Die Glaubens - und Sittenlehre der katholischen Kirche
In der Verkündigung Jesu sind Glaubens - und Sittenlehre untrennbar miteinander verbunden. Er selbst ist zugleich „der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Jo 14, 6). Kraft der lebendigen Gegenwart Christi und des von ihm empfangenen Auftrages, die Menschen zu lehren und zur Befolgung seiner Gebote anzuhalten (Mt 28, 19 f), urteilt die von ihm gestiftete katholische Kirche in Glaubens - und Sittenfragen ebenfalls mit göttlicher Bürgschaft. Nach Ausweis der Kirchengeschichte war sie sich dessen von Anfang an bewusst.
Wer die katholische Kirche als die Lehrmeisterin der göttlichen Wahrheit und die Mutter des übernatürlichen Lebens verehrt, wird sich ihre Glaubens - und Sittenlehre in freier Selbstentschließung zu eigen machen, weil er in ihr nicht eine entwürdigende Behinderung seiner Persönlichkeit sieht, sondern den Weg zu seiner übernatürlichen geistigen und sittlichen Vollendung. Der Grad der geforderten Unterwerfung bemisst sich nach dem Inhalt der Lehrentscheidung und nach der obrigkeitlichen Stelle, die sie ausspricht.
1. Mit „göttlichem und katholischem Glauben" müssen diejenigen Wahrheiten der Glaubens - und Sittenlehre festgehalten werden, die das ordentliche oder außerordentliche Lehramt, als in der Heiligen Schrift oder der mündlichen Überlieferung enthalten, endgültig und für die ganze Kirche verpflichtend verkündet. Was nicht offenkundig als von Gott geoffenbart definiert (bezeichnet) worden ist, darf nicht als Glaubenssatz ausgegeben werden (CIC c. 1323 § 3). Der Getaufte, der sich bewusst und hartnäckig weigert, einer vom kirchlichen Lehramt vorgestellten Offenbarungswahrheit gläubig zuzustimmen, macht sich der Häresie schuldig (CIC c. 1325 § 2) und verfällt der Exkommunikation (CIC c.2314 § 1).
2. Wahrheiten und Tatsachen, die nicht als solche gottgeoffenbart sind, aber in denknotwendiger Beziehung zum Offenbarungsgehalt stehen oder um seiner Ermittlung oder Verteidigung willen keinem Zweifel unterliegen dürfen und über die das kirchliche Lehramt unfehlbar entschieden hat, sind mit unbedingtem kirchlichem, d. h. in erster Linie sich auf die Autorität der Kirche stützenden Glauben festzuhalten.
3. Die nichtunfehlbaren authentischen, d.h. mit bindender Kraft gefällten kirchenamtlichen Lehrurteile verpflichten einerseits zu innerer, von religiöser Ehrfurcht erfüllter Zustimmung; denn sie ergehen unter dem Beistand des Heiligen Geistes von der durch Gott zur Sicherung des Glaubens und des ewigen Heiles gesetzten kirchlichen Obrigkeit (CIC c. 13 24). Anderseits ist keine endgültige, die weitere Forschung und die Möglichkeit einer Neusichtung ausschließende Unterwerfung verlangt und die ehrerbietige Darlegung gewichtiger neuer Gegengründe an zuständiger Stelle gestattet. Authentische Entscheidungen können getroffen werden vom Papst, von Römischen Kongregationen und der Bibelkommission, von Partikularsynoden (Teilkirchenversammlungen) und dem Bischof für seine Diözese (CIC c. 1326). Die kirchliche Bestätigung einer Privatoffenbarung stellt eine hirtenamtliche Maßnahme, keine Glaubensverpflichtung dar. Für den philosophisch und theologischen Unterricht ist der Anschluss an den heiligen Thomas von Aquin vorgeschrieben (CIC can, 13 66 § 2). Doch haben die theologischen Schulen Freiheit „in den Fragen, in denen hervorragende Geisteslehrer verschiedener Meinung sind" (Enzyklika Humani generis 19).
