JAHRESKREIS 5. WOCHE - MONTAG
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der einzelne und die vielen
Die Welt als Schöpfung.
Der Mensch, ein gesellschaftliches Wesen.
Das Gemeinwohl.
I. Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde (...). Gott sah, daß es gut war. Wir hören diese Worte in der heutigen Lesung1: Mit ihnen beginnt die Heilige Schrift den Schöpfungsbericht. Wuchtig und schlicht verkünden diese Worte die innerste Wahrheit über die Welt: sie ist Schöpfung. Und in dieser Wahrheit »kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß alles, was außerhalb Gottes existiert, von ihm ins Dasein gerufen worden ist.«3 Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Wasser und Gestirne, Pflanzen und Tiere... - alles ist Gottes Werk. Schlicht antwortet der Glaube Israels auf die mythischen Vorstellungen der Völker ringsum. Die Sonne? Der Mond? Gott machte die beiden großen Lichte= 2. Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Wasser und Gestirne, Pflanzen und Tiere... - alles ist Gottes Werk. Schlicht antwortet der Glaube Israels auf die mythischen Vorstellungen der Völker ringsum. Die Sonne? Der Mond? Gott machte die beiden großen Lichtr, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten - und den Menschen zum Staunen und Forschen bringen. Und der Mensch selbst? Er steht in der Mitte dieses Kosmos als »das einzige Geschöpf (...), das Gott um seiner selbst willen gewollt hat.«4 Nach dem Bild Gottes4 geschaffen, ist er fähig, seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben, von ihm zum Herrn über alle irdischen Geschöpfe gesetzt, um sie in Verherrlichung Gottes zu beherrschen und zu nutzen.«5 Der Mensch soll herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde6. Doch seine eigentliche Berufung ist, am Lieben Gottes teilzuhaben: »Gott hat alles für den Menschen erschaffen, aber der Mensch selbst ist erschaffen worden, um Gott zu dienen, ihn zu lieben und ihm die ganze Schöpfung darzubringen.«7
Der Mensch fragt nach den Sternen, aber vor allem fragt er - als einziges Geschöpf, das von seiner Geburt und seinem Tod weiß - nach dem Sinn seines Lebens. Die innere Erfahrung des Gewissens und die äußere Erfahrung der Welt um ihn zwingen ihn gleichsam dazu. Es sind Fragen, die er sich zu allen Zeiten gestellt hat und sich immer stellen wird: »>Woher kommen wir?< >Wohin gehen wir?< >Woher stammen wir?< >Wozu sind wir da?< >Woher kommt alles, was da ist, und wohin ist es unterwegs?< Die beiden Fragen, die nach dem Ursprung und die nach dem Ziel, lassen sich nicht voneinander trennen. Sie sind für den Sinn und die Ausrichtung unseres Lebens und Handelns entscheidend.«8
Der Glaube antwortet auf diese Grundfragen, daß die Schöpfung Werk des einen und dreifaltigen Gottes ist: »Das Universum, die geschaffene Gabe, geht hervor aus der ungeschaffenen Gabe, aus der gegenseitigen Liebe des Vaters und des Sohnes, aus der Heiligsten Dreifaltigkeit.«9 Zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der brüderlichen Gesinnung, in der die Menschen in Wahrheit und Liebe untereinander leben sollen, besteht eine gewisse Ähnlichkeit (...). Die menschliche Person bedarf des gesellschaftlichen Lebens. Dieses stellt für sie nicht etwas Zusätzliches dar, sondern ist ein Anspruch ihrer Natur.«10 Die Auskunft des Glaubens ist Bekenntnis, das unser Lieben formt. Betend fragen wir uns, ob wir im gesellschaftlichen Gefiige so präsent sind, daß es den Erwartungen Gottes entspricht; er hat uns ja dazu berufen, nach Heiligkeit zu streben und die Menschen in unserer Nähe zur Heiligkeit zu führen.
