Der Hausvater ein König! Von Pfarrer Robert Mäder Man erzählt von einem Geheimnis von 15000 Menschen. 15000 Menschen, die ein Geheimnis bewahren können, das ist ein psychologisches Wunder. Aber dieses psychologisches Wunder ereignete sich während der mexikanischen Christenverfolgung. Erzbischof Orozco leitete von einem verborgenen Schlupfwinkel in den Bergen seine Herde. 15000 Menschen wohnten im Umkreis. Jedermann, mit Ausnahme von etwa 300 Protestanten, wußte daß der Bischof dort weilte. Dennoch hat niemand das Geheimnis verraten. Wir bewundern diesen Akt katholischer Disziplin: 15000, die schweigen können, weil Reden Verrat wäre. Aber der Katholizismus gibt einen noch erhabeneren Beweis von Disziplin, wenn 15000 Menschen laut dort reden, wo Schweigen Verrat wäre.
Auf diesen Fall wartet Rom seit dem 31. Dezember 1929. Am 31. Dezember hat der Heilige Vater ein Rundschreiben herausgegeben an alle Erzbischöfe und Bischöfe und – an alle Gläubigen des Erdkreises. Es handelt von der christlichen Erziehung der Jugend. Das war kein Brief. Das war ein Blitz, der leuchtet vom Sonnenaufgang bis zum Niedergang. Das war wie ein Donnerschlag in die schwüle, schläfrige Luft. Wo sind nun die 15000, die reden, weil Schweigen Verrat wäre?
Wo sind die 15000 Führer des katholischen Volkes aller Sprachen, die 15000 Priester und Schriftsteller und Redakteure und Redner, die das Papstwort hinaustragen bis an die Grenzen der Erde, vor die Großen der Welt und vor das Volk? Wo ist die Katholische Aktion, die katholische Presse und die katholische Politik? Domine, labia mea aperies! Herr, öffne unsere Lippen, daß wir reden. Heiliger Geist, sprich: Epheta, tut euch auf! Ein führender Gedanke in dem providentiellen Papstwort: Das Königstum des Vaters und der moderne Staat!
Der Vater ein König! Das klingt heute wie ein neues Evangelium. Seit 1789 wanken ja nicht nur die Throne der Fürsten. Mit der Erklärung der sogenannten Menschenrechte hat man auch das soziale Königstum Christi abgeschafft und dadurch die menschliche Gesellschaft gleichsam selber enthauptet. Die Gesellschaft ohne Haupt ist aber notwendig dem Tod verfallen, wenn sie auch wie durch ein Wunder der göttlichen Barmherzigkeit noch einige Zeit ein kümmerliches Dasein fristen mag. Ein deutliches Zeichen für die Auflösung der Gesellschaft ist es, wenn das Haupt der Familie, der Vater stirbt.
Nun kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß der Vater seit 1789 am Sterben ist. 1795 stellte der Blutmensch Danton den Satz auf. »Die Kinder gehören der Republik, bevor sie den Eltern gehören.« Napoleon der Allgewaltige verwirklichte dann den Gedanken, indem er an Stelle des Vaters den Staat zum Lehrer machte. Seither ist es unverletzliches liberales Dogma, daß die Regierungen nicht nur die Ordnung, Sicherheit und Wohlfahrt des Volkes zu schützen und zu fördern haben, sondern auch die eigentlichen Erzieher der zukünftigen Generation sein müssen. Der Vater gilt immer weniger in der Schule.
Der russische Bolschewismus hat nur die logische Konsequenz aus dem liberalen Dogma gezogen, wenn er die letzten Reste der väterlichen Autorität systematisch und radikal vernichtet. 1800 konnte man noch sagen: der Vater stirbt. 1930 muß man bald sagen: Der Vater ist tot! Tot von Staates wegen! Ob dann in den einzelnen Ländern der Prozeß noch in der Entwicklung liegt oder schon abgeschlossen, die große revolutionäre Tatsache der modernen Welt ist unleugbar da: Das Königtum des Vaters gilt als abgeschafft! Der Vater mag noch seinen Namen behalten, aber er regiert nicht mehr in seinem Reich. Die Kinder gehören heute dem Staat!
Nun kommt Pius XI. und proklamiert wieder laut und feierlich, wie vielleicht kein Papst vor ihm, dem modernen allmächtigen Staat gegenüber das Königtum des Vaters im Reich der Familie.
»Der Vater ist das Prinzip: Für die Erzeugung, für die Erziehung und für die Disziplin, überhaupt für alles, was zur Vervollkommnung des menschlichen Lebens gehört« (hl. Thomas 2,2 Q 102, a 1).