Das Lehramt der katholischen Kirche
„Die Glaubenslehre, die Gott geoffenbart hat, wurde dem menschlichen Geist nicht wie eine philosophische Erfindung zur Vervollkommnung vorgelegt, sondern als göttliches Gut der Braut Christi übergeben, damit sie dieselbe treu bewahre und irrtumslos erkläre" (Vatikanum; Denz. 1800). Diese wesentliche Aufgabe nimmt das kirchliche Lehramt wahr.
Seine Notwendigkeit gründet im Ziel der Offenbarung: Gottes Herrlichkeit kundzumachen und die Menschen zum übernatürlichen Heil zu führen. Das der menschlichen Auslegung und Weitergabe ungeschützt überlassene Gotteswort würde verfälscht und vertan und damit der göttliche Ratschluss in sein Gegenteil verkehrt werden. Durch die lehrende Kirche wird die hörende gestützt und geführt. Da beide im Heiligen Geist eine lebendige Einheit bilden, darf man die Abhängigkeit der Glaubenskirche nicht starr und als reine Aufnahme verstehen. Vielmehr wird wie die Verkündigung des Lehrkörpers, so auch das Bekenntnis des Glaubenskörpers vom Heiligen Geist beseelt. Darum ist auch das einmütige Glaubensbewusstsein der hörenden Kirche Ausdruck des Offenbarungsgehaltes und imstande, das Wort des Lehrkörpers vorzubereiten und nach Inhalt und Ansehen zu fördern. Der Einwand, der durch ein unfehlbares Lehramt gesicherte Glaube sei „kein Wagnis mehr", ist nicht berechtigt; der Glaube ist ja nicht blind, sondern vernünftiger Gehorsam. Das Wort Gottes wird durch die katholische Kirche mit unbedingter Sicherheit bezeugt; das vermag in einem selbst wissenschaftlichen Gedankengang begründet zu werden. Dem widerspricht nicht, dass der Glaube letztlich und entscheidend, insbesondere in seiner Festigkeit, eine freie Willenshandlung ist und bleibt. Dem Katholiken bedeutet das unfehlbare Lehramt nicht nur kein Hindernis des Glaubens, sondern ein Gnadengeschenk Gottes, dessen Größe erst recht offenbar wird angesichts der beklagenswerten Uneinigkeit in der Lehre, die in der nichtkatholischen Christenheit besteht.
Die Wirklichkeit des kirchlichen Lehramtes bezeugen Schrift und Überlieferung. Jesus hat den vom Vater empfangenen Lehrauftrag an seine Apostel weitergegeben (Mt 10, 40; Lk 10, 16; Jo 17, 18 20 f), ihnen seine Lehrgewalt verliehen (Mt 18, 18; 28,18—20) und seinen Lehrbeistand zugesichert (Mt 28, 20; Jo 14, 16 f). Demgemäß betrachten sich die Apostel als die berufenen Zeugen und Gesandten Christi (Apgl, 22; 2,32; 1 Kor 1, 17; 2 Kor 5, 20), die nicht „Menschenwort", sondern „Gotteswort" predigen (1 Thess 2, 13). Ihr Lehramt muss über ihren Tod hinaus fortbestehen (vgl. 2 Tim 2, 2); denn der ihnen erteilte Missionsbefehl bezieht alle Völker (Mt 28,19; Apgl, 8) u. Zeiten (Mt 28, 20) ein. Darum sind die Väter mit dem heiligen Irenäus von Lyon einmütig überzeugt, „dass die Apostel in die Kirche wie in eine Schatzkammer auf das vollständigste alles hineingetragen haben, was zur Wahrheit gehört und dass jeder, der will, aus ihr den Trunk des Lebens schöpfen kann".
Als Organ (lebendiges Werkzeug) des in seiner Kirche fortlehrenden Christus und kraft göttlichen Auftrags hat das Lehramt das Recht und die Pflicht, allen Menschen die Heilsbotschaft unabhängig von jeder außerkirchlichen Macht zu verkünden und ihre Annahme im Glauben zu verlangen (CIC c. 1322 § 2). Niemand aber darf von ihm zur katholischen Kirche hingezwungen werden (CIC c. 1351), denn die Glaubensentscheidung muss unter der Gnade Gottes in voller Freiheit fallen.