II. Der Mensch ist »aus seiner innersten Natur ein gesellschaftliches Wesen; ohne Beziehung zu den anderen kann er weder leben noch seine Anlagen zur Entfaltung bringen.«11 Diese Verfaßtheit äußert sich zuerst in der Familie, dann in der Gesellschaft. Sie »ist notwendig für die Verwirklichung der Berufung des Menschen«12 und darf daher nicht bloß als Rahmen für die eigene Selbstbehauptung, sondern muß als ein Feld gegenseitiger Beziehungen angesehen werden: »Durch Begegnung mit anderen, durch wechselseitige Dienste und durch Zwiesprache mit seinen Brüdern und Schwestern entwickelt der Mensch seine Anlagen und kann seiner Berufung entsprechen.«13
Die Entfaltung der Person bedarf des menschlichen Miteinanders: »Das Zusammenleben der Menschen ist (...) als ein vordringlich geistiges Geschehen aufzufassen. In den geistigen Bereich gehören nämlich die Forderungen, daß die Menschen im hellen Licht der Wahrheit ihre Erkenntnisse untereinander austauschen, daß sie in den Stand gesetzt werden, ihre Rechte wahrzunehmen und ihre Pflichten zu erfüllen, daß sie angespornt werden, die geistigen Güter zu erstreben, daß sie aus jeder ehrenhaften Sache, wie immer sie beschaffen sein mag, einen Anlaß zu gemeinsamer rechtschaffener Freude gewinnen, daß sie in unermüdlichem Wollen das Beste, was sie haben, einander mitzuteilen und voneinander zu empfangen suchen.«14
Aber das Zusammenleben und -wirken der Menschen ist nicht nur Quelle eigener Bereicherung, sondern bringt Pflichten und Verantwortung für das Ganze mit sich: über die Familie hinaus für Staat, Gemeinde, Nachbarschaft, Arbeitsleben, Verbände... Die Pflichten und Aufgaben, die damit zusammenhängen, haben auch mit der Hinordnung des Menschen auf sein letztes Ziel, auf Gott hin, zu tun und sollen Gegenstand der persönlichen Gewissenserforschung sein. Wer sie beobachtet, kommt dem Herrn näher, wer sie mißachtet, mißachtet Gottes Pläne. Deshalb brauchen wir ein erleuchtetes Gewissen, damit wir beispielhaft unsere familiären und sozialen Pflichten erfüllen.
Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus vertieft die von der Schöpfung her schon gegebene Solidarität der Menschen untereinander: als Kinder Gottes werden wir in einem viel tieferen Sinne zu Brüdern und Schwestern untereinander. »In unseren Brüdern, den Menschen, müssen wir Christus sehen, der uns in ihnen begegnet. Kein menschliches Leben ist isoliert, sondern jedes ist mit allen anderen verflochten. Keiner ist wie ein bezugloser Vers, alle sind wir Teil ein und derselben göttlichen Dichtung, die Gott unter Mitwirkung unserer Freiheit verfaßt.«15
Gott gießt in die Herzen der Gläubigen seinen Geist16, damit sie nach diesem Gesetz leben können. Christus selbst betet zum Vater, daß die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin17. »Wir lieben die Menschen nicht nur, weil Gott sie liebt oder weil er will, daß wir sie lieben, sondern weil er uns seinen Geist gegeben und seine eigene Liebe zu ihnen in unsere Herzen gelegt hat. (...) Die agape, die aus der ewigen Quelle des dreifaltigen Gottes strömt, die in Jesus Christus menschliche Gestalt und ein menschliches Herz angenommen hat, möchte jetzt die ganze Erde >überfluten<; sie will sich in den Herzen verbreiten wie der Honig in den Waben. Auf dieser tiefen und verborgenen Ebene geschieht die wahre Verwandlung der Welt.«18
III. Aufgrund der gesellschaftlichen Natur des Menschen steht das Wohl eines jeden in Verbindung mit dem Gemeinwohl. Dieses »läßt sich nur von der menschlichen Person her bestimmen« und ist »die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ermöglichen, die eigene Vollendung voller und leichter zu erreichen.«19 Dazu gehören: Achtung der Person, Ausgleich von Sonderinteressen, Zugänglichmachen von allem, was für ein wirklich menschliches Leben notwendig ist, Schaffung von Voraussetzungen für den sozialen Frieden, Ernstnehmen der kleineren Gemeinwesen usw. Für unsere Meditation genügt es, dies nur anzudeuten und zu bedenken, daß das Evangelium nur dann »das gesamte menschliche Leben durchdringen und in das ganze Leben der Gesellschaft hineingetragen werden kann«20, wenn unser Zeugnis auch die vorbildliche Erfüllung unserer staatsbürgerlichen Pflichten umfaßt. Es wäre nicht christlich, die Pflichten, die sich auf das Gemeinwohl beziehen, bloß insoweit wahrzunehmen, wie sie einem persönlich vorteilhaft erscheinen. Deshalb sollen wir hin und wieder unser Gewissen daraufhin prüfen, ob wir unsere sozialen und bürgerlichen Pflichten ernst nehmen: vom Steuernzahlen und der Ausübung des Wahlrechts bis zum Engagement in Verbänden, Vereinen usw.