»Das Kind ist in natürlicher Beziehung etwas vom Vater. Darum steht das Kind nach Naturrecht vor dem Vernunftsgebrauch unter der Obhut des Vaters« (hl. Thomas 2,2 Q 10, a 12).
»Die Pflicht der Obsorge von Seite der Eltern dauert, bis das Kind für sich selber sorgen kann. Solange dauert also auch das unveräußerliche Erziehungsrecht der Eltern.«
»Diejenigen stehen in offenem Gegensatz zur allgemeinen Überzeugung des Menschengeschlechts, die zu behaupten wagen, das Kind gehöre dem Staat, bevor es der Familie gehört.«
»Ehe der Mensch Bürger wird, muß er existieren. Die Existenz hat er aber nicht vom Staat, sondern von den Eltern.«
»Die Eltern müssen sich bemühen und entschieden sich dafür einsetzen, jedes Attentat nach dieser Richtung zu verhindern und die Möglichkeit christlicher Erziehung der Kinder absolut sicher zu stellen. Besonders sollen sie dieselben von jenen Schulen fern halten, in denen sie das traurige Gift der Gottlosigkeit einnehmen können« (Leo XIII.).
»Der Erziehungsberuf ist vor allem, über allem und an erster Stelle Sache der Kirche und der Familie. Und zwar Kraft natürlichen und göttlichen Rechtes. Deswegen uneingeschränkt, unumgänglich, unersetzbar!«
»Die Familie ist von Gott unmittelbar als zu ihrem eigentlichen Zweck für die Erzeugung und Erziehung der Kinder eingesetzt. Sie hat darum den Vorrang der Natur und den Vorrang der Rechte gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft.«
»Die Schule ist ihrer Natur nach Hilfs- und Ergänzungsinstitut für Familie und Kirche.«
»Gerade in den modernen Zeiten, wo der Staat die gottgegebenen Rechte der Familie verletzt hat und noch verletzt, gerade da hat die Kirche sich glänzend als Beschützerin und Verteidigerin dieser Rechte erwiesen.«
Die Kirche und nur die Kirche allein hält also auch heute noch der Staatsallmacht gegenüber das Königstum des Vaters auf seinem ureigensten Gebiete, dem des Unterrichts und der Erziehung, aufrecht. Der Vater ist für die Kirche der geborene Lehrer. Selbstverständlich nicht Lehrer im Gegensatz zu natürlichem und göttlichem Recht, im Gegensatz zu Kirche und Staat, nicht Lehrer im Sinn von »Absolutist und Despot«, aber trotzdem Lehrer, Lehrer im Vollsinn des Wortes, Lehrer, weil Vater und König.
Wir haben im Licht der Enzyklika die Stellung des Vaters in der Familie kennen gelernt. Betrachten wir nun die Stellung des Staates zum Vater. Alles hängt hier vom richtigen Staatsbegriff ab. Es ist sonderbar, aber es ist so: Es gibt in unserem so politischen Zeitalter wenige, die wissen, was der Staat ist. Die meisten Modernen, vielleicht sogar die meisten Katholiken, sehen im Staat eine allmächtige und allgegenwärtige Gottheit, die alles kann, alles tut, alles darf. Das ist nun nicht nur eine Irrlehre, das ist eine Mutter der Irrlehren. Quellen zahlloser politischer Verirrungen. Alle Regierungen, alle Parlamentarier und alle Bürger sollten da die Worte auswendig lernen, die der Heilige Vater über den Zweck des Staates schreibt:
»Dieser Zweck, das allgemeine irdische Wohl besteht im Frieden und in der Sicherheit, die es den Familien und den einzelnen Bürgern ermöglicht, ihre Rechte zu gebrauchen. Sodann in einer – soweit sie auf Erden sein kann – möglichst großen geistigen und materiellen Wohlfahrt durch die Verbindung und das Zusammenwirken aller. Infolgedessen ist die Aufgabe der im Staat ruhenden bürgerlichen Gewalt eine doppelte: Schutz und Förderung(!), und nicht Absorbieren oder Verdrängen der Familie und der Einzelperson!«
Staatszweck ist also die Schaffung jener Voraussetzungen und Grundlagen, jener öffentlichen Atmosphäre, sagen wir jener Luft, in welcher die freie Persönlichkeit ihrer natürlichen und übernatürlichen Bestimmung gemäß sich am besten entfalten kann. Der Staat ist der Menschen wegen da, nicht umgekehrt die Menschen des Staates wegen. Der Staat ist wie der Papst Servus servorum Dei, Diener der Diener Gottes.
Damit haben wir die naturrechtlichen Grundzüge der staatlichen Schulpolitik.
