Papst Benedikt informiert sich über den Rücktritt Benedikt XVI. besucht das Grab von Coelestin V. Er war der einzige seiner 264 Vorgänger, der je das Amt niederlegte. Von Paul Badde Coelestin V. und die Geschichte seines Rücktritts1/7
Papst Benedikt XVI. und der Bischof von Sulmona besuchen die Gebeine von Pietro del Murrone, als Papst Coelestin V. (um 1209/1215-1296) in die Geschichte einging. Papst Benedikt XVI. Die Glocken läuteten, als Benedikt XVI. unlängst im Helikopter über Sulmona erschien. Das Abruzzen-Städtchen am Fuß des Majella-Massivs war einmal für die Produktion seiner Zuckermandeln berühmt, jetzt hat es viele Arbeitslose und solch einen Jubel schon lang nicht mehr erlebt. Risse vom letzten Erdbeben durchziehen etliche Häuser. Sulmona liegt abseits der Autostrada Rom-Pescara, zwischen der Schlangenstadt Cucullo und dem Tal der Könige, hinter dem sich die Berge des Appenin in eine adriatische Hügellandschaft öffnen. Ovid wurde hier geboren. Ignazio Silone hat dem Ort ein schönes Buch gewidmet. Im letzten Weltkrieg hatte die Wehrmacht hier ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet, das schon bald mit deutschen Soldaten gefüllt werden sollte, darunter Georg Ratzinger, der Bruder des Papstes. Die Luft ist frisch. Auf dem Garibaldi-Platz wurde der Altar für die Papstmesse vor einem Aquädukt errichtet, den der römisch-deutsche Imperator Friedrich II. der Stadt geschenkt hat.
Doch nicht der lateinischen oder italienischen Klassiker oder der Sommerfrische wegen war der Pontifex an diesem Sonntag hierher gekommen, sondern aus Anlass des 800. Geburtstages Pietro del Murrones, dessen gläserner Sarkophag extra aus dem zerstörten L'Aquila herbei gebracht und neben dem Altar aufgestellt wurde, in dem das unverweste Gesicht mit einer leichten Wachsschicht überzogen leise lächelt. Pietro ist allerdings kein Schneewittchen, sondern eine der rätselhaftesten Figuren der Europäischen Geschichte, und überhaupt besser bekannt als Coelestin V., weil er auf dem Konklave von Perugia am 24. August 1294 endlich zum 191. Nachfolger Petri gewählt wurde, nachdem sich die zwölf Kardinäle davor in den inneritalienischen Machtkämpfen zwei Jahre lang auf keinen Papst hatten einigen können. Die Nachricht wurde ihm in der Eremo di Sant'Onofrio über Sulmona überbracht, in der großen Felswand, wo der über 80jährige als Einsiedler lebte.
Dem Ruf folgte er nur widerwillig. Dann aber ritt er unter dem Jubel der Bevölkerung auf einem Esel in L'Aquila ein, als neue Hoffnung der Christenheit, und ging schon rund drei Monate später mit folgendem Schriftstück in die Geschichte ein: "Ich, Coelestin V., trete hiermit aus freiem Willen vom Pontifikat zurück. Rechtmäßige Gründe bewegen mich dazu ebenso wie Gewissensgründe. Aus notwendiger Demut, zur moralischen Vervollkommnung, aber auch aus der Schwäche meines Körpers und der Unfähigkeit zum Lehramt, überhaupt wegen der Schwäche meiner gesamten Person, verzichte ich ausdrücklich auf den Thron, die Würde, das Amt und die Ehre des Papstes."
Am 13. Dezember 1294 las er das Schreiben den Kardinälen vor, legte seinen roten Papstmantel ab, streifte den Ring vom Finger und zog seine alte Mönchskutte wieder an, die er in den letzten Monaten so vermisst hatte. Der Rücktritt des "Engelpapstes", wie ihn seine Anhänger nannten, war ein unerhörter Schritt. Für Dante wurde er durch den Verzicht zu einem "Feigling", den er dafür in seiner Göttlichen Komödie in die Hölle verbannte. Peter Henrici aber, emeritierter Weihbischof aus Chur in der fernen Schweiz, hat die Reise Benedikt XVI. nach Sulmona nun aus den gleichen Gründen vor Wochen schon als Signal gedeutet, dass wohl auch der Ratzinger-Papst bald von seinem Amt zurücktreten werde, von dem doch jeder wisse, wie sehr es ihn beschwere.
Da aber war wohl ein nicht ganz so frommer Wunsch die Mutter des Gedankens. Benedikt XVI. tritt nicht zurück. Coelestin V. aber fasziniert ihn dennoch ganz außerordentlich - und damit ist er in Italien nicht allein. Schon letztes Jahr hat er nach dem Erdbeben dessen Grab in L'Aquila besucht und dem toten Heiligen sein Pallium hinterlassen, die päpstliche Wollstola, die ihm selbst bei seiner Krönung verliehen worden war. Offensichtlich fasziniert ihn die Konsequenz und Radikalität des Einsiedlerpapstes. Jetzt gab er seinem Vorgänger im Sarkophag noch einmal mit Weihrauch die Ehre und rühmte in seiner Predigt die Stille in einer Welt voller Geräusche und überhaupt die Heiligkeit, die "ihre Anziehungskraft nie verliert, nie in Vergessenheit gerät, keiner Mode unterworfen ist und im Wechsel der Zeit immer heller strahlt." Coelestin V. sei zeitlos gewesen in seinem Ringen um die ewig aktuellen Fragen: "Wer bin ich, woher komme ich, warum lebe ich, für wen lebe ich?"
Kein Wort vom Rücktritt des "Papa angelicus". Denn Benedikt XVI. kennt ja nicht nur seinen Dante, sondern auch den Rest der Geschichte. Coelestin V. durfte nach seiner Abdankung kein Einsiedler mehr werden. Er starb im Kerker seines Nachfolgers Bonifaz VIII. (nach dem es bös bergab ging mit dem Papsttum - zunächst im erzwungenen Exil in Avignon, das von 1309 - 1417 dauern sollte). Wo, wenn nicht in Sulmona, sollte Benedikt XVI. also noch einmal deutlicher daran erinnert werden, was er in seiner Einsiedelei über dem Petersplatz eigentlich hat - und in dem Goldenen Käfig von Castel Gandolfo.
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