, wo es noch keinen gedruckten Bücher und Zeitungen gab.
Das gleiche gilt vom Rechnen. Seitdem wir besser rechnen können, hat der Wucher, der Betrug, die unersättliche Habsucht sich ins Maßlose entwickelt. Seitdem alle Welt rechnen kann, haben wir den Kapitalismus und den Sozialismus. Der Mensch ist heute eine Schreib- und Rechenmaschine, welche den gleichen Zweck hat wie die Krallen und die Raubzähne bei den wilden Tieren. Im wesentlichen lernt man schreiben und rechnen, um seine Beute besser erjagen zu können. Die besten Rechner werden gewöhnlich die größten Raubtiere. Der ideale Bildungswert ist bei den meisten an einem sehr kleinen Ort.
Daraus folgt, daß die verweltlichte Lernschule für die Erziehung des Volkes einen geringen Wert hat. Die Lehrer allein können uns nicht helfen. Wir brauchen auch gute Hirten, Erzieher guter, vom übernatürlichen Geist getragener Lebensgewohnheiten, von Tugenden. Das ist der tiefste Grund, warum wir immer wieder die katholische Schule fordern müssen, unsere Schule, die Schule des guten Hirten, die Erziehungsschule an Stelle der jetzigen einseitigen Unterrichtsschule.
Aber es wird damit nicht gemacht sein. Die Lehrer zu Hause und die Lehrer in der Schule müssen auch etwas Priesterliches an sich haben. Nicht im Sinne des allgemeinen protestantischen Priestertums, welches vom Evangelium wie der Kirche entschieden abgelehnt wird. Der amtliche Gnadenspender ist nur derjenige, der im Sakrament der Priesterweihe hierzu Vollmacht empfangen. Aber weil jeder beten und leiden kann, auch ohne das Sakrament der Weihe, kann jeder wenigstens einigermaßen Gnaden vermitteln, somit etwas Priesterliches an sich haben, auch der Vater, die Mutter, der Lehrer. Können sie es, so sollen sie es. Jeder dauerhafte Erfolg der Erziehung hängt davon ab, daß die Personen, die lehren und erziehen, auch beten und leiden können, also priesterlich wirken auf ihre Anvertrauten.
Um alles noch einmal zu wiederholen: Lehrer allein sein, ist wenig; Lehrer und Hirte sein, ist etwas; Lehrer, Hirte und „Priester“ sein, ist alles. Wer nur unterrichten kann, ist ein schlechter Lehrer. Wer auch erziehen kann, aber nicht beten, bleibt immer in der Mittelmäßigkeit. Nur wer auch das Dritte verteht, versteht etwas von der Pägagogik Christi nach Johannes im 10. Kapitel.
Quelle: »Die Schildwache«, Basel, Jahrgang 1927.
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