»In Hinsicht auf die Erziehung ist es Recht, oder besser gesagt Pflicht des Staates, in seinen Gesetzen das Erstrecht der Familie zur christlichen Erziehung zu schützen und infolgedessen das übernatürliche Recht der Kirche zu dieser christlichen Erziehung zu respektieren.«
»Gleicherweise ist es Sache des Staates, dieses Recht im Kind zu schützen. Es kann vorkommen, daß die Eltern physisch oder moralisch nicht in der Lage sind, ihre Aufgabe auszuüben, wegen Mangel, Unfähigkeit oder Unwürdigkeit. Da ihr Erziehungsrecht nicht ein absolutes oder despotisches ist, sondern abhängig vom natürlichen und göttlichen Recht, untersteht es infolgedessen der Autorität und dem Urteil der Kirche sowie in Hinsicht auf das öffentliche Wohl auch der Obhut und dem Rechtsschutz des Staates. Auch ist die Familie keine vollkommene Gesellschaft, d. h. sie hat nicht alle zu ihrer Vollendung nötigen Mittel. In diesem, übrigens ausnahmsweisen Fall vertritt der Staat nicht die Familie, aber er ersetzt den Mangel und versorgt mit den geeigneten Mitteln. Immer aber in Übereinstimmung mit den natürlichen Rechten des Kindes und den übernatürlichen Rechten der Kirche.«
Also ist die erste Aufgabe staatlicher Schulpolitik nicht das Schulen bauen und nicht das Schule halten, sondern Schutz der Rechte des Vaters und Schutz der Rechte des Kindes!
Zweite Aufgabe der staatlichen Schulpolitik ist die Förderung des Schulwesens. Auch hier handelt es sich in erster Linie nicht ums Schulen bauen und ums Schule halten. Wir könnnen es nicht genug wiederholen: Der Staat ist an sich nicht Lehrer. Die Förderung durch den Staat geschehe, wie der Papst sagt, »in erster Linie, indem er die Initiative und das Werk der Kirche und der Familien begünstigt und unterstützt«.
»Sodann, indem er dieses Werk, wo es nicht ausreicht oder nicht genügt, durch eigene Schulen und Institutionen ergänzt.«
»Der Staat kann auch verlangen und veranlassen, daß alle Bürger die notwendige Kenntnis ihrer bürgerlichen und nationalen Pflichten haben und einen gewissen Grad von intellektueller, moralischer und physischer Kultur, insoweit dieselbe in Anbetracht der besonderen Zeitumstände vom öffentlichen Wohl wirklich gefordert wird.«
«Es ist indessen klar, daß bei all diesen Formen der Förderung von öffentlicher und privater Erziehung und von Unterricht der Staat die angeborenen Rechte der Kirche respektieren und die distributive Gerechtigkeit beachten muß. Deswegen ist jedes Erziehungs- und Schulmonopol ungerecht und unerlaubt, das die Familien physisch oder moralisch nötigt, die Staatsschulen in Widerspruch mit den Pflichten des christlichen Gewissens oder ihrer berechtigten Vorliebe (für andere Schulen) zu besuchen.«
Das sind die auf dem Naturrecht aufgebauten Leitgedanken für die staatliche Schulpolitik. Wir sehen: In Sachen der Schule befiehlt der Vater und der Staat hilft. Die moderne liberale Theorie, wonach in Schulsachen der Staat befiehlt und der Vater zahlen und gehorchen muß, steht in offenbarem Widerspruch mit dem natürlichen und göttlichen Recht.
Roma locuta! Rom hat gesprochen. Causa finita! Die Sache ist erledigt. So hieß es einst. Das kann heute einen zweifachen Sinn haben. Man kann, wenn der Papst gesprochen hat, glauben, damit sei es getan. Man horcht einen Augenblick auf und dann schläft man ruhig weiter. Das Echo fehlt. Das Papstwort geht unter in der Verschwörung allgemeinen Stillschweigens. Man redet nicht davon. Das ist das unfehlbare Mittel, um Kirche und Papsttum zur Ohnmacht zu verurteilen, um die meisten Katholiken machen sich hier mitschuldig. Sie gratulieren vielleicht dem Papst, aber sie gehorchen ihm nicht. Doch das »Roma locuta – causa finita« hat für alle treuen Söhne der Kirche noch einen anderen Sinn. Es heißt: Nun haben wir in der Schulfrage eine Parole! Eine Losung im Kampf! Der Kampf kommt. Besser gesagt: Wir stehen schon mitten drin. Es ist der Weltriesenkampf um die Seele des Kindes. Es wird der Kampf zwischen Staatsallmacht und Familie, zwischen Tyrannei und Freiheit sein. In diesem Kampf heißt unser Paßwort: Der Vater ist König! In Sachen der Schule regiert der Vater, nicht der Staat!
Quelle: »Die Schildwache«, Basel, Jahrgang 1930.
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