Einen eigenen Bestandteil der Kirchengewalt bildet das Lehramt nicht, vielmehr gehört es, seiner doppelten Aufgabe als Lehrerin und Gebieterin des Glaubens entsprechend, den beiden hierarchischen Grundordnungen der Weihe- und Hirtengewalt zu. Als Träger der eigenberechtigten Oberhirtengewalt und der priesterlichen Vollgewalt haben Papst und regierende Bischöfe kraft göttlichen Rechts das Lehramt inne. In der Verkündigung stehen den Bischöfen auf Grund ihres Amtes die Pfarrer, auf Grund besonderer Vollmacht andere Geistliche und auch Laien (CIC c. 1333 § 1) als Gehilfen zur Seite. Glaubensgesetze können, weil sie ihrer Natur nach für die ganze Kirche gelten, nur vom Papst oder einem allgemeinen Konzil erlassen werden.
Aufgabe und Gewalt des Lehramtes setzen voraus, dass es seine endgültigen und die gesamte Kirche verpflichtenden Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen unfehlbar trifft. Die Gnadengabe der Unfehlbarkeit ist der lehrenden Kirche wesentlich, weil Christus in ihr geheimnisvoll weiterlebt. Der Herr hat sie ihr überdies ausdrücklich versprochen (Mt 16, 18; 28, 20) und zum Unterpfand derselben den Heiligen Geist gesandt (Jo 14, 16 f; Apg 2, 1—4). Im Bewusstsein des heiligen Paulus und der Väter ist die katholische Kirche deswegen „die Säule und Grundfeste der Wahrheit" (1 Tim 3, 15). Träger der Lehrunfehlbarkeit sind 1. der Papst und 2. die Gesamtheit der mit ihm vereinigten Bischöfe. Der Papst muss unfehlbar sein, weil durch ihn die Gesamtkirche sowohl in der Lehre als auch im Glauben geeint wird. Seine Unfehlbarkeit ist in der Schrift (Mt 16,18 ; Lk 22, 31 f und Jo 21,15—17) bezeugt. Das Vaticanum hat sie feierlich als Glaubenssatz verkündet. Die mit dem Oberhaupt der Kirche verbundenen Bischöfe besitzen in ihrer Gesamtheit, nicht einzeln, die Gabe der Unfehlbarkeit, weil sie die Kirche vertreten, der Charakter ihrer Lehrgewalt es erfordert (Mt 18,18; Mkl6, 15 f; Lk 10, 16) und ihnen der Beistand des Herrn und des Heiligen Geistes verheißen ist (Mt 28, 20; Jo 14, 16f; 15, 26; 16, 13). Ordentlicher Weise vollzieht sich die unfehlbare Verkündigung dadurch, dass eine Wahrheit von dem mit dem Heiligen Stuhl in Verbindung stehenden Gesamtepiskopat (Gesamtheit der Bischöfe) mit moralischer Einstimmigkeit und mit dem Anspruch auf unbedingte Zustimmung gelehrt wird (ordentliches und allgemeines Lehramt). Außerordentlich unfehlbare Verkündigungen stellen die Kathedralentscheidungen des Papstes und die unwiderruflichen Erklärungen der Allgemeinen Kirchenversammlungen dar (Konzilsdefinitionen). Eine Entscheidung ex cathedra (= vom Lehrstuhl aus, d. h. unter Berufung auf seine oberste Lehrhoheit) liegt vor, wenn der Papst „seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten" (Vaticanum; Denz 1839).
Unmittelbarer Gegenstand der kirchlichen Lehrunfehlbarkeit sind die von Gott ausdrücklich oder einschlussweise geoffenbarten Wahrheiten. Mittelbar erstreckt sie sich auf die Wahrheiten und Tatsachen, die mit dem Offenbarungsgut in unlösbarem inneren oder äußeren Zusammenhang stehen. Andere Wahrheitsbereiche gehören ebensowenig zu ihrem Gegenstand wie vorläufige oder nicht allgemein verbindliche Entscheidungen und persönliche Lehransichten.
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