Der persönliche Beitrag jedes einzelnen zum Gemeinwohl ist eine moralische Pflicht. Manchen erscheint diese Sorge abstrakt und wenig faßbar. Unter ihnen gibt es »auch solche, die zwar großzügige und hochherzige Auffassungen im Munde führen, in Wirklichkeit jedoch immer so leben, als ob sie sich nicht um die Bedürfnisse der Gesellschaft zu kümmern brauchten, ja in verschiedenen Ländern beachten nicht wenige die sozialen Gesetze und Vorschriften so gut wir gar nicht.«22 Auch bei frommen Christen lauert die Versuchung, das Gemeinwohl anf den engen Gesichtskreis der eigenen Interessen zu reduzieren und zu vergessen, daß das Prinzip der Solidarität »sich aus der menschlichen und christlichen Brüderlichkeit direkt ergibt.«22
In unserer Meditation haben wir versucht, die soziale Natur des Menschen von der Schöpfung und der Menschwerdung her zu betrachten. Jetzt, am Ende unserer Zeit des Gebetes, bitten wir den Herrn auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau, er möge uns immer ein feines Gespür für solidarisches Handeln schenken. Es hat immer - trotz aller menschlichen Verfehlungen im Verlauf der Geschichte - das Leben der Kirche geprägt: »Seit zweitausend Jahren lebt und verharrt in der Seele der Kirche dieser Sinn, der die Seelen - bis zum Liebesheroismus der das Land bebauenden Mönche, der Sklavenbefreier, der Krankenheiler, der Boten des Glaubens, der Zivilisation, der Wissenschaft - zu allen Generationen und Völkern gedrängt hat und drängt, um Gesellschaftsverhältnisse zu schaffen, die allen ein menschen- und christenwürdiges Leben ermöglichen.«23
1 Gen 1,1-19. - 2 Johannes Paul II., Ansprache 15.1.1986. - 3 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et spes, 24. - 4 Gen 1,27. - 5 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et spes, 12. - 6 Gen 1,28. - 7 Katechismus der Katholischen Kirche, 358. - 8 ebd., 282. - 9 Johannes Paul II., Ansprache 5.3.1986. - 10 Katechismus der Katholischen Kirche, 1878. - 11 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et spes, 12. - 12 Katechismus der Katholischen Kirche, 1886. - 13 ebd., 1879. - 14 Johannes XXIII., Enz. Pacem in terris, 36. - 15 J. Escrivá, Christus begegnen, 111. - 16 vgl. Röm 5,5. - 17 Joh 17,26. - 18 R. Cantalamessa, Das Leben in Christus, Graz 1990, S.230. - 19 Katechismus der Katholischen Kirche, 1905 und 1906. - 20 Johannes Paul II., Ansprache 11.10.1985, 15. - 21 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et spes, 25. - 22 Katechismus der Katholischen Kirche, 1939. - 23 Pius XII., Ansprache 1.6.1941.
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